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Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Während Justine mit unzähligen Thränen und steigender Heftigkeit die letzten Worte sprach, war Mariane eingetreten, sie stand erstaunt, bald ihren Vater, bald die Alte anblickend, und Ellinger fühlte die Nothwendigkeit, ihr den Auftritt zu erklären. Sie erschrak und äußerte zum ersten Male in ihrem Leben entschlossenen Widerspruch, zwar durch kindliche Bitten um Vergebung gemildert, aber doch überraschend genug bei ihrem sanften, furchtsamen Sinn. Justine hob ihr Haupt in die Höhe; der Vater sprach unbewegt weiter. Er wolle und werde sie niemals zwingen, nicht einmal überreden, sagte er, und damit sei Justinens unbesonnene Rede beantwortet. Das dürfe er nicht verhehlen, daß diese Heirath sein Alter beglücken könne. Sein Haar werde weiß, der Druck der Zeiten und manche heimliche Sorge, die Niemand kenne, mache ihn vor den Jahren alt, ein kräftiger Stab für die Pflanzen um ihn her wäre längst sein Gebet gewesen, da er ahne, wie Stamm und Krone des väterlichen Baums bald genug in den Staub sinken könne. Mariane sei arm, ihre Geschwister arm; der Kinder Stütze zu werden, lege Gott jetzt in ihre Hand. Sie möge nicht rasch entscheiden, er fordere nur ihr Versprechen, sich einige Zeit zu prüfen, Börnern nicht abzuweisen, denn er liebe sie so sehr, daß er ihre früheren Gefühle achten wolle. -- Justine wird dir sagen, was sie von Börnern denkt, fuhr er fort, es wäre vergebens, das Gegentheil zu erwarten, höre also deines Vaters Meinung. Es ist ein unbescholtener, redlicher Mann,

Während Justine mit unzähligen Thränen und steigender Heftigkeit die letzten Worte sprach, war Mariane eingetreten, sie stand erstaunt, bald ihren Vater, bald die Alte anblickend, und Ellinger fühlte die Nothwendigkeit, ihr den Auftritt zu erklären. Sie erschrak und äußerte zum ersten Male in ihrem Leben entschlossenen Widerspruch, zwar durch kindliche Bitten um Vergebung gemildert, aber doch überraschend genug bei ihrem sanften, furchtsamen Sinn. Justine hob ihr Haupt in die Höhe; der Vater sprach unbewegt weiter. Er wolle und werde sie niemals zwingen, nicht einmal überreden, sagte er, und damit sei Justinens unbesonnene Rede beantwortet. Das dürfe er nicht verhehlen, daß diese Heirath sein Alter beglücken könne. Sein Haar werde weiß, der Druck der Zeiten und manche heimliche Sorge, die Niemand kenne, mache ihn vor den Jahren alt, ein kräftiger Stab für die Pflanzen um ihn her wäre längst sein Gebet gewesen, da er ahne, wie Stamm und Krone des väterlichen Baums bald genug in den Staub sinken könne. Mariane sei arm, ihre Geschwister arm; der Kinder Stütze zu werden, lege Gott jetzt in ihre Hand. Sie möge nicht rasch entscheiden, er fordere nur ihr Versprechen, sich einige Zeit zu prüfen, Börnern nicht abzuweisen, denn er liebe sie so sehr, daß er ihre früheren Gefühle achten wolle. — Justine wird dir sagen, was sie von Börnern denkt, fuhr er fort, es wäre vergebens, das Gegentheil zu erwarten, höre also deines Vaters Meinung. Es ist ein unbescholtener, redlicher Mann,

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[0043] Während Justine mit unzähligen Thränen und steigender Heftigkeit die letzten Worte sprach, war Mariane eingetreten, sie stand erstaunt, bald ihren Vater, bald die Alte anblickend, und Ellinger fühlte die Nothwendigkeit, ihr den Auftritt zu erklären. Sie erschrak und äußerte zum ersten Male in ihrem Leben entschlossenen Widerspruch, zwar durch kindliche Bitten um Vergebung gemildert, aber doch überraschend genug bei ihrem sanften, furchtsamen Sinn. Justine hob ihr Haupt in die Höhe; der Vater sprach unbewegt weiter. Er wolle und werde sie niemals zwingen, nicht einmal überreden, sagte er, und damit sei Justinens unbesonnene Rede beantwortet. Das dürfe er nicht verhehlen, daß diese Heirath sein Alter beglücken könne. Sein Haar werde weiß, der Druck der Zeiten und manche heimliche Sorge, die Niemand kenne, mache ihn vor den Jahren alt, ein kräftiger Stab für die Pflanzen um ihn her wäre längst sein Gebet gewesen, da er ahne, wie Stamm und Krone des väterlichen Baums bald genug in den Staub sinken könne. Mariane sei arm, ihre Geschwister arm; der Kinder Stütze zu werden, lege Gott jetzt in ihre Hand. Sie möge nicht rasch entscheiden, er fordere nur ihr Versprechen, sich einige Zeit zu prüfen, Börnern nicht abzuweisen, denn er liebe sie so sehr, daß er ihre früheren Gefühle achten wolle. — Justine wird dir sagen, was sie von Börnern denkt, fuhr er fort, es wäre vergebens, das Gegentheil zu erwarten, höre also deines Vaters Meinung. Es ist ein unbescholtener, redlicher Mann,

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Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/43>, abgerufen am 24.11.2024.