Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] flüchtigen Sarmaten zu verfolgen befehlicht
hatte; ließ er den König der Bojen für sich er-
fordern; welcher nun gebunden für dem Stule
seinen Feind kniebeugend verehren muste; dar-
auf er noch den Tag zuvor so viel tausenden
Befehl ertheilet hatte; zu einem denckwürdigen
Beyspiele: daß zwifchen der höchsten Ehren-
Staffel und tieffstem Kniebeugen nur ein
Schritt/ zwischen Lorbeern und Cypressen nur
ein Hand umwenden/ zwischen Kron und Fes-
sel offt nur ein Sonnen-Untergang den Un-
terschied mache. Marbod fragte Critasirn:
Was die Bojen und ihn bewogen wieder ihren
einmahl beliebten Fürsten den Auffstand zu ma-
chen? Dieser antwortete: jene die Liebe der
Freyheit/ mich meines Volckes. Marbod frag-
te ferner: wie er nun beyde gehandelt wissen
wolte? Critasir antwortete: Mit dem Volcke/
wie es der Ruhm eines so grossen Siegers er-
fordert; mit mir/ wie du gehandelt seyn woltest/
wenn dich heute das wanckelhaffte Glücke in
meine Stelle versetzt hätte. Marbod befahl
nach einem langen Still schweigen die Königin
herbey zu führen; welche ihre vorige Pracht in
schlechte Trauer-Kleider ver hüllet hatte; und/
weil das Hertzeleid ihrer schweren Zunge das
Reden verbot/ ihre Thränen an statt der Worte
brauchte. Sie sanck für dem Marbod in halbe
Ohnmacht nieder; endlich erholete sie sich gleich-
wol/ und fieng an: Ob sie zwar das Verhäng-
nüs alles Vermögens entsetzet hätte/ bliebe doch
auch denen Elendesten das Bitten übrig. Die-
ses wolte sie nicht für sich selbst verschwenden/
sondern für ihren Gemahl und Tochter ange-
wehren. Sie selbst entschüttete sich nicht allein
aller Würde/ welche nach erlangtem Besitzthu-
me bey weitem nicht so viel wiege/ als ihr die an-
fängliche Begierde hiervon träumen liesse/ son-
dern auch des Lebens; welches ohne diß eine U-
berlast der Unglückseligen wäre. Jedoch wür-
de er zuversichtlich behertzigen: daß ein Mensch
durch nichts/ als Verzeihung sich GOtt ähn-
[Spaltenumbruch] lich; auch nichts mehr als Gnade einen Fürsten
berühmt/ und seine Herrschafft unüber windlich
machte; und daher auch Marbod seine Sieges-
Gesetze nach seinem Ruhme und der Uberwun-
denen Mögligkeit mäßigen würde; weil es
schwerer wäre anbefohlene Dinge thun; als be-
fehlen/ was man gethan haben wolte. Wie-
wol nun der Hochmuth mit dem Glücke sich für
längst in Marbods Hertze eingespielt hatte;
Menschen auch zwar ihre ersten gerathenen
Streiche mit vernünfftiger Gemüthsmäßi-
gung aufnehmen/ zuletzt aber Vernunfft und
Empfindligkeit von über mäßigem Wachsthu-
me ver drückt wird; redete doch die Königin so
nachdrücklich: daß dem Marbod die Augen ü-
bergiengen/ und er ihr antwortete: Seine Waf-
fen hätte er wieder kein Frauen-Zimmer ge-
zückt; und also solte weder ihr noch ihrem Ge-
schlechte einig Leid begegnen. Wiewol nun
Critasir und die Bojen ihm sein Licht auszule-
schen weder Arglist noch Anstalt gesparet; ob
wol Meineyd durch kein Band der Wolthaten
zu fesseln wäre; ja die/ welche darmit betheilt
würden/ für eine Beleidigung annehmen/ wenn
etwas übrig bliebe/ das sie noch hätten bekommen
können; und endlich untreue Gemüther nichts
minder/ als unreine Leiber durch zu gute Pfle-
gung nur mehr versehrt würden; wolte er doch
ihrer Fürbitte so viel enträumen: daß alle Bo-
jen Leben und Freyheit behalten/ das gantze
Land aber den Marckmännern räumen/ und
ihnen einen Sitz entweder über der Weichsel
oder der Donau suchen solten. Weil nun einem
Schiff bruch-leidenden auch die ihn aufneh-
mende Scheuterungs-Klippe für einen Hafen
dienet; und der zu allem leicht zu bereden ist/
der sich so gar seines Lebens schon verziehen hat/
nahm nicht nur die Königin/ sondern Critasir
selbst diese Erklärung für eine grosse Gnade mit
tieffer Dancksagung an; wiewol nichts schwe-
rer ist/ als seinem Vaterlande auf ewig gute
Nacht sagen; dessen Liebe viel ihrem Leben vor-

gezogen.

Siebendes Buch
[Spaltenumbruch] fluͤchtigen Sarmaten zu verfolgen befehlicht
hatte; ließ er den Koͤnig der Bojen fuͤr ſich er-
fordern; welcher nun gebunden fuͤr dem Stule
ſeinen Feind kniebeugend verehren muſte; dar-
auf er noch den Tag zuvor ſo viel tauſenden
Befehl ertheilet hatte; zu einem denckwuͤrdigen
Beyſpiele: daß zwifchen der hoͤchſten Ehren-
Staffel und tieffſtem Kniebeugen nur ein
Schritt/ zwiſchen Lorbeern und Cypreſſen nur
ein Hand umwenden/ zwiſchen Kron und Feſ-
ſel offt nur ein Sonnen-Untergang den Un-
terſchied mache. Marbod fragte Critaſirn:
Was die Bojen und ihn bewogen wieder ihren
einmahl beliebten Fuͤrſten den Auffſtand zu ma-
chen? Dieſer antwortete: jene die Liebe der
Freyheit/ mich meines Volckes. Marbod frag-
te ferner: wie er nun beyde gehandelt wiſſen
wolte? Critaſir antwortete: Mit dem Volcke/
wie es der Ruhm eines ſo groſſen Siegers er-
fordert; mit mir/ wie du gehandelt ſeyn wolteſt/
wenn dich heute das wanckelhaffte Gluͤcke in
meine Stelle verſetzt haͤtte. Marbod befahl
nach einem langen Still ſchweigen die Koͤnigin
herbey zu fuͤhren; welche ihre vorige Pracht in
ſchlechte Trauer-Kleider ver huͤllet hatte; und/
weil das Hertzeleid ihrer ſchweren Zunge das
Reden verbot/ ihre Thraͤnen an ſtatt der Worte
brauchte. Sie ſanck fuͤr dem Marbod in halbe
Ohnmacht nieder; endlich erholete ſie ſich gleich-
wol/ und fieng an: Ob ſie zwar das Verhaͤng-
nuͤs alles Vermoͤgens entſetzet haͤtte/ bliebe doch
auch denen Elendeſten das Bitten uͤbrig. Die-
ſes wolte ſie nicht fuͤr ſich ſelbſt verſchwenden/
ſondern fuͤr ihren Gemahl und Tochter ange-
wehren. Sie ſelbſt entſchuͤttete ſich nicht allein
aller Wuͤrde/ welche nach erlangtem Beſitzthu-
me bey weitem nicht ſo viel wiege/ als ihr die an-
faͤngliche Begierde hiervon traͤumen lieſſe/ ſon-
dern auch des Lebens; welches ohne diß eine U-
berlaſt der Ungluͤckſeligen waͤre. Jedoch wuͤr-
de er zuverſichtlich behertzigen: daß ein Menſch
durch nichts/ als Verzeihung ſich GOtt aͤhn-
[Spaltenumbruch] lich; auch nichts mehr als Gnade einen Fuͤrſten
beruͤhmt/ und ſeine Herꝛſchafft unuͤber windlich
machte; und daher auch Marbod ſeine Sieges-
Geſetze nach ſeinem Ruhme und der Uberwun-
denen Moͤgligkeit maͤßigen wuͤrde; weil es
ſchwerer waͤre anbefohlene Dinge thun; als be-
fehlen/ was man gethan haben wolte. Wie-
wol nun der Hochmuth mit dem Gluͤcke ſich fuͤr
laͤngſt in Marbods Hertze eingeſpielt hatte;
Menſchen auch zwar ihre erſten gerathenen
Streiche mit vernuͤnfftiger Gemuͤthsmaͤßi-
gung aufnehmen/ zuletzt aber Vernunfft und
Empfindligkeit von uͤber maͤßigem Wachsthu-
me ver druͤckt wird; redete doch die Koͤnigin ſo
nachdruͤcklich: daß dem Marbod die Augen uͤ-
bergiengen/ und er ihr antwortete: Seine Waf-
fen haͤtte er wieder kein Frauen-Zimmer ge-
zuͤckt; und alſo ſolte weder ihr noch ihrem Ge-
ſchlechte einig Leid begegnen. Wiewol nun
Critaſir und die Bojen ihm ſein Licht auszule-
ſchen weder Argliſt noch Anſtalt geſparet; ob
wol Meineyd durch kein Band der Wolthaten
zu feſſeln waͤre; ja die/ welche darmit betheilt
wuͤrden/ fuͤr eine Beleidigung annehmen/ wenn
etwas uͤbrig bliebe/ das ſie noch haͤtten bekom̃en
koͤnnen; und endlich untreue Gemuͤther nichts
minder/ als unreine Leiber durch zu gute Pfle-
gung nur mehr verſehrt wuͤrden; wolte er doch
ihrer Fuͤrbitte ſo viel entraͤumen: daß alle Bo-
jen Leben und Freyheit behalten/ das gantze
Land aber den Marckmaͤnnern raͤumen/ und
ihnen einen Sitz entweder uͤber der Weichſel
oder der Donau ſuchen ſolten. Weil nun einem
Schiff bruch-leidenden auch die ihn aufneh-
mende Scheuterungs-Klippe fuͤr einen Hafen
dienet; und der zu allem leicht zu bereden iſt/
der ſich ſo gar ſeines Lebens ſchon verziehen hat/
nahm nicht nur die Koͤnigin/ ſondern Critaſir
ſelbſt dieſe Erklaͤrung fuͤr eine groſſe Gnade mit
tieffer Danckſagung an; wiewol nichts ſchwe-
rer iſt/ als ſeinem Vaterlande auf ewig gute
Nacht ſagen; deſſen Liebe viel ihrem Leben vor-

gezogen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f1202" n="1138[1140]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Siebendes Buch</hi></fw><lb/><cb/>
flu&#x0364;chtigen Sarmaten zu verfolgen befehlicht<lb/>
hatte; ließ er den Ko&#x0364;nig der Bojen fu&#x0364;r &#x017F;ich er-<lb/>
fordern; welcher nun gebunden fu&#x0364;r dem Stule<lb/>
&#x017F;einen Feind kniebeugend verehren mu&#x017F;te; dar-<lb/>
auf er noch den Tag zuvor &#x017F;o viel tau&#x017F;enden<lb/>
Befehl ertheilet hatte; zu einem denckwu&#x0364;rdigen<lb/>
Bey&#x017F;piele: daß zwifchen der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Ehren-<lb/>
Staffel und tieff&#x017F;tem Kniebeugen nur ein<lb/>
Schritt/ zwi&#x017F;chen Lorbeern und Cypre&#x017F;&#x017F;en nur<lb/>
ein Hand umwenden/ zwi&#x017F;chen Kron und Fe&#x017F;-<lb/>
&#x017F;el offt nur ein Sonnen-Untergang den Un-<lb/>
ter&#x017F;chied mache. Marbod fragte Crita&#x017F;irn:<lb/>
Was die Bojen und ihn bewogen wieder ihren<lb/>
einmahl beliebten Fu&#x0364;r&#x017F;ten den Auff&#x017F;tand zu ma-<lb/>
chen? Die&#x017F;er antwortete: jene die Liebe der<lb/>
Freyheit/ mich meines Volckes. Marbod frag-<lb/>
te ferner: wie er nun beyde gehandelt wi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wolte? Crita&#x017F;ir antwortete: Mit dem Volcke/<lb/>
wie es der Ruhm eines &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;en Siegers er-<lb/>
fordert; mit mir/ wie du gehandelt &#x017F;eyn wolte&#x017F;t/<lb/>
wenn dich heute das wanckelhaffte Glu&#x0364;cke in<lb/>
meine Stelle ver&#x017F;etzt ha&#x0364;tte. Marbod befahl<lb/>
nach einem langen Still &#x017F;chweigen die Ko&#x0364;nigin<lb/>
herbey zu fu&#x0364;hren; welche ihre vorige Pracht in<lb/>
&#x017F;chlechte Trauer-Kleider ver hu&#x0364;llet hatte; und/<lb/>
weil das Hertzeleid ihrer &#x017F;chweren Zunge das<lb/>
Reden verbot/ ihre Thra&#x0364;nen an &#x017F;tatt der Worte<lb/>
brauchte. Sie &#x017F;anck fu&#x0364;r dem Marbod in halbe<lb/>
Ohnmacht nieder; endlich erholete &#x017F;ie &#x017F;ich gleich-<lb/>
wol/ und fieng an: Ob &#x017F;ie zwar das Verha&#x0364;ng-<lb/>
nu&#x0364;s alles Vermo&#x0364;gens ent&#x017F;etzet ha&#x0364;tte/ bliebe doch<lb/>
auch denen Elende&#x017F;ten das Bitten u&#x0364;brig. Die-<lb/>
&#x017F;es wolte &#x017F;ie nicht fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;chwenden/<lb/>
&#x017F;ondern fu&#x0364;r ihren Gemahl und Tochter ange-<lb/>
wehren. Sie &#x017F;elb&#x017F;t ent&#x017F;chu&#x0364;ttete &#x017F;ich nicht allein<lb/>
aller Wu&#x0364;rde/ welche nach erlangtem Be&#x017F;itzthu-<lb/>
me bey weitem nicht &#x017F;o viel wiege/ als ihr die an-<lb/>
fa&#x0364;ngliche Begierde hiervon tra&#x0364;umen lie&#x017F;&#x017F;e/ &#x017F;on-<lb/>
dern auch des Lebens; welches ohne diß eine U-<lb/>
berla&#x017F;t der Unglu&#x0364;ck&#x017F;eligen wa&#x0364;re. Jedoch wu&#x0364;r-<lb/>
de er zuver&#x017F;ichtlich behertzigen: daß ein Men&#x017F;ch<lb/>
durch nichts/ als Verzeihung &#x017F;ich GOtt a&#x0364;hn-<lb/><cb/>
lich; auch nichts mehr als Gnade einen Fu&#x0364;r&#x017F;ten<lb/>
beru&#x0364;hmt/ und &#x017F;eine Her&#xA75B;&#x017F;chafft unu&#x0364;ber windlich<lb/>
machte; und daher auch Marbod &#x017F;eine Sieges-<lb/>
Ge&#x017F;etze nach &#x017F;einem Ruhme und der Uberwun-<lb/>
denen Mo&#x0364;gligkeit ma&#x0364;ßigen wu&#x0364;rde; weil es<lb/>
&#x017F;chwerer wa&#x0364;re anbefohlene Dinge thun; als be-<lb/>
fehlen/ was man gethan haben wolte. Wie-<lb/>
wol nun der Hochmuth mit dem Glu&#x0364;cke &#x017F;ich fu&#x0364;r<lb/>
la&#x0364;ng&#x017F;t in Marbods Hertze einge&#x017F;pielt hatte;<lb/>
Men&#x017F;chen auch zwar ihre er&#x017F;ten gerathenen<lb/>
Streiche mit vernu&#x0364;nfftiger Gemu&#x0364;thsma&#x0364;ßi-<lb/>
gung aufnehmen/ zuletzt aber Vernunfft und<lb/>
Empfindligkeit von u&#x0364;ber ma&#x0364;ßigem Wachsthu-<lb/>
me ver dru&#x0364;ckt wird; redete doch die Ko&#x0364;nigin &#x017F;o<lb/>
nachdru&#x0364;cklich: daß dem Marbod die Augen u&#x0364;-<lb/>
bergiengen/ und er ihr antwortete: Seine Waf-<lb/>
fen ha&#x0364;tte er wieder kein Frauen-Zimmer ge-<lb/>
zu&#x0364;ckt; und al&#x017F;o &#x017F;olte weder ihr noch ihrem Ge-<lb/>
&#x017F;chlechte einig Leid begegnen. Wiewol nun<lb/>
Crita&#x017F;ir und die Bojen ihm &#x017F;ein Licht auszule-<lb/>
&#x017F;chen weder Argli&#x017F;t noch An&#x017F;talt ge&#x017F;paret; ob<lb/>
wol Meineyd durch kein Band der Wolthaten<lb/>
zu fe&#x017F;&#x017F;eln wa&#x0364;re; ja die/ welche darmit betheilt<lb/>
wu&#x0364;rden/ fu&#x0364;r eine Beleidigung annehmen/ wenn<lb/>
etwas u&#x0364;brig bliebe/ das &#x017F;ie noch ha&#x0364;tten bekom&#x0303;en<lb/>
ko&#x0364;nnen; und endlich untreue Gemu&#x0364;ther nichts<lb/>
minder/ als unreine Leiber durch zu gute Pfle-<lb/>
gung nur mehr ver&#x017F;ehrt wu&#x0364;rden; wolte er doch<lb/>
ihrer Fu&#x0364;rbitte &#x017F;o viel entra&#x0364;umen: daß alle Bo-<lb/>
jen Leben und Freyheit behalten/ das gantze<lb/>
Land aber den Marckma&#x0364;nnern ra&#x0364;umen/ und<lb/>
ihnen einen Sitz entweder u&#x0364;ber der Weich&#x017F;el<lb/>
oder der Donau &#x017F;uchen &#x017F;olten. Weil nun einem<lb/>
Schiff bruch-leidenden auch die ihn aufneh-<lb/>
mende Scheuterungs-Klippe fu&#x0364;r einen Hafen<lb/>
dienet; und der zu allem leicht zu bereden i&#x017F;t/<lb/>
der &#x017F;ich &#x017F;o gar &#x017F;eines Lebens &#x017F;chon verziehen hat/<lb/>
nahm nicht nur die Ko&#x0364;nigin/ &#x017F;ondern Crita&#x017F;ir<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;e Erkla&#x0364;rung fu&#x0364;r eine gro&#x017F;&#x017F;e Gnade mit<lb/>
tieffer Danck&#x017F;agung an; wiewol nichts &#x017F;chwe-<lb/>
rer i&#x017F;t/ als &#x017F;einem Vaterlande auf ewig gute<lb/>
Nacht &#x017F;agen; de&#x017F;&#x017F;en Liebe viel ihrem Leben vor-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gezogen.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1138[1140]/1202] Siebendes Buch fluͤchtigen Sarmaten zu verfolgen befehlicht hatte; ließ er den Koͤnig der Bojen fuͤr ſich er- fordern; welcher nun gebunden fuͤr dem Stule ſeinen Feind kniebeugend verehren muſte; dar- auf er noch den Tag zuvor ſo viel tauſenden Befehl ertheilet hatte; zu einem denckwuͤrdigen Beyſpiele: daß zwifchen der hoͤchſten Ehren- Staffel und tieffſtem Kniebeugen nur ein Schritt/ zwiſchen Lorbeern und Cypreſſen nur ein Hand umwenden/ zwiſchen Kron und Feſ- ſel offt nur ein Sonnen-Untergang den Un- terſchied mache. Marbod fragte Critaſirn: Was die Bojen und ihn bewogen wieder ihren einmahl beliebten Fuͤrſten den Auffſtand zu ma- chen? Dieſer antwortete: jene die Liebe der Freyheit/ mich meines Volckes. Marbod frag- te ferner: wie er nun beyde gehandelt wiſſen wolte? Critaſir antwortete: Mit dem Volcke/ wie es der Ruhm eines ſo groſſen Siegers er- fordert; mit mir/ wie du gehandelt ſeyn wolteſt/ wenn dich heute das wanckelhaffte Gluͤcke in meine Stelle verſetzt haͤtte. Marbod befahl nach einem langen Still ſchweigen die Koͤnigin herbey zu fuͤhren; welche ihre vorige Pracht in ſchlechte Trauer-Kleider ver huͤllet hatte; und/ weil das Hertzeleid ihrer ſchweren Zunge das Reden verbot/ ihre Thraͤnen an ſtatt der Worte brauchte. Sie ſanck fuͤr dem Marbod in halbe Ohnmacht nieder; endlich erholete ſie ſich gleich- wol/ und fieng an: Ob ſie zwar das Verhaͤng- nuͤs alles Vermoͤgens entſetzet haͤtte/ bliebe doch auch denen Elendeſten das Bitten uͤbrig. Die- ſes wolte ſie nicht fuͤr ſich ſelbſt verſchwenden/ ſondern fuͤr ihren Gemahl und Tochter ange- wehren. Sie ſelbſt entſchuͤttete ſich nicht allein aller Wuͤrde/ welche nach erlangtem Beſitzthu- me bey weitem nicht ſo viel wiege/ als ihr die an- faͤngliche Begierde hiervon traͤumen lieſſe/ ſon- dern auch des Lebens; welches ohne diß eine U- berlaſt der Ungluͤckſeligen waͤre. Jedoch wuͤr- de er zuverſichtlich behertzigen: daß ein Menſch durch nichts/ als Verzeihung ſich GOtt aͤhn- lich; auch nichts mehr als Gnade einen Fuͤrſten beruͤhmt/ und ſeine Herꝛſchafft unuͤber windlich machte; und daher auch Marbod ſeine Sieges- Geſetze nach ſeinem Ruhme und der Uberwun- denen Moͤgligkeit maͤßigen wuͤrde; weil es ſchwerer waͤre anbefohlene Dinge thun; als be- fehlen/ was man gethan haben wolte. Wie- wol nun der Hochmuth mit dem Gluͤcke ſich fuͤr laͤngſt in Marbods Hertze eingeſpielt hatte; Menſchen auch zwar ihre erſten gerathenen Streiche mit vernuͤnfftiger Gemuͤthsmaͤßi- gung aufnehmen/ zuletzt aber Vernunfft und Empfindligkeit von uͤber maͤßigem Wachsthu- me ver druͤckt wird; redete doch die Koͤnigin ſo nachdruͤcklich: daß dem Marbod die Augen uͤ- bergiengen/ und er ihr antwortete: Seine Waf- fen haͤtte er wieder kein Frauen-Zimmer ge- zuͤckt; und alſo ſolte weder ihr noch ihrem Ge- ſchlechte einig Leid begegnen. Wiewol nun Critaſir und die Bojen ihm ſein Licht auszule- ſchen weder Argliſt noch Anſtalt geſparet; ob wol Meineyd durch kein Band der Wolthaten zu feſſeln waͤre; ja die/ welche darmit betheilt wuͤrden/ fuͤr eine Beleidigung annehmen/ wenn etwas uͤbrig bliebe/ das ſie noch haͤtten bekom̃en koͤnnen; und endlich untreue Gemuͤther nichts minder/ als unreine Leiber durch zu gute Pfle- gung nur mehr verſehrt wuͤrden; wolte er doch ihrer Fuͤrbitte ſo viel entraͤumen: daß alle Bo- jen Leben und Freyheit behalten/ das gantze Land aber den Marckmaͤnnern raͤumen/ und ihnen einen Sitz entweder uͤber der Weichſel oder der Donau ſuchen ſolten. Weil nun einem Schiff bruch-leidenden auch die ihn aufneh- mende Scheuterungs-Klippe fuͤr einen Hafen dienet; und der zu allem leicht zu bereden iſt/ der ſich ſo gar ſeines Lebens ſchon verziehen hat/ nahm nicht nur die Koͤnigin/ ſondern Critaſir ſelbſt dieſe Erklaͤrung fuͤr eine groſſe Gnade mit tieffer Danckſagung an; wiewol nichts ſchwe- rer iſt/ als ſeinem Vaterlande auf ewig gute Nacht ſagen; deſſen Liebe viel ihrem Leben vor- gezogen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1202
Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1138[1140]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1202>, abgerufen am 27.05.2024.