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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Achtes Buch
[Spaltenumbruch] der Wollust fürstreuen/ den Ruhm der Mäs-
sigkeit/ wie ein Kriegs-Mann der Tapfferkeit/
der durch ihm zusetzendes Feuer und Eisen sich
hertzhafft durchgeschlagen hat. Salonine brach
ein: So höre ich wol: Fürst Adgandester
pflichte dem neuen Weltweisen bey; welcher
unlängst keine nicht in Versuchung geführte
Tugend darfür wolte gelten lassen; und daher
das Behältnüß der Vestalischen Jungfrauen
für einen knechtischen Kercker der Seele/ und
die Einsamkeit für ein Fuß - Eisen der Tu-
gend verdammte; hingegen seine Schüler in
offentliche Huren-Häuser zu Anschauung der
schändlichen Geilheiten führte; denen entblö-
sten Weibern ihre Brüste betastete/ und darbey
sich einer kaltsinnigen Unempfindligkeit rühm-
te/ um seinen Nachfolgern theils die Heßligkeit
der Laster für Augen zu stellen/ theils sie anzu-
gewöhnen/ wie sie die Versuchungen der Wol-
lüste auch/ wenn sie mit allen ihren Waffen an-
sätzten/ mit unverwendetem Gesicht über stehen
solten: Daher er auch Ulyssen für kein Bild der
Tugend gelten ließ/ weil selbter der Wollust
keinen Streich auszuhalten/ noch die liebreitzen-
den Sirenen anzuhören sich getrauet/ sondern
die Ohren verstopfft/ und für seinem Feinde
entlauffen wäre. Alleine diese Weißheit wolte
nicht den Stich halten. Denn dieser Lehrer
führte seine Schüler zwar leicht auff diese ge-
fährliche Syrten; aber sie wieder heraus zu
bringen war kein Rath; und wurden bey nahe
alle Nachfolger des wollüstigen Aristippus.
Seiner Schwester/ welche hundert schöne
Mägdlein in täglicher Gemeinschafft junger
Edelleute zu Keuschheits-Märterern machen
wolte/ gieng es nicht besser. Denn ehe das
Jahr vorbey war/ giengen ihrer neun und
neuntzig schweren Leibes. Adgandester ant-
wortete: Er stimmte mit niemanden weniger/
als mit dieses aberwitzigen Affter-weisen thö-
richter Meinung überein. Sintemahl ihm
die menschliche Schwachheit/ die angebohrne
[Spaltenumbruch] Neigung zum Bösen/ und die Unvollkommen-
heit der Tugenden all zuwol bekandt wäre. Jn
Anfechtungen müste freylich wol die Keuschheit
eben so wol/ als andere Tugenden den Siegs-
Krantz verdienen. Jn die Stricke der Wollust
aber selbst vorsätzlich rennen/ wäre eben so när-
risch/ als wenn ein Schiffer mit auffgespann-
ten Segeln in den Charybdischen Strudel ren-
nen/ und darmit seine Wissenschafft prüfen
wolte. Sonderlich liesse es zwar sich allen an-
dern Lastern die Stirne bieten/ und selbte/ wie
Hercules die Ungeheuer/ auffsuchen; für der
Wollust aber wäre am rathsamsten Scythisch
zu fechten; welche auff der Flucht mit ihren
Pfeilen dem Feinde den grösten Abbruch thun.
Mit dem Neide möchte man/ wie Alcides mit
dem Anthäus ringen/ die Wollust aber müste
man ihm nicht lassen zu nahe auf den Hals kom-
men/ sondern sie wie Apollo die Gifft-hauchen-
de Schlange Python von weitem erlegen.

Also machte es Fürst Herrmann; der in al-
lem zugleich ein Lehrmeister seines jüngern
Brudern Flavius; und bey seiner Gefangen-
schafft so vergnügt war: daß er bey nahe seines
Vaterlandes darüber vergessen hätte; wenn
selbtes ihm durch die Zeitungen von des Drusus
Kriege nicht mehrmahls wäre ins Gedächtnüß
gerückt/ und deßwegen eine kindliche Sorgfalt
in seinem Gemüthe erweckt worden. Denn
ob ihm zwar sein kluger Lehrmeister mit gutem
Grunde beybracht hatte: daß der Kampff wie-
der das Verhängnüß eine unfruchtbare Rie-
sen-Stürmung des Himmels wäre; und wer
schon unglückselig seyn solte/ von der Last der
vorsichtigsten Hülffs-Mittel erdrückt würde;
ja seinen Aertzten unter den Händen ver gienge;
so kan sich doch ein großmüthig Hertz dieser zärt-
lichen Empfindligkeit und der Bekümmernüß
für sein so süsses Vaterland unmöglich ent-
schlagen; als dessen Liebe unserer Eltern/ ja
unsere eigene niederschlägt. Seine Sorge
verfiel aber gleicher Gestalt nach und nach;

weil/

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] der Wolluſt fuͤrſtreuen/ den Ruhm der Maͤſ-
ſigkeit/ wie ein Kriegs-Mann der Tapfferkeit/
der durch ihm zuſetzendes Feuer und Eiſen ſich
hertzhafft durchgeſchlagen hat. Salonine brach
ein: So hoͤre ich wol: Fuͤrſt Adgandeſter
pflichte dem neuen Weltweiſen bey; welcher
unlaͤngſt keine nicht in Verſuchung gefuͤhrte
Tugend darfuͤr wolte gelten laſſen; und daher
das Behaͤltnuͤß der Veſtaliſchen Jungfrauen
fuͤr einen knechtiſchen Kercker der Seele/ und
die Einſamkeit fuͤr ein Fuß - Eiſen der Tu-
gend verdammte; hingegen ſeine Schuͤler in
offentliche Huren-Haͤuſer zu Anſchauung der
ſchaͤndlichen Geilheiten fuͤhrte; denen entbloͤ-
ſten Weibern ihre Bruͤſte betaſtete/ und darbey
ſich einer kaltſinnigen Unempfindligkeit ruͤhm-
te/ um ſeinen Nachfolgern theils die Heßligkeit
der Laſter fuͤr Augen zu ſtellen/ theils ſie anzu-
gewoͤhnen/ wie ſie die Verſuchungen der Wol-
luͤſte auch/ wenn ſie mit allen ihren Waffen an-
ſaͤtzten/ mit unverwendetem Geſicht uͤber ſtehen
ſolten: Daher er auch Ulyſſen fuͤr kein Bild der
Tugend gelten ließ/ weil ſelbter der Wolluſt
keinen Streich auszuhalten/ noch die liebreitzen-
den Sirenen anzuhoͤren ſich getrauet/ ſondern
die Ohren verſtopfft/ und fuͤr ſeinem Feinde
entlauffen waͤre. Alleine dieſe Weißheit wolte
nicht den Stich halten. Denn dieſer Lehrer
fuͤhrte ſeine Schuͤler zwar leicht auff dieſe ge-
faͤhrliche Syrten; aber ſie wieder heraus zu
bringen war kein Rath; und wurden bey nahe
alle Nachfolger des wolluͤſtigen Ariſtippus.
Seiner Schweſter/ welche hundert ſchoͤne
Maͤgdlein in taͤglicher Gemeinſchafft junger
Edelleute zu Keuſchheits-Maͤrterern machen
wolte/ gieng es nicht beſſer. Denn ehe das
Jahr vorbey war/ giengen ihrer neun und
neuntzig ſchweren Leibes. Adgandeſter ant-
wortete: Er ſtimmte mit niemanden weniger/
als mit dieſes aberwitzigen Affter-weiſen thoͤ-
richter Meinung uͤberein. Sintemahl ihm
die menſchliche Schwachheit/ die angebohrne
[Spaltenumbruch] Neigung zum Boͤſen/ und die Unvollkommen-
heit der Tugenden all zuwol bekandt waͤre. Jn
Anfechtungen muͤſte freylich wol die Keuſchheit
eben ſo wol/ als andere Tugenden den Siegs-
Krantz verdienen. Jn die Stricke der Wolluſt
aber ſelbſt vorſaͤtzlich rennen/ waͤre eben ſo naͤr-
riſch/ als wenn ein Schiffer mit auffgeſpann-
ten Segeln in den Charybdiſchen Strudel ren-
nen/ und darmit ſeine Wiſſenſchafft pruͤfen
wolte. Sonderlich lieſſe es zwar ſich allen an-
dern Laſtern die Stirne bieten/ und ſelbte/ wie
Hercules die Ungeheuer/ auffſuchen; fuͤr der
Wolluſt aber waͤre am rathſamſten Scythiſch
zu fechten; welche auff der Flucht mit ihren
Pfeilen dem Feinde den groͤſten Abbruch thun.
Mit dem Neide moͤchte man/ wie Alcides mit
dem Anthaͤus ringen/ die Wolluſt aber muͤſte
man ihm nicht laſſen zu nahe auf den Hals kom-
men/ ſondern ſie wie Apollo die Gifft-hauchen-
de Schlange Python von weitem erlegen.

Alſo machte es Fuͤrſt Herrmann; der in al-
lem zugleich ein Lehrmeiſter ſeines juͤngern
Brudern Flavius; und bey ſeiner Gefangen-
ſchafft ſo vergnuͤgt war: daß er bey nahe ſeines
Vaterlandes daruͤber vergeſſen haͤtte; wenn
ſelbtes ihm durch die Zeitungen von des Druſus
Kriege nicht mehrmahls waͤre ins Gedaͤchtnuͤß
geruͤckt/ und deßwegen eine kindliche Sorgfalt
in ſeinem Gemuͤthe erweckt worden. Denn
ob ihm zwar ſein kluger Lehrmeiſter mit gutem
Grunde beybracht hatte: daß der Kampff wie-
der das Verhaͤngnuͤß eine unfruchtbare Rie-
ſen-Stuͤrmung des Himmels waͤre; und wer
ſchon ungluͤckſelig ſeyn ſolte/ von der Laſt der
vorſichtigſten Huͤlffs-Mittel erdruͤckt wuͤrde;
ja ſeinen Aertzten unter den Haͤnden ver gienge;
ſo kan ſich doch ein großmuͤthig Hertz dieſeꝛ zaͤrt-
lichen Empfindligkeit und der Bekuͤmmernuͤß
fuͤr ſein ſo ſuͤſſes Vaterland unmoͤglich ent-
ſchlagen; als deſſen Liebe unſerer Eltern/ ja
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verfiel aber gleicher Geſtalt nach und nach;

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1216[1218]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1282>, abgerufen am 18.05.2024.