Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.es todt! Süßes Glück der Hoffnung, Jugendmuth und Frohsinn, wollt ihr schon jetzt mich verlassen? Leise auf den Zehen schleichend ging sie ins Nebenzimmer, blickte wehmüthig auf die schlafenden Schwestern und suchte ihr Lager zum erstenmal ohne Erwartung des Schlummers. Am andern Morgen war Marianens erster Gedanke eine Erklärung mit ihrem Vater. Die Pflicht, sich seinem Willen zu fügen, war ihr in den Kämpfen dieser Nacht klar geworden, vorher aber wollte sie versuchen, ob Bitten und Thränen vielleicht sein Herz rühren könnten. Ueber die Furcht, mit welcher sie ihm seit langer Zeit nahete, erhob sie heute der Schmerz und das Gefühl, sie handle für die heiligste Angelegenheit ihres Lebens. Blaß und zitternd trat sie zu ihm ins Zimmer, sie hatte bedachtsam überlegt, was sie sagen wollte, doch der erste Blick in sein Gesicht änderte Alles. Mitleidig, ja zärtlich, wie sie es sich nie erinnerte, sah er sie an, und sie lag in seinen ausgebreiteten Armen und weinte heiße Thränen, welche die überlegten Worte aus ihrem Gedächtniß wegwuschen. Es ist mir leid, mein armes Kind, es ist mir herzlich leid, sagte er, aber es kann nicht sein! Ueberzeuge dich, daß die Liebe die wahrste ist, die zu deinem Besten selbst einen kurzen Schmerz für dich wählt. es todt! Süßes Glück der Hoffnung, Jugendmuth und Frohsinn, wollt ihr schon jetzt mich verlassen? Leise auf den Zehen schleichend ging sie ins Nebenzimmer, blickte wehmüthig auf die schlafenden Schwestern und suchte ihr Lager zum erstenmal ohne Erwartung des Schlummers. Am andern Morgen war Marianens erster Gedanke eine Erklärung mit ihrem Vater. Die Pflicht, sich seinem Willen zu fügen, war ihr in den Kämpfen dieser Nacht klar geworden, vorher aber wollte sie versuchen, ob Bitten und Thränen vielleicht sein Herz rühren könnten. Ueber die Furcht, mit welcher sie ihm seit langer Zeit nahete, erhob sie heute der Schmerz und das Gefühl, sie handle für die heiligste Angelegenheit ihres Lebens. Blaß und zitternd trat sie zu ihm ins Zimmer, sie hatte bedachtsam überlegt, was sie sagen wollte, doch der erste Blick in sein Gesicht änderte Alles. Mitleidig, ja zärtlich, wie sie es sich nie erinnerte, sah er sie an, und sie lag in seinen ausgebreiteten Armen und weinte heiße Thränen, welche die überlegten Worte aus ihrem Gedächtniß wegwuschen. Es ist mir leid, mein armes Kind, es ist mir herzlich leid, sagte er, aber es kann nicht sein! Ueberzeuge dich, daß die Liebe die wahrste ist, die zu deinem Besten selbst einen kurzen Schmerz für dich wählt. <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0029"/> es todt! Süßes Glück der Hoffnung, Jugendmuth und Frohsinn, wollt ihr schon jetzt mich verlassen? Leise auf den Zehen schleichend ging sie ins Nebenzimmer, blickte wehmüthig auf die schlafenden Schwestern und suchte ihr Lager zum erstenmal ohne Erwartung des Schlummers.</p><lb/> </div> <div n="3"> <p>Am andern Morgen war Marianens erster Gedanke eine Erklärung mit ihrem Vater. Die Pflicht, sich seinem Willen zu fügen, war ihr in den Kämpfen dieser Nacht klar geworden, vorher aber wollte sie versuchen, ob Bitten und Thränen vielleicht sein Herz rühren könnten. Ueber die Furcht, mit welcher sie ihm seit langer Zeit nahete, erhob sie heute der Schmerz und das Gefühl, sie handle für die heiligste Angelegenheit ihres Lebens. Blaß und zitternd trat sie zu ihm ins Zimmer, sie hatte bedachtsam überlegt, was sie sagen wollte, doch der erste Blick in sein Gesicht änderte Alles. Mitleidig, ja zärtlich, wie sie es sich nie erinnerte, sah er sie an, und sie lag in seinen ausgebreiteten Armen und weinte heiße Thränen, welche die überlegten Worte aus ihrem Gedächtniß wegwuschen. Es ist mir leid, mein armes Kind, es ist mir herzlich leid, sagte er, aber es kann nicht sein! Ueberzeuge dich, daß die Liebe die wahrste ist, die zu deinem Besten selbst einen kurzen Schmerz für dich wählt.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0029]
es todt! Süßes Glück der Hoffnung, Jugendmuth und Frohsinn, wollt ihr schon jetzt mich verlassen? Leise auf den Zehen schleichend ging sie ins Nebenzimmer, blickte wehmüthig auf die schlafenden Schwestern und suchte ihr Lager zum erstenmal ohne Erwartung des Schlummers.
Am andern Morgen war Marianens erster Gedanke eine Erklärung mit ihrem Vater. Die Pflicht, sich seinem Willen zu fügen, war ihr in den Kämpfen dieser Nacht klar geworden, vorher aber wollte sie versuchen, ob Bitten und Thränen vielleicht sein Herz rühren könnten. Ueber die Furcht, mit welcher sie ihm seit langer Zeit nahete, erhob sie heute der Schmerz und das Gefühl, sie handle für die heiligste Angelegenheit ihres Lebens. Blaß und zitternd trat sie zu ihm ins Zimmer, sie hatte bedachtsam überlegt, was sie sagen wollte, doch der erste Blick in sein Gesicht änderte Alles. Mitleidig, ja zärtlich, wie sie es sich nie erinnerte, sah er sie an, und sie lag in seinen ausgebreiteten Armen und weinte heiße Thränen, welche die überlegten Worte aus ihrem Gedächtniß wegwuschen. Es ist mir leid, mein armes Kind, es ist mir herzlich leid, sagte er, aber es kann nicht sein! Ueberzeuge dich, daß die Liebe die wahrste ist, die zu deinem Besten selbst einen kurzen Schmerz für dich wählt.
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Zitationshilfe: | Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/29>, abgerufen am 16.07.2024. |