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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Fünfftes Buch
[Spaltenumbruch] wie der Albunische See bey Tibur oben eyß-
kalt/ unten aber siedend-heiß ist. Daselbst
leitete mich eine entspringende Bach bey nächt-
licher Zeit biß an das Ende des durchbrochenen
Gebürges. Ob ich nun zwar der Haupt-
Stadt Sigan nur aüf 30. Stadien entfernet
war/ hielt ich doch für rathsamer den noch in dem
Gebürge befestigten Feind zu überfallen/ und
also der Scythischen Reiterey den Weg zu öff-
nen. Diese Entschlüssung gelückte mir bey
anbrechendem Morgen so wohl/ daß mein
Volck sich ehe auf dem Walle befand/ ehe der
Feind zu den Waffen grieff/ und deswegen
auch die/ welche sie in Händen hatten/ entweder
aus Verzweifelung/ oder ihrem Andeuten nach/
weil sie die Scythen bey ihrem Uberfalle nicht
mehr für Menschen/ sondern für Götter zu hal-
ten angefangen hatten/ zu Bodem warffen.
Diese Gefangenen musten nun selbst die zer-
scheiterte Brücke wieder bauen/ und ihrem
Feinde seinen Siegs-Weg bähnen. Allhier
hatte König Lieupang dem Stiffter dieses wun-
derwürdigen Felsen-Bruchs Changleang zu
Ehren an den Gipfel des höchsten Felsen mit
sechs Ellen langen Buchstaben folgende Reymen
eingraben lassen:

Daß Changleang fürs Reich Verstand und Sebel wetzet/
Die Mauern äschert ein/ und Völcker tritt in Koth/
Durch unser Feinde Blut den Saffran-Fluß macht roth/
Hat ihm den Lorber-Krantz der Helden aufgesetzet.
Jn dem wird aber er für mehr als Mensch erkennet/
Daß er den Abgrund bähnt/ Gebürge reisset ein;
Denn in der Götter Hand beruhen ja allein
Die Schlüssel der Natur/ und Blitz/ der Felsen trennet.

Also verrichtet ein grosses Hertz und ein klu-
ger Kopf wohl herrliche Wercke; aber eine be-
redte Zunge oder eine gelehrte Feder muß selb-
ten einen Firnüß anstreichen; welchen denn
dieses Wunderwerck meinem Urtheil nach
wohl verdienete/ als gegen welchem die Arl eit
des Xerxes/ der dem Berge Athos einen lächer-
lichen Dräu-Brief/ daß er nehmlich ihn/ da er
[Spaltenumbruch] sich übel durchgraben lassen würde/ ins Meer
stürtzen wolte/ geschrieben/ und ihn hernach mit
einem nur 1500. Schritte langen Durchschnitte
von dem festen Lande abgesondert; wie nichts
minder der vom Lucullus durch den Berg Pau-
silippus gehauene Weg/ welchem bey den Se-
rern einer durch den Mingyve gleichet/ für
einen blossen Schatten zu achten ist. Ja wenn
ich an der Scythen Durchbruch über diese
Klippen nicht Antheil hätte/ unterstünde ich
mich ihn des Hannibals Reise über das Pyre-
neische Gebürge weit fürzuziehen. Daher ich
jener Uberschrifft gegen über an einen Fels
mit nicht kleinern Buchstaben eingraben
ließ:

Zermalmen Fels und Klufft/ und durch Gebürge brechen/
Von Berge biß zu Berg auf Meere Brücken baun/
Den Schiffen eine Bahn durch Land und Klippen hann/
Läst unter menschliches Erkühnen sich wohl rechen.
Daß aber über Wolck' und Berg der Scythe klettert/
Und übern Abgrund klimmt/ den auch ein Vogel scheut/
Wenn ein gewaffnet Volck ihm Tod und Mord gleich dreut/
Das hat Huhansien im Leben schon vergöttert.

Hertzog Herrmann bezeugte über diesen Hel-
denmässigen Thaten eine sonderbare Vergnü-
gung/ und gab gegen dem Fürsten Zeno zu ver-
stehen/ daß er in diesem wichtigen Vornehmen
nichts minder einen vollkommenen Staats-
Klugen/ als einen tapfern Feldherrn abgebildet
hätte; da er zwar dieses Gebürge erobert/ in
dem seinem Könige aufgerichteten Ehrenmahle
aber seiner so gar vergessen. Denn ein Die-
ner solte niemals aus seinen Thaten ihm einen
Ruhm erzwingen; sondern das ihm zugestosse-
ne Glücke alleine der vernünftigen Leitung sei-
nes Fürsten zuschreiben; in Erwegung/ daß auch
der geschickste Ruderknecht mit seinem Schweisse
nichts zu Umbwendung eines Schiffs helffe;
sondern an der einigen Hand des Steuer-Man-
nes die Eiurichtung der gantzen Farth hänge.
Bey so gestalten Sachen wird er durch seine
Tugend ihm gehorsamen/ durch die Entäuserung

seines

Fuͤnfftes Buch
[Spaltenumbruch] wie der Albuniſche See bey Tibur oben eyß-
kalt/ unten aber ſiedend-heiß iſt. Daſelbſt
leitete mich eine entſpringende Bach bey naͤcht-
licher Zeit biß an das Ende des durchbrochenen
Gebuͤrges. Ob ich nun zwar der Haupt-
Stadt Sigan nur auͤf 30. Stadien entfernet
war/ hielt ich doch fuͤr rathſamer den noch in dem
Gebuͤrge befeſtigten Feind zu uͤberfallen/ und
alſo der Scythiſchen Reiterey den Weg zu oͤff-
nen. Dieſe Entſchluͤſſung geluͤckte mir bey
anbrechendem Morgen ſo wohl/ daß mein
Volck ſich ehe auf dem Walle befand/ ehe der
Feind zu den Waffen grieff/ und deswegen
auch die/ welche ſie in Haͤnden hatten/ entweder
aus Verzweifelung/ oder ihrem Andeuten nach/
weil ſie die Scythen bey ihrem Uberfalle nicht
mehr fuͤr Menſchen/ ſondern fuͤr Goͤtter zu hal-
ten angefangen hatten/ zu Bodem warffen.
Dieſe Gefangenen muſten nun ſelbſt die zer-
ſcheiterte Bruͤcke wieder bauen/ und ihrem
Feinde ſeinen Siegs-Weg baͤhnen. Allhier
hatte Koͤnig Lieupang dem Stiffter dieſes wun-
derwuͤrdigen Felſen-Bruchs Changleang zu
Ehren an den Gipfel des hoͤchſten Felſen mit
ſechs Ellen langen Buchſtaben folgende Reymen
eingraben laſſen:

Daß Changleang fuͤrs Reich Verſtand und Sebel wetzet/
Die Mauern aͤſchert ein/ und Voͤlcker tritt in Koth/
Durch unſer Feinde Blut den Saffran-Fluß macht roth/
Hat ihm den Lorber-Krantz der Helden aufgeſetzet.
Jn dem wird aber er fuͤr mehr als Menſch erkennet/
Daß er den Abgrund baͤhnt/ Gebuͤrge reiſſet ein;
Denn in der Goͤtter Hand beruhen ja allein
Die Schluͤſſel der Natur/ und Blitz/ der Felſen trennet.

Alſo verrichtet ein groſſes Hertz und ein klu-
ger Kopf wohl herrliche Wercke; aber eine be-
redte Zunge oder eine gelehrte Feder muß ſelb-
ten einen Firnuͤß anſtreichen; welchen denn
dieſes Wunderwerck meinem Urtheil nach
wohl verdienete/ als gegen welchem die Arl eit
des Xerxes/ der dem Berge Athos einen laͤcher-
lichen Draͤu-Brief/ daß er nehmlich ihn/ da er
[Spaltenumbruch] ſich uͤbel durchgraben laſſen wuͤrde/ ins Meer
ſtuͤrtzen wolte/ geſchrieben/ und ihn hernach mit
einem nur 1500. Schritte langen Durchſchnitte
von dem feſten Lande abgeſondert; wie nichts
minder der vom Lucullus durch den Berg Pau-
ſilippus gehauene Weg/ welchem bey den Se-
rern einer durch den Mingyve gleichet/ fuͤr
einen bloſſen Schatten zu achten iſt. Ja wenn
ich an der Scythen Durchbruch uͤber dieſe
Klippen nicht Antheil haͤtte/ unterſtuͤnde ich
mich ihn des Hannibals Reiſe uͤber das Pyre-
neiſche Gebuͤrge weit fuͤrzuziehen. Daher ich
jener Uberſchrifft gegen uͤber an einen Fels
mit nicht kleinern Buchſtaben eingraben
ließ:

Zermalmen Fels und Klufft/ und durch Gebuͤrge brechen/
Von Berge biß zu Berg auf Meere Bruͤcken baun/
Den Schiffen eine Bahn durch Land und Klippen hann/
Laͤſt unter menſchliches Erkuͤhnen ſich wohl rechen.
Daß aber uͤber Wolck’ und Berg der Scythe klettert/
Und uͤbern Abgrund klim̃t/ den auch ein Vogel ſcheut/
Wenn ein gewaffnet Volck ihm Tod und Mord gleich dreut/
Das hat Huhanſien im Leben ſchon vergoͤttert.

Hertzog Herrmann bezeugte uͤber dieſen Hel-
denmaͤſſigen Thaten eine ſonderbare Vergnuͤ-
gung/ und gab gegen dem Fuͤrſten Zeno zu ver-
ſtehen/ daß er in dieſem wichtigen Vornehmen
nichts minder einen vollkommenen Staats-
Klugen/ als einen tapfern Feldherrn abgebildet
haͤtte; da er zwar dieſes Gebuͤrge erobert/ in
dem ſeinem Koͤnige aufgerichteten Ehrenmahle
aber ſeiner ſo gar vergeſſen. Denn ein Die-
ner ſolte niemals aus ſeinen Thaten ihm einen
Ruhm erzwingen; ſondern das ihm zugeſtoſſe-
ne Gluͤcke alleine der vernuͤnftigen Leitung ſei-
nes Fuͤrſten zuſchreiben; in Erwegung/ daß auch
der geſchickſte Ruderknecht mit ſeinem Schweiſſe
nichts zu Umbwendung eines Schiffs helffe;
ſondern an der einigen Hand des Steuer-Man-
nes die Eiurichtung der gantzen Farth haͤnge.
Bey ſo geſtalten Sachen wird er durch ſeine
Tugend ihm gehorſamẽ/ durch die Entaͤuſerung

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[628/0684] Fuͤnfftes Buch wie der Albuniſche See bey Tibur oben eyß- kalt/ unten aber ſiedend-heiß iſt. Daſelbſt leitete mich eine entſpringende Bach bey naͤcht- licher Zeit biß an das Ende des durchbrochenen Gebuͤrges. Ob ich nun zwar der Haupt- Stadt Sigan nur auͤf 30. Stadien entfernet war/ hielt ich doch fuͤr rathſamer den noch in dem Gebuͤrge befeſtigten Feind zu uͤberfallen/ und alſo der Scythiſchen Reiterey den Weg zu oͤff- nen. Dieſe Entſchluͤſſung geluͤckte mir bey anbrechendem Morgen ſo wohl/ daß mein Volck ſich ehe auf dem Walle befand/ ehe der Feind zu den Waffen grieff/ und deswegen auch die/ welche ſie in Haͤnden hatten/ entweder aus Verzweifelung/ oder ihrem Andeuten nach/ weil ſie die Scythen bey ihrem Uberfalle nicht mehr fuͤr Menſchen/ ſondern fuͤr Goͤtter zu hal- ten angefangen hatten/ zu Bodem warffen. Dieſe Gefangenen muſten nun ſelbſt die zer- ſcheiterte Bruͤcke wieder bauen/ und ihrem Feinde ſeinen Siegs-Weg baͤhnen. Allhier hatte Koͤnig Lieupang dem Stiffter dieſes wun- derwuͤrdigen Felſen-Bruchs Changleang zu Ehren an den Gipfel des hoͤchſten Felſen mit ſechs Ellen langen Buchſtaben folgende Reymen eingraben laſſen: Daß Changleang fuͤrs Reich Verſtand und Sebel wetzet/ Die Mauern aͤſchert ein/ und Voͤlcker tritt in Koth/ Durch unſer Feinde Blut den Saffran-Fluß macht roth/ Hat ihm den Lorber-Krantz der Helden aufgeſetzet. Jn dem wird aber er fuͤr mehr als Menſch erkennet/ Daß er den Abgrund baͤhnt/ Gebuͤrge reiſſet ein; Denn in der Goͤtter Hand beruhen ja allein Die Schluͤſſel der Natur/ und Blitz/ der Felſen trennet. Alſo verrichtet ein groſſes Hertz und ein klu- ger Kopf wohl herrliche Wercke; aber eine be- redte Zunge oder eine gelehrte Feder muß ſelb- ten einen Firnuͤß anſtreichen; welchen denn dieſes Wunderwerck meinem Urtheil nach wohl verdienete/ als gegen welchem die Arl eit des Xerxes/ der dem Berge Athos einen laͤcher- lichen Draͤu-Brief/ daß er nehmlich ihn/ da er ſich uͤbel durchgraben laſſen wuͤrde/ ins Meer ſtuͤrtzen wolte/ geſchrieben/ und ihn hernach mit einem nur 1500. Schritte langen Durchſchnitte von dem feſten Lande abgeſondert; wie nichts minder der vom Lucullus durch den Berg Pau- ſilippus gehauene Weg/ welchem bey den Se- rern einer durch den Mingyve gleichet/ fuͤr einen bloſſen Schatten zu achten iſt. Ja wenn ich an der Scythen Durchbruch uͤber dieſe Klippen nicht Antheil haͤtte/ unterſtuͤnde ich mich ihn des Hannibals Reiſe uͤber das Pyre- neiſche Gebuͤrge weit fuͤrzuziehen. Daher ich jener Uberſchrifft gegen uͤber an einen Fels mit nicht kleinern Buchſtaben eingraben ließ: Zermalmen Fels und Klufft/ und durch Gebuͤrge brechen/ Von Berge biß zu Berg auf Meere Bruͤcken baun/ Den Schiffen eine Bahn durch Land und Klippen hann/ Laͤſt unter menſchliches Erkuͤhnen ſich wohl rechen. Daß aber uͤber Wolck’ und Berg der Scythe klettert/ Und uͤbern Abgrund klim̃t/ den auch ein Vogel ſcheut/ Wenn ein gewaffnet Volck ihm Tod und Mord gleich dreut/ Das hat Huhanſien im Leben ſchon vergoͤttert. Hertzog Herrmann bezeugte uͤber dieſen Hel- denmaͤſſigen Thaten eine ſonderbare Vergnuͤ- gung/ und gab gegen dem Fuͤrſten Zeno zu ver- ſtehen/ daß er in dieſem wichtigen Vornehmen nichts minder einen vollkommenen Staats- Klugen/ als einen tapfern Feldherrn abgebildet haͤtte; da er zwar dieſes Gebuͤrge erobert/ in dem ſeinem Koͤnige aufgerichteten Ehrenmahle aber ſeiner ſo gar vergeſſen. Denn ein Die- ner ſolte niemals aus ſeinen Thaten ihm einen Ruhm erzwingen; ſondern das ihm zugeſtoſſe- ne Gluͤcke alleine der vernuͤnftigen Leitung ſei- nes Fuͤrſten zuſchreiben; in Erwegung/ daß auch der geſchickſte Ruderknecht mit ſeinem Schweiſſe nichts zu Umbwendung eines Schiffs helffe; ſondern an der einigen Hand des Steuer-Man- nes die Eiurichtung der gantzen Farth haͤnge. Bey ſo geſtalten Sachen wird er durch ſeine Tugend ihm gehorſamẽ/ durch die Entaͤuſerung ſeines

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/684>, abgerufen am 22.11.2024.