Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.auf Marianen, sie gelobte Gehorsam und Ergebung, sie fragte jammernd, womit sie solche Härte verdiene, und schwor, der väterliche Wille solle ihr heilig sein, so lange sie lebe. Das Alles sagte sie so heftig und überspannt, wie sie niemals gesprochen hatte, selbst der Vater fühlte sich von ihrem Schmerz erschüttert. Nachdem Beide etwas ruhiger geworden waren, kam noch ein schweres Räthsel zur Sprache. Wenn Pistor Ellinger's Haus mied und die Ehre ihm gebot, Marianen nicht aufzusuchen: sollte sie sich auf immer von seiner Mutter verbannen, die alte Frau nicht mehr sehen, ihr die Besuche entziehen, die seit so vielen Jahren eine liebe Gewohnheit geworden waren? Ellinger wagte nicht, diese Frage nach seinem Wunsche zu entscheiden, und Mariane mochte nicht versprechen, was ihr zu halten unmöglich schien. War doch schon jetzt der einzige Trost, der in ihrer Seele dämmerte, das Wiedersehen der Mutter, die gemeinschaftliche Klage! Daß eine leise Hoffnung auf fortdauerndes Bündniß mit dem Geliebten sich in ihre Sehnsucht mischte, gestand sie sich selbst nicht, und eben so wenig die Schwierigkeit, zwischen Pflicht und Liebe getheilt auf ebener Bahn zu wandeln. Das Schicksal ersparte ihr indessen die harte Probe. Auch Frau von Pistor hatte mit ihrem Sohne eine traurige Nacht durchwacht und mit ihm gelitten, was sie auf Erden nicht mehr zu leiden fürchtete. Sie sah sein Glück zerstört, sie wußte, er werde den Verlust ertragen, aber niemals Ersatz finden. Wie ihr Lebensweg voll Sorgen auf Marianen, sie gelobte Gehorsam und Ergebung, sie fragte jammernd, womit sie solche Härte verdiene, und schwor, der väterliche Wille solle ihr heilig sein, so lange sie lebe. Das Alles sagte sie so heftig und überspannt, wie sie niemals gesprochen hatte, selbst der Vater fühlte sich von ihrem Schmerz erschüttert. Nachdem Beide etwas ruhiger geworden waren, kam noch ein schweres Räthsel zur Sprache. Wenn Pistor Ellinger's Haus mied und die Ehre ihm gebot, Marianen nicht aufzusuchen: sollte sie sich auf immer von seiner Mutter verbannen, die alte Frau nicht mehr sehen, ihr die Besuche entziehen, die seit so vielen Jahren eine liebe Gewohnheit geworden waren? Ellinger wagte nicht, diese Frage nach seinem Wunsche zu entscheiden, und Mariane mochte nicht versprechen, was ihr zu halten unmöglich schien. War doch schon jetzt der einzige Trost, der in ihrer Seele dämmerte, das Wiedersehen der Mutter, die gemeinschaftliche Klage! Daß eine leise Hoffnung auf fortdauerndes Bündniß mit dem Geliebten sich in ihre Sehnsucht mischte, gestand sie sich selbst nicht, und eben so wenig die Schwierigkeit, zwischen Pflicht und Liebe getheilt auf ebener Bahn zu wandeln. Das Schicksal ersparte ihr indessen die harte Probe. Auch Frau von Pistor hatte mit ihrem Sohne eine traurige Nacht durchwacht und mit ihm gelitten, was sie auf Erden nicht mehr zu leiden fürchtete. Sie sah sein Glück zerstört, sie wußte, er werde den Verlust ertragen, aber niemals Ersatz finden. Wie ihr Lebensweg voll Sorgen <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0032"/> auf Marianen, sie gelobte Gehorsam und Ergebung, sie fragte jammernd, womit sie solche Härte verdiene, und schwor, der väterliche Wille solle ihr heilig sein, so lange sie lebe. Das Alles sagte sie so heftig und überspannt, wie sie niemals gesprochen hatte, selbst der Vater fühlte sich von ihrem Schmerz erschüttert. Nachdem Beide etwas ruhiger geworden waren, kam noch ein schweres Räthsel zur Sprache. Wenn Pistor Ellinger's Haus mied und die Ehre ihm gebot, Marianen nicht aufzusuchen: sollte sie sich auf immer von seiner Mutter verbannen, die alte Frau nicht mehr sehen, ihr die Besuche entziehen, die seit so vielen Jahren eine liebe Gewohnheit geworden waren? Ellinger wagte nicht, diese Frage nach seinem Wunsche zu entscheiden, und Mariane mochte nicht versprechen, was ihr zu halten unmöglich schien. War doch schon jetzt der einzige Trost, der in ihrer Seele dämmerte, das Wiedersehen der Mutter, die gemeinschaftliche Klage! Daß eine leise Hoffnung auf fortdauerndes Bündniß mit dem Geliebten sich in ihre Sehnsucht mischte, gestand sie sich selbst nicht, und eben so wenig die Schwierigkeit, zwischen Pflicht und Liebe getheilt auf ebener Bahn zu wandeln.</p><lb/> <p>Das Schicksal ersparte ihr indessen die harte Probe. Auch Frau von Pistor hatte mit ihrem Sohne eine traurige Nacht durchwacht und mit ihm gelitten, was sie auf Erden nicht mehr zu leiden fürchtete. Sie sah sein Glück zerstört, sie wußte, er werde den Verlust ertragen, aber niemals Ersatz finden. Wie ihr Lebensweg voll Sorgen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
auf Marianen, sie gelobte Gehorsam und Ergebung, sie fragte jammernd, womit sie solche Härte verdiene, und schwor, der väterliche Wille solle ihr heilig sein, so lange sie lebe. Das Alles sagte sie so heftig und überspannt, wie sie niemals gesprochen hatte, selbst der Vater fühlte sich von ihrem Schmerz erschüttert. Nachdem Beide etwas ruhiger geworden waren, kam noch ein schweres Räthsel zur Sprache. Wenn Pistor Ellinger's Haus mied und die Ehre ihm gebot, Marianen nicht aufzusuchen: sollte sie sich auf immer von seiner Mutter verbannen, die alte Frau nicht mehr sehen, ihr die Besuche entziehen, die seit so vielen Jahren eine liebe Gewohnheit geworden waren? Ellinger wagte nicht, diese Frage nach seinem Wunsche zu entscheiden, und Mariane mochte nicht versprechen, was ihr zu halten unmöglich schien. War doch schon jetzt der einzige Trost, der in ihrer Seele dämmerte, das Wiedersehen der Mutter, die gemeinschaftliche Klage! Daß eine leise Hoffnung auf fortdauerndes Bündniß mit dem Geliebten sich in ihre Sehnsucht mischte, gestand sie sich selbst nicht, und eben so wenig die Schwierigkeit, zwischen Pflicht und Liebe getheilt auf ebener Bahn zu wandeln.
Das Schicksal ersparte ihr indessen die harte Probe. Auch Frau von Pistor hatte mit ihrem Sohne eine traurige Nacht durchwacht und mit ihm gelitten, was sie auf Erden nicht mehr zu leiden fürchtete. Sie sah sein Glück zerstört, sie wußte, er werde den Verlust ertragen, aber niemals Ersatz finden. Wie ihr Lebensweg voll Sorgen
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Zitationshilfe: | Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/32>, abgerufen am 16.02.2025. |