Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
Königin Erato an zu ruffen/ mit was für Em-pfindligkeit ist dieser Schlag nicht des Sinadats Weibe durchs Hertz gegangen? Hat sie einen Augenblick den Tod ihres Ehmanns überlebt/ dem sie eh als der Hencker das Messer an die Gurgel gesetzt? Oder haben die/ welche ihre Eh- männer aufrichtiger lieb gewonnen/ nicht sie als eine Unholdin/ die den Eyd der Treue/ und das heilige Band der Ehe zerrissen/ verfluchet? Fürst Rhemetalces lächelte/ und bat/ sie möchte diese Ruhms-würdige Heldin/ welcher Pannonien einen Ehren-Krantz schuldig blieben wäre/ nicht unverhörter Sache durch ein so strenges Urtheil verdammen. Denn ob zwar die Liebe eines Ehweibes alle andere übertreffen solte/ wäre selbte doch dem Mäß-Stabe der Vernunfft unterworffen/ ohne welchen alle Tugenden zu Lastern würden. Sie könte ihr Hertz zwar mit keinem Nebenbuhler theilen/ aber sie wäre nicht befugt es ihrem Vaterlande zu ent- ziehen; welches über uns mehr Gewalt hätte/ als Väter über ihre Kinder/ und Männer über ihre Weiber. Der Ehleute Liebe wäre ange- nommen/ des Vaterlands aber angebohren. Ja auch die angebohrne müste des Vaterlands Liebe aus dem Wege treten. Daher hätte A- gesilaus zu unsterblichem Nachruhme seinen Sohn Pausanias der Spartaner Fürsten/ weil er sein Vaterland dem Xerxes für 500. Talent verrathen wollen/ durch Hunger getödtet/ seine Mutter aber die Leiche unbegraben weggeworf- fen. Brutus und Cassius hätten diese Zärtlig- keit ihnen aus dem Gemüthe geschlagen/ als sie beyde ihre wider das Vaterland aufgestandene Söhne zum Tode verurtheilet; und Fulvius/ als er seines Sohnes Kopf springen sahe/ gesagt: Er hätte ihn nicht dem Catilina wider das Va- terland/ sondern dem Vaterlande wider Catili- nen gezeuget. Das Vaterland könte wohl be- stehen/ wenn ein Geschlechte zu Grunde ginge/ dieses aber nicht/ wenn jenes fiele. Da nun ih- rer so viel ihre selbsteigene Liebe des Vaterlands [Spaltenumbruch] nachgesetzt/ und dessen Wohlst and mit ihren Lei- chen unterstützet hätten/ wie wäre des Sinadats Ehfrau ohne sich der Verrätherey selbst theil- hafft zu machen ihres verrätherischen Ehmanns zu schonen/ und das gemeine Heil in Grund zu stürtzen berechtigt gewesen? Sintemal ja die Eh ein Verbündnüß der Hertzen/ nicht aber der Laster seyn solte. Erato begegnete dem Rheme- talces: Sie gebe gerne nach: daß ein Weib ihren Ehmann von bösen Entschlüssungen abzuleiten bemüht seyn; aber ihn doch nicht selbst angeben solte. So wenig einer sich selbst anzuklagen schuldig wäre/ so wenig läge es seiner unzertrenn- lichen Gefärtin in allem Unglück und zweifel- hafften Fällen ob. Calliroe/ welche ihres Va- ters Lycus abscheuliche Menschen-Opferung ihrem Liebhaber Diomedes entdecket/ hätte sich hernach mit einem Stricke erhencket; Bysatia die eben dis von dem Massyler Könige dem Cras- sus offenbart/ ihr die Kehle abschneiden müssen. Also würde sie sich nimmermehr überwinden/ aus Liebe des Vaterlandes dem Ehmanne treu- loß zu werden/ welchen der meisten Völcker Recht über ihre Weiber die Gewalt des Lebens und des Todes zueignet. Adgandester ward ersucht/ hierüber den Ausschlag zu geben/ aber er lehn- te sein begehrtes Urtheil mit allerhand Unterschei- dungen der Umbstände ab; wolte des Sinidats Ehweib weder gäntzlich vertheidigen noch verdam- men; vorwendende: Es gebe solche Thaten; welche nach der Eigenschafft der auf dem Lande und im Wasser lebender Thiere gewisser massen zu den Tugenden und Lastern gerechnet werden könten. Jedoch/ sagte er/ fragte König Hunn nach der Zeit wenig nach ihr; sie selbst brachte ihr übriges Leben mit Einsamkeit hin/ ihren Kin- dern aber nur die Ungenossenheit der nichts minder fallenden Straffen zuwege. Der Skordisker Fürst Thessalor flüchtete sich zum Antigonus/ und erhärtete durch sein Beyspiel: daß ein beleidigter Freund mehr als tausend Feinde Unheil stiften könten. Denn nach dem alle Erster Theil. G g g g g
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
Koͤnigin Erato an zu ruffen/ mit was fuͤr Em-pfindligkeit iſt dieſer Schlag nicht des Sinadats Weibe durchs Hertz gegangen? Hat ſie einen Augenblick den Tod ihres Ehmanns uͤberlebt/ dem ſie eh als der Hencker das Meſſer an die Gurgel geſetzt? Oder haben die/ welche ihre Eh- maͤnner aufrichtiger lieb gewonnen/ nicht ſie als eine Unholdin/ die den Eyd der Treue/ und das heilige Band der Ehe zerriſſen/ verfluchet? Fuͤrſt Rhemetalces laͤchelte/ und bat/ ſie moͤchte dieſe Ruhms-wuͤrdige Heldin/ welcher Pannonien einen Ehren-Krantz ſchuldig blieben waͤre/ nicht unverhoͤrter Sache durch ein ſo ſtrenges Urtheil verdammen. Denn ob zwar die Liebe eines Ehweibes alle andere uͤbertreffen ſolte/ waͤre ſelbte doch dem Maͤß-Stabe der Vernunfft unterworffen/ ohne welchen alle Tugenden zu Laſtern wuͤrden. Sie koͤnte ihr Hertz zwar mit keinem Nebenbuhler theilen/ aber ſie waͤre nicht befugt es ihrem Vaterlande zu ent- ziehen; welches uͤber uns mehr Gewalt haͤtte/ als Vaͤter uͤber ihre Kinder/ und Maͤnner uͤber ihre Weiber. Der Ehleute Liebe waͤre ange- nommen/ des Vaterlands aber angebohren. Ja auch die angebohrne muͤſte des Vaterlands Liebe aus dem Wege treten. Daher haͤtte A- geſilaus zu unſterblichem Nachruhme ſeinen Sohn Pauſanias der Spartaner Fuͤrſten/ weil er ſein Vaterland dem Xerxes fuͤr 500. Talent verrathen wollen/ durch Hunger getoͤdtet/ ſeine Mutter aber die Leiche unbegraben weggeworf- fen. Brutus und Caſſius haͤtten dieſe Zaͤrtlig- keit ihnen aus dem Gemuͤthe geſchlagen/ als ſie beyde ihre wider das Vaterland aufgeſtandene Soͤhne zum Tode verurtheilet; und Fulvius/ als er ſeines Sohnes Kopf ſpringen ſahe/ geſagt: Er haͤtte ihn nicht dem Catilina wider das Va- terland/ ſondern dem Vaterlande wider Catili- nen gezeuget. Das Vaterland koͤnte wohl be- ſtehen/ wenn ein Geſchlechte zu Grunde ginge/ dieſes aber nicht/ wenn jenes fiele. Da nun ih- rer ſo viel ihre ſelbſteigene Liebe des Vaterlands [Spaltenumbruch] nachgeſetzt/ und deſſen Wohlſt and mit ihren Lei- chen unterſtuͤtzet haͤtten/ wie waͤre des Sinadats Ehfrau ohne ſich der Verraͤtherey ſelbſt theil- hafft zu machen ihres verraͤtheriſchen Ehmanns zu ſchonen/ und das gemeine Heil in Grund zu ſtuͤrtzen berechtigt geweſen? Sintemal ja die Eh ein Verbuͤndnuͤß der Hertzen/ nicht aber der Laſter ſeyn ſolte. Erato begegnete dem Rheme- talces: Sie gebe gerne nach: daß ein Weib ihren Ehmann von boͤſen Entſchluͤſſungen abzuleiten bemuͤht ſeyn; aber ihn doch nicht ſelbſt angeben ſolte. So wenig einer ſich ſelbſt anzuklagen ſchuldig waͤre/ ſo wenig laͤge es ſeiner unzertreñ- lichen Gefaͤrtin in allem Ungluͤck und zweifel- hafften Faͤllen ob. Calliroe/ welche ihres Va- ters Lycus abſcheuliche Menſchen-Opferung ihrem Liebhaber Diomedes entdecket/ haͤtte ſich hernach mit einem Stricke erhencket; Byſatia die eben dis von dem Maſſyler Koͤnige dem Craſ- ſus offenbart/ ihr die Kehle abſchneiden muͤſſen. Alſo wuͤrde ſie ſich nimmermehr uͤberwinden/ aus Liebe des Vaterlandes dem Ehmanne treu- loß zu weꝛden/ welchen der meiſten Voͤlcker Recht uͤber ihre Weiber die Gewalt des Lebens und des Todes zueignet. Adgandeſter ward erſucht/ hieruͤber den Ausſchlag zu geben/ aber er lehn- te ſein begehꝛtes Uꝛtheil mit allerhand Unterſchei- dungen der Umbſtaͤnde ab; wolte des Sinidats Ehweib wedeꝛ gaͤntzlich veꝛtheidigẽ noch veꝛdam- mẽ; vorwendende: Es gebe ſolche Thaten; welche nach der Eigenſchafft der auf dem Lande und im Waſſer lebender Thiere gewiſſer maſſen zu den Tugenden und Laſtern gerechnet werden koͤnten. Jedoch/ ſagte er/ fragte Koͤnig Hunn nach der Zeit wenig nach ihr; ſie ſelbſt brachte ihr uͤbriges Leben mit Einſamkeit hin/ ihren Kin- dern aber nur die Ungenoſſenheit der nichts minder fallenden Straffen zuwege. Der Skordisker Fuͤrſt Theſſalor fluͤchtete ſich zum Antigonus/ und erhaͤrtete durch ſein Beyſpiel: daß ein beleidigter Freund mehr als tauſend Feinde Unheil ſtiften koͤnten. Denn nach dem alle Erſter Theil. G g g g g
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Arminius und Thußnelda.
Koͤnigin Erato an zu ruffen/ mit was fuͤr Em-
pfindligkeit iſt dieſer Schlag nicht des Sinadats
Weibe durchs Hertz gegangen? Hat ſie einen
Augenblick den Tod ihres Ehmanns uͤberlebt/
dem ſie eh als der Hencker das Meſſer an die
Gurgel geſetzt? Oder haben die/ welche ihre Eh-
maͤnner aufrichtiger lieb gewonnen/ nicht ſie als
eine Unholdin/ die den Eyd der Treue/ und das
heilige Band der Ehe zerriſſen/ verfluchet? Fuͤrſt
Rhemetalces laͤchelte/ und bat/ ſie moͤchte dieſe
Ruhms-wuͤrdige Heldin/ welcher Pannonien
einen Ehren-Krantz ſchuldig blieben waͤre/ nicht
unverhoͤrter Sache durch ein ſo ſtrenges Urtheil
verdammen. Denn ob zwar die Liebe eines
Ehweibes alle andere uͤbertreffen ſolte/ waͤre
ſelbte doch dem Maͤß-Stabe der Vernunfft
unterworffen/ ohne welchen alle Tugenden zu
Laſtern wuͤrden. Sie koͤnte ihr Hertz
zwar mit keinem Nebenbuhler theilen/ aber ſie
waͤre nicht befugt es ihrem Vaterlande zu ent-
ziehen; welches uͤber uns mehr Gewalt haͤtte/ als
Vaͤter uͤber ihre Kinder/ und Maͤnner uͤber
ihre Weiber. Der Ehleute Liebe waͤre ange-
nommen/ des Vaterlands aber angebohren.
Ja auch die angebohrne muͤſte des Vaterlands
Liebe aus dem Wege treten. Daher haͤtte A-
geſilaus zu unſterblichem Nachruhme ſeinen
Sohn Pauſanias der Spartaner Fuͤrſten/ weil
er ſein Vaterland dem Xerxes fuͤr 500. Talent
verrathen wollen/ durch Hunger getoͤdtet/ ſeine
Mutter aber die Leiche unbegraben weggeworf-
fen. Brutus und Caſſius haͤtten dieſe Zaͤrtlig-
keit ihnen aus dem Gemuͤthe geſchlagen/ als ſie
beyde ihre wider das Vaterland aufgeſtandene
Soͤhne zum Tode verurtheilet; und Fulvius/
als er ſeines Sohnes Kopf ſpringen ſahe/ geſagt:
Er haͤtte ihn nicht dem Catilina wider das Va-
terland/ ſondern dem Vaterlande wider Catili-
nen gezeuget. Das Vaterland koͤnte wohl be-
ſtehen/ wenn ein Geſchlechte zu Grunde ginge/
dieſes aber nicht/ wenn jenes fiele. Da nun ih-
rer ſo viel ihre ſelbſteigene Liebe des Vaterlands
nachgeſetzt/ und deſſen Wohlſt and mit ihren Lei-
chen unterſtuͤtzet haͤtten/ wie waͤre des Sinadats
Ehfrau ohne ſich der Verraͤtherey ſelbſt theil-
hafft zu machen ihres verraͤtheriſchen Ehmanns
zu ſchonen/ und das gemeine Heil in Grund
zu ſtuͤrtzen berechtigt geweſen? Sintemal ja die
Eh ein Verbuͤndnuͤß der Hertzen/ nicht aber der
Laſter ſeyn ſolte. Erato begegnete dem Rheme-
talces: Sie gebe gerne nach: daß ein Weib ihren
Ehmann von boͤſen Entſchluͤſſungen abzuleiten
bemuͤht ſeyn; aber ihn doch nicht ſelbſt angeben
ſolte. So wenig einer ſich ſelbſt anzuklagen
ſchuldig waͤre/ ſo wenig laͤge es ſeiner unzertreñ-
lichen Gefaͤrtin in allem Ungluͤck und zweifel-
hafften Faͤllen ob. Calliroe/ welche ihres Va-
ters Lycus abſcheuliche Menſchen-Opferung
ihrem Liebhaber Diomedes entdecket/ haͤtte ſich
hernach mit einem Stricke erhencket; Byſatia
die eben dis von dem Maſſyler Koͤnige dem Craſ-
ſus offenbart/ ihr die Kehle abſchneiden muͤſſen.
Alſo wuͤrde ſie ſich nimmermehr uͤberwinden/
aus Liebe des Vaterlandes dem Ehmanne treu-
loß zu weꝛden/ welchen der meiſten Voͤlcker Recht
uͤber ihre Weiber die Gewalt des Lebens und
des Todes zueignet. Adgandeſter ward erſucht/
hieruͤber den Ausſchlag zu geben/ aber er lehn-
te ſein begehꝛtes Uꝛtheil mit allerhand Unterſchei-
dungen der Umbſtaͤnde ab; wolte des Sinidats
Ehweib wedeꝛ gaͤntzlich veꝛtheidigẽ noch veꝛdam-
mẽ; vorwendende: Es gebe ſolche Thaten; welche
nach der Eigenſchafft der auf dem Lande und
im Waſſer lebender Thiere gewiſſer maſſen zu
den Tugenden und Laſtern gerechnet werden
koͤnten. Jedoch/ ſagte er/ fragte Koͤnig Hunn
nach der Zeit wenig nach ihr; ſie ſelbſt brachte ihr
uͤbriges Leben mit Einſamkeit hin/ ihren Kin-
dern aber nur die Ungenoſſenheit der nichts
minder fallenden Straffen zuwege. Der
Skordisker Fuͤrſt Theſſalor fluͤchtete ſich zum
Antigonus/ und erhaͤrtete durch ſein Beyſpiel:
daß ein beleidigter Freund mehr als tauſend
Feinde Unheil ſtiften koͤnten. Denn nach dem
alle
Erſter Theil. G g g g g
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 783[787]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/847>, abgerufen am 03.07.2024. |