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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Heracleotes wolte durch Hunger/ Diogenes
durch rauhe Speisen um diese Zeit Gotte den
Tod abzwingen. Jch werde zwar auff diesem
Holtzstosse meinen geäscherten Leib der Erde/
meine Seele ihrem Schöpffer wieder zuwen-
den. Glaubet aber: daß ich zu dieser Entschlüs-
sung weder aus Aberglauben/ noch aus Verdruß
zu leben gebracht werde. Die verlebten oder er-
kranckten Heruler sollen eine Gewonheit/ die
über sechzig Jahr alten Einwohner des Eylan-
des Chio ein Gesetze haben/ durch den Tod ihrem
kindischen Leben vorzukommen. Die Maßilier
heben in einem Tempel Gifft für dieselben auf/
welche zu sterben rechtmäßige Ursachen anzei-
gen. Jn meinem Vaterlande Taprobana ist es
einem gewissen Volcke aufferlegt: daß sie nach
dem siebzigsten Jahre zwischen tödtenden Kräu-
tern einschlaffen müssen. Die Getischen Welt-
weisen halten es für ein Theil ihrer Weißheit/
wenn sie zu leben müde sind/ mit gekräntztem
Haupte und lachendem Munde von abschüssi-
gen Klippen sich in das Meer stürtzen. Jch weiß
auch wol: daß die Stoischen Weltweisen für gut
halten/ die Seele aus einem abgemergelten Lei-
be gleichsam als aus einem verfaulten/ und den
Einfall dräuenden Hause zu reissen; und für
rühmlicher Abschied nehmen/ als aus diesem
morschen Gebäue gestossen werden. Allein haben
wir das Haus unsers Leibes gebauet/ welches
wir einbrechen wollen? Oder gehöret es nicht
vielmehr Gott eigentlich zu/ und hat uns die Na-
tur nicht nur Mietungs-weise darein gesetzt? So
müssen wir es ja auch ihm unversehrt wieder
abtreten; wenn die bestimmte Zeit verflossen
ist. Darum halte ich es mit eurem Epicu-
rus nicht nur für lächerlich/ aus Uberdruß
des Lebens dem Tode entgegen rennen/ son-
dern für eine zaghaffte Schwachheit aus Un-
gedult einiger Schmertzen ihm den Tod an-
thun. Also sterben ist nicht die Schmertzen
überwinden/ sondern von selbten überwun-
den werden. Beydes ist der Weichlinge Ei-
[Spaltenumbruch] genschafft; Ohne Noth sterben/ und sich für
dem Tode entsetzen. Daher verdiente solch
Selbst-Mord den Nahmen einer Viehischen
That/ wenn das Vieh hierinnen nicht klüger
als die Menschen wäre. Bruder- und Va-
ter-Mord ist gegen dem ein so viel grausamer
Laster/ als wir uns selbst über Vater und
Bruder lieb zu haben schuldig sind. Dieses
entschuldigt auch nicht die Schmach eines an-
dern für Augen schwebenden Todes. Denn
es ist besser dem Hencker den Nacken darstre-
cken/ als unsere Hand mit einem Mord-Ei-
sen ausrüsten. Wir sollen dem Verhängnisse
gerade ins Gesichte sehen/ und behertzigen: daß
es die höchste Unvernunfft sey/ darum sterben;
daß man nicht sterbe. Ja wir verdammenso gar/
die aus Begierde der Seligkeit ihnen das Leben
nehmen. Denn Gott hat/ nach euers Pla-
to Meynung/ uns Menschen in die Welt dem
Verhängnisse zur Verwahrung gegeben/ wel-
cher wir uns eigenmächtig zu entbrechen nicht
befugt sind. Wir sind nach unser Willkühr
nicht gebohren worden; wie viel weniger kön-
nen wir also sterben; und die Wohnstatt un-
sers Leibes ausleeren/ die uns Gott zu ver-
wahren anvertrauet hat. Daher ich die Sit-
ten derselben Völcker lobe/ die die Selbst-Mör-
der entweder gar nicht/ oder die Hand/ die den
verzweiffelten Streich verübet/ als ein feind-
liches Glied des andern Leibes absonderlich be-
erdigen/ oder die Selbst-Mörder gar keines
Grabes würdigen. Denn weil sie durch diß Laster
dem Willen des ewigen Vaters widerstreben/
sind sie nicht werth: daß sie die Mutter/ nehmlich
die Erde in ihre Schoß auffnehme. Am aller-
wenigsten aber habe ich zu sterben Ursach. Denn
mein Alter ist noch ohne Schwachheit/ mein
Leib ohne Gebrechen/ mein Gewissen ohne Na-
gung. Ein unbesudeltes Leben aber hat so we-
nig als ein abgeläuterter Wein in der Neige
Hefen. Alleine ich kriege einen besondern Bo-
then von Gott/ der mich aus diesem Leben ruf-

fet.
Erster Theil. X x x x

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] Heracleotes wolte durch Hunger/ Diogenes
durch rauhe Speiſen um dieſe Zeit Gotte den
Tod abzwingen. Jch werde zwar auff dieſem
Holtzſtoſſe meinen geaͤſcherten Leib der Erde/
meine Seele ihrem Schoͤpffer wieder zuwen-
den. Glaubet aber: daß ich zu dieſer Entſchluͤſ-
ſung weder aus Aberglauben/ noch aus Veꝛdruß
zu leben gebracht werde. Die verlebten oder er-
kranckten Heruler ſollen eine Gewonheit/ die
uͤber ſechzig Jahr alten Einwohner des Eylan-
des Chio ein Geſetze haben/ durch den Tod ihrem
kindiſchen Leben vorzukommen. Die Maßilier
heben in einem Tempel Gifft fuͤr dieſelben auf/
welche zu ſterben rechtmaͤßige Urſachen anzei-
gen. Jn meinem Vaterlande Taprobana iſt es
einem gewiſſen Volcke aufferlegt: daß ſie nach
dem ſiebzigſten Jahre zwiſchen toͤdtenden Kraͤu-
tern einſchlaffen muͤſſen. Die Getiſchen Welt-
weiſen halten es fuͤr ein Theil ihrer Weißheit/
wenn ſie zu leben muͤde ſind/ mit gekraͤntztem
Haupte und lachendem Munde von abſchuͤſſi-
gen Klippen ſich in das Meer ſtuͤrtzen. Jch weiß
auch wol: daß die Stoiſchen Weltweiſen fuͤr gut
halten/ die Seele aus einem abgemergelten Lei-
be gleichſam als aus einem verfaulten/ und den
Einfall draͤuenden Hauſe zu reiſſen; und fuͤr
ruͤhmlicher Abſchied nehmen/ als aus dieſem
morſchen Gebaͤue geſtoſſen weꝛden. Allein haben
wir das Haus unſers Leibes gebauet/ welches
wir einbrechen wollen? Oder gehoͤret es nicht
vielmehr Gott eigentlich zu/ und hat uns die Na-
tur nicht nur Mietungs-weiſe darein geſetzt? So
muͤſſen wir es ja auch ihm unverſehrt wieder
abtreten; wenn die beſtimmte Zeit verfloſſen
iſt. Darum halte ich es mit eurem Epicu-
rus nicht nur fuͤr laͤcherlich/ aus Uberdruß
des Lebens dem Tode entgegen rennen/ ſon-
dern fuͤr eine zaghaffte Schwachheit aus Un-
gedult einiger Schmertzen ihm den Tod an-
thun. Alſo ſterben iſt nicht die Schmertzen
uͤberwinden/ ſondern von ſelbten uͤberwun-
den werden. Beydes iſt der Weichlinge Ei-
[Spaltenumbruch] genſchafft; Ohne Noth ſterben/ und ſich fuͤr
dem Tode entſetzen. Daher verdiente ſolch
Selbſt-Mord den Nahmen einer Viehiſchen
That/ wenn das Vieh hierinnen nicht kluͤger
als die Menſchen waͤre. Bruder- und Va-
ter-Mord iſt gegen dem ein ſo viel grauſamer
Laſter/ als wir uns ſelbſt uͤber Vater und
Bruder lieb zu haben ſchuldig ſind. Dieſes
entſchuldigt auch nicht die Schmach eines an-
dern fuͤr Augen ſchwebenden Todes. Denn
es iſt beſſer dem Hencker den Nacken darſtre-
cken/ als unſere Hand mit einem Mord-Ei-
ſen ausruͤſten. Wir ſollen dem Verhaͤngniſſe
gerade ins Geſichte ſehen/ und behertzigen: daß
es die hoͤchſte Unvernunfft ſey/ darum ſterben;
daß man nicht ſterbe. Ja wir verdammenſo gar/
die aus Begierde der Seligkeit ihnen das Leben
nehmen. Denn Gott hat/ nach euers Pla-
to Meynung/ uns Menſchen in die Welt dem
Verhaͤngniſſe zur Verwahrung gegeben/ wel-
cher wir uns eigenmaͤchtig zu entbrechen nicht
befugt ſind. Wir ſind nach unſer Willkuͤhr
nicht gebohren worden; wie viel weniger koͤn-
nen wir alſo ſterben; und die Wohnſtatt un-
ſers Leibes ausleeren/ die uns Gott zu ver-
wahren anvertrauet hat. Daher ich die Sit-
ten derſelben Voͤlcker lobe/ die die Selbſt-Moͤr-
der entweder gar nicht/ oder die Hand/ die den
verzweiffelten Streich veruͤbet/ als ein feind-
liches Glied des andern Leibes abſonderlich be-
erdigen/ oder die Selbſt-Moͤrder gar keines
Grabes wuͤrdigen. Deñ weil ſie durch diß Laſter
dem Willen des ewigen Vaters widerſtreben/
ſind ſie nicht werth: daß ſie die Mutter/ nehmlich
die Erde in ihre Schoß auffnehme. Am aller-
wenigſten aber habe ich zu ſterben Urſach. Deñ
mein Alter iſt noch ohne Schwachheit/ mein
Leib ohne Gebrechen/ mein Gewiſſen ohne Na-
gung. Ein unbeſudeltes Leben aber hat ſo we-
nig als ein abgelaͤuterter Wein in der Neige
Hefen. Alleine ich kriege einen beſondern Bo-
then von Gott/ der mich aus dieſem Leben ruf-

fet.
Erſter Theil. X x x x
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[713/0769] Arminius und Thußnelda. Heracleotes wolte durch Hunger/ Diogenes durch rauhe Speiſen um dieſe Zeit Gotte den Tod abzwingen. Jch werde zwar auff dieſem Holtzſtoſſe meinen geaͤſcherten Leib der Erde/ meine Seele ihrem Schoͤpffer wieder zuwen- den. Glaubet aber: daß ich zu dieſer Entſchluͤſ- ſung weder aus Aberglauben/ noch aus Veꝛdruß zu leben gebracht werde. Die verlebten oder er- kranckten Heruler ſollen eine Gewonheit/ die uͤber ſechzig Jahr alten Einwohner des Eylan- des Chio ein Geſetze haben/ durch den Tod ihrem kindiſchen Leben vorzukommen. Die Maßilier heben in einem Tempel Gifft fuͤr dieſelben auf/ welche zu ſterben rechtmaͤßige Urſachen anzei- gen. Jn meinem Vaterlande Taprobana iſt es einem gewiſſen Volcke aufferlegt: daß ſie nach dem ſiebzigſten Jahre zwiſchen toͤdtenden Kraͤu- tern einſchlaffen muͤſſen. Die Getiſchen Welt- weiſen halten es fuͤr ein Theil ihrer Weißheit/ wenn ſie zu leben muͤde ſind/ mit gekraͤntztem Haupte und lachendem Munde von abſchuͤſſi- gen Klippen ſich in das Meer ſtuͤrtzen. Jch weiß auch wol: daß die Stoiſchen Weltweiſen fuͤr gut halten/ die Seele aus einem abgemergelten Lei- be gleichſam als aus einem verfaulten/ und den Einfall draͤuenden Hauſe zu reiſſen; und fuͤr ruͤhmlicher Abſchied nehmen/ als aus dieſem morſchen Gebaͤue geſtoſſen weꝛden. Allein haben wir das Haus unſers Leibes gebauet/ welches wir einbrechen wollen? Oder gehoͤret es nicht vielmehr Gott eigentlich zu/ und hat uns die Na- tur nicht nur Mietungs-weiſe darein geſetzt? So muͤſſen wir es ja auch ihm unverſehrt wieder abtreten; wenn die beſtimmte Zeit verfloſſen iſt. Darum halte ich es mit eurem Epicu- rus nicht nur fuͤr laͤcherlich/ aus Uberdruß des Lebens dem Tode entgegen rennen/ ſon- dern fuͤr eine zaghaffte Schwachheit aus Un- gedult einiger Schmertzen ihm den Tod an- thun. Alſo ſterben iſt nicht die Schmertzen uͤberwinden/ ſondern von ſelbten uͤberwun- den werden. Beydes iſt der Weichlinge Ei- genſchafft; Ohne Noth ſterben/ und ſich fuͤr dem Tode entſetzen. Daher verdiente ſolch Selbſt-Mord den Nahmen einer Viehiſchen That/ wenn das Vieh hierinnen nicht kluͤger als die Menſchen waͤre. Bruder- und Va- ter-Mord iſt gegen dem ein ſo viel grauſamer Laſter/ als wir uns ſelbſt uͤber Vater und Bruder lieb zu haben ſchuldig ſind. Dieſes entſchuldigt auch nicht die Schmach eines an- dern fuͤr Augen ſchwebenden Todes. Denn es iſt beſſer dem Hencker den Nacken darſtre- cken/ als unſere Hand mit einem Mord-Ei- ſen ausruͤſten. Wir ſollen dem Verhaͤngniſſe gerade ins Geſichte ſehen/ und behertzigen: daß es die hoͤchſte Unvernunfft ſey/ darum ſterben; daß man nicht ſterbe. Ja wir verdammenſo gar/ die aus Begierde der Seligkeit ihnen das Leben nehmen. Denn Gott hat/ nach euers Pla- to Meynung/ uns Menſchen in die Welt dem Verhaͤngniſſe zur Verwahrung gegeben/ wel- cher wir uns eigenmaͤchtig zu entbrechen nicht befugt ſind. Wir ſind nach unſer Willkuͤhr nicht gebohren worden; wie viel weniger koͤn- nen wir alſo ſterben; und die Wohnſtatt un- ſers Leibes ausleeren/ die uns Gott zu ver- wahren anvertrauet hat. Daher ich die Sit- ten derſelben Voͤlcker lobe/ die die Selbſt-Moͤr- der entweder gar nicht/ oder die Hand/ die den verzweiffelten Streich veruͤbet/ als ein feind- liches Glied des andern Leibes abſonderlich be- erdigen/ oder die Selbſt-Moͤrder gar keines Grabes wuͤrdigen. Deñ weil ſie durch diß Laſter dem Willen des ewigen Vaters widerſtreben/ ſind ſie nicht werth: daß ſie die Mutter/ nehmlich die Erde in ihre Schoß auffnehme. Am aller- wenigſten aber habe ich zu ſterben Urſach. Deñ mein Alter iſt noch ohne Schwachheit/ mein Leib ohne Gebrechen/ mein Gewiſſen ohne Na- gung. Ein unbeſudeltes Leben aber hat ſo we- nig als ein abgelaͤuterter Wein in der Neige Hefen. Alleine ich kriege einen beſondern Bo- then von Gott/ der mich aus dieſem Leben ruf- fet. Erſter Theil. X x x x

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/769>, abgerufen am 23.11.2024.