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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] rigen/ die sie auch hiermit in ihren Schutz neh-
me; also solte er sich auf die Haupt-Wache zu-
rücke ziehen. Sie aber nahm den halb-todten
Gottwald/ und die für Hertzeleid ihr die Haare
aus dem Kopffe reissende Frau bey der Hand/
leitete sie auf das Schloß/ ließ den Ritter ihr
auch nachtragen. Die Stadt und der gantze
Hof ward hierüber wache/ nur in Marmelinens
Zimmer war alles Maus-stille; welches der
Hertzogin Argwohn vermehrte; die für allen
Dingen nur um Verbindung ihres verwunde-
ten Sohnes bekümmert war. Nach der ohne
einigen Schlaff hingebrachten Nacht fügte sie
sich in Marmelinens Gemach/ erzehlte ihr
thränende den Verlauff/ den ihr diese gantz
fremde machte/ und nach etlichen Wortwech se-
lungen anfieng: Ob sie auch genungsam versi-
chert wäre: daß dieser ihr wahr haffter Sohn
wäre? Sintemahl er ihrer ersten Beschreibung
nach/ keinem Mohren mit einiger Ader ähnlich
wäre. Die Hertzogin antwortete: Sie hätte
zu melden vergessen: daß er nach und nach die
ohne diß nur aus einer Einbildung bekommene
braune Farbe verlohren hätte. Marmeline ver-
setzte lachende: Jhrer Meinung nach vermöch-
te die Zeit so wenig/ als Wasser einen Mohren
weiß zu bleichen. Die angebohrnen kleinsten
Maale wären durch keine Kunst zu vertreiben;
also besorglich: daß dieser Sidiner sein eigenes
Kind untergesteckt hätte. Die Hertzogin ver-
stand nunmehr allzu deutlich: daß in ihrer
Tochter Seele die Ehrsucht der natürlichen
Zuneigung den Rang abgelauffen hätte/ und die
Süßig keit des einmahl geschmeckten Reichs-
Apffels einen Eckel erwecke/ auch für denen
durch das Geblüte eingepflantzten Annehmlig-
keiten; Gleichwol aber wolte sie ihre Tochter
durch augenscheinlichen Beweiß zu vernünffti-
gerer Entschlüssung bringen; mit Vermeldung:
daß ihr Sohn an dem lincken Fuße sechs Zehen
und auf der Brust wie sein Vater Arnold und
sie selbst eine Bären-Klaue gehabt hätte; würde
sich diß Merckmahl nicht finden; wolte sie ihm
[Spaltenumbruch] als einem Verräther bey seiner verdienten Ab-
schlachtung selbst das Licht halten. Alleine die
Aehnligkeit seines Gesichtes/ in dem er seinem
Vater gleichsam aus den Augen geschnitten
wäre/ vergewisserte sie schon der unzweifelba-
ren Warheit. Uber diesen Worten trat der ober-
ste Reichs-Rath Leuterthal/ der ohne diß in Ver-
dacht war: daß er seinem Sohne Marmelinen
zu vermählen im Schilde führte/ aus dem inner-
sten Zimmer herfür/ setzte der Hertzogin mit har-
ten Worten zu; und schalt die für Verräther des
Vaterlandes/ die die gegenwärtige Ruhe und
Verfassung der Gothonischen Herrschafft durch
Einpfropfung eines fremden Reises stören wol-
ten. Die Hertzogin begegnete ihm mit gleich-
mäßiger Hefftigkeit; und warff ihm für: daß er
aus Ehrsucht seine Nachkommen auf dem Fürst-
lichen Stule zu sehen ihre Tochter zu Verges-
sung aller Mutter- und Schwester-Liebe verlei-
tet; und der vorigen Nacht Meuchelmord an-
gestifftet hätte. Wie hitzig nun gleich dieser Ab-
schied war; so kläglich hieng sich die Hertzogin
an die andern dem vorigen wiedrig-gesinnten
Reichs-Räthe; brachte auch zu wege: daß sie die
Landstände zu Entscheidung dieses wichtigen
Rechts-Streits verschrieben; inzwischen die
Hertzogin und Fürst Gottwald mit einer ge-
nungsamen Leibwache wieder fernere Gewalt
beschirmet wurden. Die Hertzogin saan auff
Rechtfertigung ihres Sohnes/ Marmeline und
ihr Anhang aber auf listige Unterdrückung ih-
rer Mutter und des Bruders. So ungleich sind
die Menschen geartet! wer eines Löwen/ einer
Schlange Eigenschafft weiß; weiß sie des gan-
tzen Geschlechtes. Denn alle Tiger sind grimmig/
alle Füchse listig; alle Schafe gedultig/ alle Tau-
ben einfältig/ alle Adler behertzt. Aber wer einen
Menschen von Grund aus aus geholt/ kennet nur
einen; wo anders das menschliche Herze durch eini-
ges Bleymaaß zuergründen ist. Nichts aber ver-
stellt den Menschen ärger/ als Ehrsucht. Die Fun-
cken kindlicher Liebe werden nicht nur von dem
Rauche der Herrschenssucht erstecket/ sondern

so
Erster Theil. G g g g g g g

Arminius und Thußnelda.
[Spaltenumbruch] rigen/ die ſie auch hiermit in ihren Schutz neh-
me; alſo ſolte er ſich auf die Haupt-Wache zu-
ruͤcke ziehen. Sie aber nahm den halb-todten
Gottwald/ und die fuͤr Hertzeleid ihr die Haare
aus dem Kopffe reiſſende Frau bey der Hand/
leitete ſie auf das Schloß/ ließ den Ritter ihr
auch nachtragen. Die Stadt und der gantze
Hof ward hieruͤber wache/ nur in Marmelinens
Zimmer war alles Maus-ſtille; welches der
Hertzogin Argwohn vermehrte; die fuͤr allen
Dingen nur um Verbindung ihres verwunde-
ten Sohnes bekuͤmmert war. Nach der ohne
einigen Schlaff hingebrachten Nacht fuͤgte ſie
ſich in Marmelinens Gemach/ erzehlte ihr
thraͤnende den Verlauff/ den ihr dieſe gantz
fremde machte/ und nach etlichen Wortwech ſe-
lungen anfieng: Ob ſie auch genungſam verſi-
chert waͤre: daß dieſer ihr wahr haffter Sohn
waͤre? Sintemahl er ihrer erſten Beſchreibung
nach/ keinem Mohren mit einiger Ader aͤhnlich
waͤre. Die Hertzogin antwortete: Sie haͤtte
zu melden vergeſſen: daß er nach und nach die
ohne diß nur aus einer Einbildung bekommene
braune Farbe verlohren haͤtte. Marmeline ver-
ſetzte lachende: Jhrer Meinung nach vermoͤch-
te die Zeit ſo wenig/ als Waſſer einen Mohren
weiß zu bleichen. Die angebohrnen kleinſten
Maale waͤren durch keine Kunſt zu vertreiben;
alſo beſorglich: daß dieſer Sidiner ſein eigenes
Kind untergeſteckt haͤtte. Die Hertzogin ver-
ſtand nunmehr allzu deutlich: daß in ihrer
Tochter Seele die Ehrſucht der natuͤrlichen
Zuneigung den Rang abgelauffen haͤtte/ und die
Suͤßig keit des einmahl geſchmeckten Reichs-
Apffels einen Eckel erwecke/ auch fuͤr denen
durch das Gebluͤte eingepflantzten Annehmlig-
keiten; Gleichwol aber wolte ſie ihre Tochter
durch augenſcheinlichen Beweiß zu vernuͤnffti-
gerer Entſchluͤſſung bringen; mit Vermeldung:
daß ihr Sohn an dem lincken Fuße ſechs Zehen
und auf der Bruſt wie ſein Vater Arnold und
ſie ſelbſt eine Baͤren-Klaue gehabt haͤtte; wuͤrde
ſich diß Merckmahl nicht finden; wolte ſie ihm
[Spaltenumbruch] als einem Verraͤther bey ſeiner verdienten Ab-
ſchlachtung ſelbſt das Licht halten. Alleine die
Aehnligkeit ſeines Geſichtes/ in dem er ſeinem
Vater gleichſam aus den Augen geſchnitten
waͤre/ vergewiſſerte ſie ſchon der unzweifelba-
ren Warheit. Uber dieſen Worten trat der ober-
ſte Reichs-Rath Leuterthal/ der ohne diß in Veꝛ-
dacht war: daß er ſeinem Sohne Marmelinen
zu vermaͤhlen im Schilde fuͤhrte/ aus dem iñer-
ſten Zimmer herfuͤr/ ſetzte der Hertzogin mit har-
ten Worten zu; und ſchalt die fuͤr Verraͤther des
Vaterlandes/ die die gegenwaͤrtige Ruhe und
Verfaſſung der Gothoniſchen Herꝛſchafft durch
Einpfropfung eines fremden Reiſes ſtoͤren wol-
ten. Die Hertzogin begegnete ihm mit gleich-
maͤßiger Hefftigkeit; und warff ihm fuͤr: daß er
aus Ehrſucht ſeine Nachkom̃en auf dem Fuͤrſt-
lichen Stule zu ſehen ihre Tochter zu Vergeſ-
ſung aller Mutter- und Schweſter-Liebe verlei-
tet; und der vorigen Nacht Meuchelmord an-
geſtifftet haͤtte. Wie hitzig nun gleich dieſer Ab-
ſchied war; ſo klaͤglich hieng ſich die Hertzogin
an die andern dem vorigen wiedrig-geſinnten
Reichs-Raͤthe; brachte auch zu wege: daß ſie die
Landſtaͤnde zu Entſcheidung dieſes wichtigen
Rechts-Streits verſchrieben; inzwiſchen die
Hertzogin und Fuͤrſt Gottwald mit einer ge-
nungſamen Leibwache wieder fernere Gewalt
beſchirmet wurden. Die Hertzogin ſaan auff
Rechtfertigung ihres Sohnes/ Marmeline uñ
ihr Anhang aber auf liſtige Unterdruͤckung ih-
rer Mutter und des Bruders. So ungleich ſind
die Menſchen geartet! wer eines Loͤwen/ einer
Schlange Eigenſchafft weiß; weiß ſie des gan-
tzen Geſchlechtes. Denn alle Tiger ſind grim̃ig/
alle Fuͤchſe liſtig; alle Schafe gedultig/ alle Tau-
ben einfaͤltig/ alle Adler behertzt. Aber wer einen
Menſchen von Grund aus aus geholt/ keñet nur
einẽ; wo andeꝛs das menſchliche Heꝛze duꝛch eini-
ges Bleymaaß zuergruͤndẽ iſt. Nichts aber ver-
ſtellt den Menſchẽ aͤꝛgeꝛ/ als Ehꝛſucht. Die Fun-
cken kindlicher Liebe werden nicht nur von dem
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ſo
Erſter Theil. G g g g g g g
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[1153[1155]/1217] Arminius und Thußnelda. rigen/ die ſie auch hiermit in ihren Schutz neh- me; alſo ſolte er ſich auf die Haupt-Wache zu- ruͤcke ziehen. Sie aber nahm den halb-todten Gottwald/ und die fuͤr Hertzeleid ihr die Haare aus dem Kopffe reiſſende Frau bey der Hand/ leitete ſie auf das Schloß/ ließ den Ritter ihr auch nachtragen. Die Stadt und der gantze Hof ward hieruͤber wache/ nur in Marmelinens Zimmer war alles Maus-ſtille; welches der Hertzogin Argwohn vermehrte; die fuͤr allen Dingen nur um Verbindung ihres verwunde- ten Sohnes bekuͤmmert war. Nach der ohne einigen Schlaff hingebrachten Nacht fuͤgte ſie ſich in Marmelinens Gemach/ erzehlte ihr thraͤnende den Verlauff/ den ihr dieſe gantz fremde machte/ und nach etlichen Wortwech ſe- lungen anfieng: Ob ſie auch genungſam verſi- chert waͤre: daß dieſer ihr wahr haffter Sohn waͤre? Sintemahl er ihrer erſten Beſchreibung nach/ keinem Mohren mit einiger Ader aͤhnlich waͤre. Die Hertzogin antwortete: Sie haͤtte zu melden vergeſſen: daß er nach und nach die ohne diß nur aus einer Einbildung bekommene braune Farbe verlohren haͤtte. Marmeline ver- ſetzte lachende: Jhrer Meinung nach vermoͤch- te die Zeit ſo wenig/ als Waſſer einen Mohren weiß zu bleichen. Die angebohrnen kleinſten Maale waͤren durch keine Kunſt zu vertreiben; alſo beſorglich: daß dieſer Sidiner ſein eigenes Kind untergeſteckt haͤtte. Die Hertzogin ver- ſtand nunmehr allzu deutlich: daß in ihrer Tochter Seele die Ehrſucht der natuͤrlichen Zuneigung den Rang abgelauffen haͤtte/ und die Suͤßig keit des einmahl geſchmeckten Reichs- Apffels einen Eckel erwecke/ auch fuͤr denen durch das Gebluͤte eingepflantzten Annehmlig- keiten; Gleichwol aber wolte ſie ihre Tochter durch augenſcheinlichen Beweiß zu vernuͤnffti- gerer Entſchluͤſſung bringen; mit Vermeldung: daß ihr Sohn an dem lincken Fuße ſechs Zehen und auf der Bruſt wie ſein Vater Arnold und ſie ſelbſt eine Baͤren-Klaue gehabt haͤtte; wuͤrde ſich diß Merckmahl nicht finden; wolte ſie ihm als einem Verraͤther bey ſeiner verdienten Ab- ſchlachtung ſelbſt das Licht halten. Alleine die Aehnligkeit ſeines Geſichtes/ in dem er ſeinem Vater gleichſam aus den Augen geſchnitten waͤre/ vergewiſſerte ſie ſchon der unzweifelba- ren Warheit. Uber dieſen Worten trat der ober- ſte Reichs-Rath Leuterthal/ der ohne diß in Veꝛ- dacht war: daß er ſeinem Sohne Marmelinen zu vermaͤhlen im Schilde fuͤhrte/ aus dem iñer- ſten Zimmer herfuͤr/ ſetzte der Hertzogin mit har- ten Worten zu; und ſchalt die fuͤr Verraͤther des Vaterlandes/ die die gegenwaͤrtige Ruhe und Verfaſſung der Gothoniſchen Herꝛſchafft durch Einpfropfung eines fremden Reiſes ſtoͤren wol- ten. Die Hertzogin begegnete ihm mit gleich- maͤßiger Hefftigkeit; und warff ihm fuͤr: daß er aus Ehrſucht ſeine Nachkom̃en auf dem Fuͤrſt- lichen Stule zu ſehen ihre Tochter zu Vergeſ- ſung aller Mutter- und Schweſter-Liebe verlei- tet; und der vorigen Nacht Meuchelmord an- geſtifftet haͤtte. Wie hitzig nun gleich dieſer Ab- ſchied war; ſo klaͤglich hieng ſich die Hertzogin an die andern dem vorigen wiedrig-geſinnten Reichs-Raͤthe; brachte auch zu wege: daß ſie die Landſtaͤnde zu Entſcheidung dieſes wichtigen Rechts-Streits verſchrieben; inzwiſchen die Hertzogin und Fuͤrſt Gottwald mit einer ge- nungſamen Leibwache wieder fernere Gewalt beſchirmet wurden. Die Hertzogin ſaan auff Rechtfertigung ihres Sohnes/ Marmeline uñ ihr Anhang aber auf liſtige Unterdruͤckung ih- rer Mutter und des Bruders. So ungleich ſind die Menſchen geartet! wer eines Loͤwen/ einer Schlange Eigenſchafft weiß; weiß ſie des gan- tzen Geſchlechtes. Denn alle Tiger ſind grim̃ig/ alle Fuͤchſe liſtig; alle Schafe gedultig/ alle Tau- ben einfaͤltig/ alle Adler behertzt. Aber wer einen Menſchen von Grund aus aus geholt/ keñet nur einẽ; wo andeꝛs das menſchliche Heꝛze duꝛch eini- ges Bleymaaß zuergruͤndẽ iſt. Nichts aber ver- ſtellt den Menſchẽ aͤꝛgeꝛ/ als Ehꝛſucht. Die Fun- cken kindlicher Liebe werden nicht nur von dem Rauche der Herꝛſchensſucht erſtecket/ ſondern ſo Erſter Theil. G g g g g g g

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1153[1155]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1217>, abgerufen am 27.05.2024.