Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.bemühte sie sich mit abwechselndem Erfolge, ihn durch ihre Heiterkeit zu zerstreuen; jetzt fühlte sie die Nothwendigkeit doppelt, nicht auch ein trübes Gesicht zu haben. War er einmal hart und unfreundlich gegen sie oder die Kinder, so hütete sie sich, Empfindlichkeit zu zeigen; sie wußte, er danke ihr im Stillen das ruhige Ertragen, werde aber durch Widerspruch und Leidenschaftlichkeit zu einem Zorn gereizt, den sie fürchtete. Nur gegen Eine Person des kleinen Haushalts litt dies eine Ausnahme. Seit Mariane lebte, war eine betagte Jungfer in der Familie, Anfangs als Gehülfin der kränkelnden Frau, nach ihrem Tode als Pflegerin der Kinder. Mit Mutterliebe hatte Justine die Mädchen erzogen, ihre Gesundheit gehütet, sie in Krankheiten bewacht, die tausend kleinen und großen Opfer gebracht, die des Kindes Hülflosigkeit von hingebender Treue empfangen muß. Ellinger schätzte dies Verdienst nach seinem ganzen Werthe. Er war gegen Niemand nachsichtiger, gefälliger, als gegen Justinen, und achtete ihr Wirken so hoch, daß er ihren Mangel an Bildung, ihren Eigensinn, ihre Altersschwäche freundlich ertrug, sogar heftige Vorwürfe geduldig anhörte, wenn er etwas ihr Mißfälliges gethan, etwas ohne sie über die Kinder beschlossen, oder ihnen, nach Justinens Begriffen, weh gethan hatte. Ich kann sie, sagte er oft, für die schlaflosen Nächte und die hingeopferte Ruhe ihres Alters nicht belohnen, kann es ihr nicht bezahlen, daß meine Kinder gesund an Seel' und Leib bemühte sie sich mit abwechselndem Erfolge, ihn durch ihre Heiterkeit zu zerstreuen; jetzt fühlte sie die Nothwendigkeit doppelt, nicht auch ein trübes Gesicht zu haben. War er einmal hart und unfreundlich gegen sie oder die Kinder, so hütete sie sich, Empfindlichkeit zu zeigen; sie wußte, er danke ihr im Stillen das ruhige Ertragen, werde aber durch Widerspruch und Leidenschaftlichkeit zu einem Zorn gereizt, den sie fürchtete. Nur gegen Eine Person des kleinen Haushalts litt dies eine Ausnahme. Seit Mariane lebte, war eine betagte Jungfer in der Familie, Anfangs als Gehülfin der kränkelnden Frau, nach ihrem Tode als Pflegerin der Kinder. Mit Mutterliebe hatte Justine die Mädchen erzogen, ihre Gesundheit gehütet, sie in Krankheiten bewacht, die tausend kleinen und großen Opfer gebracht, die des Kindes Hülflosigkeit von hingebender Treue empfangen muß. Ellinger schätzte dies Verdienst nach seinem ganzen Werthe. Er war gegen Niemand nachsichtiger, gefälliger, als gegen Justinen, und achtete ihr Wirken so hoch, daß er ihren Mangel an Bildung, ihren Eigensinn, ihre Altersschwäche freundlich ertrug, sogar heftige Vorwürfe geduldig anhörte, wenn er etwas ihr Mißfälliges gethan, etwas ohne sie über die Kinder beschlossen, oder ihnen, nach Justinens Begriffen, weh gethan hatte. Ich kann sie, sagte er oft, für die schlaflosen Nächte und die hingeopferte Ruhe ihres Alters nicht belohnen, kann es ihr nicht bezahlen, daß meine Kinder gesund an Seel' und Leib <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0010"/> bemühte sie sich mit abwechselndem Erfolge, ihn durch ihre Heiterkeit zu zerstreuen; jetzt fühlte sie die Nothwendigkeit doppelt, nicht auch ein trübes Gesicht zu haben. War er einmal hart und unfreundlich gegen sie oder die Kinder, so hütete sie sich, Empfindlichkeit zu zeigen; sie wußte, er danke ihr im Stillen das ruhige Ertragen, werde aber durch Widerspruch und Leidenschaftlichkeit zu einem Zorn gereizt, den sie fürchtete. Nur gegen Eine Person des kleinen Haushalts litt dies eine Ausnahme. Seit Mariane lebte, war eine betagte Jungfer in der Familie, Anfangs als Gehülfin der kränkelnden Frau, nach ihrem Tode als Pflegerin der Kinder. Mit Mutterliebe hatte Justine die Mädchen erzogen, ihre Gesundheit gehütet, sie in Krankheiten bewacht, die tausend kleinen und großen Opfer gebracht, die des Kindes Hülflosigkeit von hingebender Treue empfangen muß. Ellinger schätzte dies Verdienst nach seinem ganzen Werthe. Er war gegen Niemand nachsichtiger, gefälliger, als gegen Justinen, und achtete ihr Wirken so hoch, daß er ihren Mangel an Bildung, ihren Eigensinn, ihre Altersschwäche freundlich ertrug, sogar heftige Vorwürfe geduldig anhörte, wenn er etwas ihr Mißfälliges gethan, etwas ohne sie über die Kinder beschlossen, oder ihnen, nach Justinens Begriffen, weh gethan hatte. Ich kann sie, sagte er oft, für die schlaflosen Nächte und die hingeopferte Ruhe ihres Alters nicht belohnen, kann es ihr nicht bezahlen, daß meine Kinder gesund an Seel' und Leib<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
bemühte sie sich mit abwechselndem Erfolge, ihn durch ihre Heiterkeit zu zerstreuen; jetzt fühlte sie die Nothwendigkeit doppelt, nicht auch ein trübes Gesicht zu haben. War er einmal hart und unfreundlich gegen sie oder die Kinder, so hütete sie sich, Empfindlichkeit zu zeigen; sie wußte, er danke ihr im Stillen das ruhige Ertragen, werde aber durch Widerspruch und Leidenschaftlichkeit zu einem Zorn gereizt, den sie fürchtete. Nur gegen Eine Person des kleinen Haushalts litt dies eine Ausnahme. Seit Mariane lebte, war eine betagte Jungfer in der Familie, Anfangs als Gehülfin der kränkelnden Frau, nach ihrem Tode als Pflegerin der Kinder. Mit Mutterliebe hatte Justine die Mädchen erzogen, ihre Gesundheit gehütet, sie in Krankheiten bewacht, die tausend kleinen und großen Opfer gebracht, die des Kindes Hülflosigkeit von hingebender Treue empfangen muß. Ellinger schätzte dies Verdienst nach seinem ganzen Werthe. Er war gegen Niemand nachsichtiger, gefälliger, als gegen Justinen, und achtete ihr Wirken so hoch, daß er ihren Mangel an Bildung, ihren Eigensinn, ihre Altersschwäche freundlich ertrug, sogar heftige Vorwürfe geduldig anhörte, wenn er etwas ihr Mißfälliges gethan, etwas ohne sie über die Kinder beschlossen, oder ihnen, nach Justinens Begriffen, weh gethan hatte. Ich kann sie, sagte er oft, für die schlaflosen Nächte und die hingeopferte Ruhe ihres Alters nicht belohnen, kann es ihr nicht bezahlen, daß meine Kinder gesund an Seel' und Leib
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Zitationshilfe: | Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/10>, abgerufen am 16.02.2025. |