Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lohenstein, Daniel Casper von: Agrippina. Breslau, 1665.

Bild:
<< vorherige Seite
Agrip. Jm Himmel herrschet Gott/ der Käyser auf der
Welt.
165.
Nero. Hier dämpf't selbst die Natur Scham-röthend die
Begierde.
Agripp. Nein! Jhr Magnet zeucht sich zum Nord-stern
reiner Zierde.
Nero. Absteigendes Geblütt' ist über'n Mittags-Kreiß/
Darüber kein Magnet von ein'ger Würckung weiß.
Agrip. Der Liebe mehr denn viel/ die ihre Flammen sä-
men.
170.Jn alle Seelen kan. Sol sich die Mutter schämen
Zu liben ihren Sohn? Die mit der Milch ihm flöß't
Die Libes-Ader ein. Der Unhold Gift-Maul stöß't
So herbe Schleen aus/ und such't die Libes-Kwällen/
Die in der Kinder Hertz' entspringen/ zu vergällen.
175.Wer sol die Mutter-Brust mehr liben/ als ihr Kind?
Nero. Ja/ aber daß darzu nicht gifft'ge Wollust rinn't.
Agrip. Wo Libes-Sonnen steh'n folg't auch der Wollust
Schatten.
Nero. Pfleg't doch der Storch sich mit der Mutter nicht
zu gatten.
Agrip. Einfält'ger! Wer gib't dir so alb're Fabeln ein?
180.Worwider Stern und Welt selbst müssen Zeugen seyn.
Wir müssen die Natur der Dinge Zirckel nennen.
Denn würde nicht ihr Lauff zu seinem Uhrsprung rennen/
So würd' ihr Uhrwerck bald verwirr't und stille steh'n.
Des Himmels Umb-trieb muß nach Osten widergeh'n/
185.Wo sein Bewegungs-Kreiß den Uhrsprung hat genom-
men.
Der Frühling muß zum Lentz/ der Fluß zum Kwälle kom-
men.
Die Sonne rennet stets der Morgen-röthe nach/
Und ihrer Mutter Schoos ist auch ihr Schlaf-Gemach.
Warumb sol denn diß Thun als Unthat seyn verfluchet/
190.Wenn ein holdreicher Sohn die Schoos der Mutter su-
chet?
Den Brunnen der Geburth? Da er der Libe Frucht
Und die Erneuerung des matten Lebens such't.
Nero
D 3
Agrip. Jm Himmel herꝛſchet Gott/ der Kaͤyſer auf der
Welt.
165.
Nero. Hier daͤmpf’t ſelbſt die Natur Scham-roͤthend die
Begierde.
Agripp. Nein! Jhr Magnet zeucht ſich zum Nord-ſtern
reiner Zierde.
Nero. Abſteigendes Gebluͤtt’ iſt uͤber’n Mittags-Kreiß/
Daruͤber kein Magnet von ein’ger Wuͤrckung weiß.
Agrip. Der Liebe mehr denn viel/ die ihre Flammen ſaͤ-
men.
170.Jn alle Seelen kan. Sol ſich die Mutter ſchaͤmen
Zu liben ihren Sohn? Die mit der Milch ihm floͤß’t
Die Libes-Ader ein. Der Unhold Gift-Maul ſtoͤß’t
So herbe Schleen aus/ und ſuch’t die Libes-Kwaͤllen/
Die in der Kinder Hertz’ entſpringen/ zu vergaͤllen.
175.Wer ſol die Mutter-Bruſt mehr liben/ als ihr Kind?
Nero. Ja/ aber daß darzu nicht gifft’ge Wolluſt rinn’t.
Agrip. Wo Libes-Sonnen ſteh’n folg’t auch der Wolluſt
Schatten.
Nero. Pfleg’t doch der Storch ſich mit der Mutter nicht
zu gatten.
Agrip. Einfaͤlt’ger! Wer gib’t dir ſo alb’re Fabeln ein?
180.Worwider Stern und Welt ſelbſt muͤſſen Zeugen ſeyn.
Wir muͤſſen die Natur der Dinge Zirckel nennen.
Denn wuͤrde nicht ihr Lauff zu ſeinem Uhrſprung rennen/
So wuͤrd’ ihr Uhrwerck bald verwirr’t und ſtille ſteh’n.
Des Himmels Umb-trieb muß nach Oſten widergeh’n/
185.Wo ſein Bewegungs-Kreiß den Uhrſprung hat genom-
men.
Der Fruͤhling muß zum Lentz/ der Fluß zum Kwaͤlle kom-
men.
Die Sonne rennet ſtets der Morgen-roͤthe nach/
Und ihrer Mutter Schoos iſt auch ihr Schlaf-Gemach.
Warumb ſol denn diß Thun als Unthat ſeyn verfluchet/
190.Wenn ein holdreicher Sohn die Schoos der Mutter ſu-
chet?
Den Brunnen der Geburth? Da er der Libe Frucht
Und die Erneuerung des matten Lebens ſuch’t.
Nero
D 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0071" n="53."/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq">Agrip.</hi> </speaker>
          <p>Jm Himmel her&#xA75B;&#x017F;chet Gott/ der Ka&#x0364;y&#x017F;er auf der<lb/><hi rendition="#et">Welt.</hi></p>
        </sp><lb/>
        <note place="left">165.</note>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq">Nero.</hi> </speaker>
          <p>Hier da&#x0364;mpf&#x2019;t &#x017F;elb&#x017F;t die Natur Scham-ro&#x0364;thend die<lb/><hi rendition="#et">Begierde.</hi></p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq">Agripp.</hi> </speaker>
          <p>Nein! Jhr Magnet zeucht &#x017F;ich zum Nord-&#x017F;tern<lb/><hi rendition="#et">reiner Zierde.</hi></p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq">Nero.</hi> </speaker>
          <p>Ab&#x017F;teigendes Geblu&#x0364;tt&#x2019; i&#x017F;t u&#x0364;ber&#x2019;n Mittags-Kreiß/<lb/>
Daru&#x0364;ber kein Magnet von ein&#x2019;ger Wu&#x0364;rckung weiß.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq">Agrip.</hi> </speaker>
          <p>Der Liebe mehr denn viel/ die ihre Flammen &#x017F;a&#x0364;-<lb/><hi rendition="#et">men.</hi><lb/><note place="left">170.</note>Jn alle Seelen kan. Sol &#x017F;ich die Mutter &#x017F;cha&#x0364;men<lb/>
Zu liben ihren Sohn? Die mit der Milch ihm flo&#x0364;ß&#x2019;t<lb/>
Die Libes-Ader ein. Der Unhold Gift-Maul &#x017F;to&#x0364;ß&#x2019;t<lb/>
So herbe Schleen aus/ und &#x017F;uch&#x2019;t die Libes-Kwa&#x0364;llen/<lb/>
Die in der Kinder Hertz&#x2019; ent&#x017F;pringen/ zu verga&#x0364;llen.<lb/><note place="left">175.</note>Wer &#x017F;ol die Mutter-Bru&#x017F;t mehr liben/ als ihr Kind?</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq">Nero.</hi> </speaker>
          <p>Ja/ aber daß darzu nicht gifft&#x2019;ge Wollu&#x017F;t rinn&#x2019;t.</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq">Agrip.</hi> </speaker>
          <p>Wo Libes-Sonnen &#x017F;teh&#x2019;n folg&#x2019;t auch der Wollu&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">Schatten.</hi></p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq">Nero.</hi> </speaker>
          <p>Pfleg&#x2019;t doch der Storch &#x017F;ich mit der Mutter nicht<lb/><hi rendition="#et">zu gatten.</hi></p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#aq">Agrip.</hi> </speaker>
          <p>Einfa&#x0364;lt&#x2019;ger! Wer gib&#x2019;t dir &#x017F;o alb&#x2019;re Fabeln ein?<lb/><note place="left">180.</note>Worwider Stern und Welt &#x017F;elb&#x017F;t mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Zeugen &#x017F;eyn.<lb/>
Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die Natur der Dinge Zirckel nennen.<lb/>
Denn wu&#x0364;rde nicht ihr Lauff zu &#x017F;einem Uhr&#x017F;prung rennen/<lb/>
So wu&#x0364;rd&#x2019; ihr Uhrwerck bald verwirr&#x2019;t und &#x017F;tille &#x017F;teh&#x2019;n.<lb/>
Des Himmels Umb-trieb muß nach O&#x017F;ten widergeh&#x2019;n/<lb/><note place="left">185.</note>Wo &#x017F;ein Bewegungs-Kreiß den Uhr&#x017F;prung hat genom-<lb/><hi rendition="#et">men.</hi><lb/>
Der Fru&#x0364;hling muß zum Lentz/ der Fluß zum Kwa&#x0364;lle kom-<lb/><hi rendition="#et">men.</hi><lb/>
Die Sonne rennet &#x017F;tets der Morgen-ro&#x0364;the nach/<lb/>
Und ihrer Mutter Schoos i&#x017F;t auch ihr Schlaf-Gemach.<lb/>
Warumb &#x017F;ol denn diß Thun als Unthat &#x017F;eyn verfluchet/<lb/><note place="left">190.</note>Wenn ein holdreicher Sohn die Schoos der Mutter &#x017F;u-<lb/><hi rendition="#et">chet?</hi><lb/>
Den Brunnen der Geburth? Da er der Libe Frucht<lb/>
Und die Erneuerung des matten Lebens &#x017F;uch&#x2019;t.</p>
        </sp><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">D 3</fw>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">Nero</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53./0071] Agrip. Jm Himmel herꝛſchet Gott/ der Kaͤyſer auf der Welt. Nero. Hier daͤmpf’t ſelbſt die Natur Scham-roͤthend die Begierde. Agripp. Nein! Jhr Magnet zeucht ſich zum Nord-ſtern reiner Zierde. Nero. Abſteigendes Gebluͤtt’ iſt uͤber’n Mittags-Kreiß/ Daruͤber kein Magnet von ein’ger Wuͤrckung weiß. Agrip. Der Liebe mehr denn viel/ die ihre Flammen ſaͤ- men. Jn alle Seelen kan. Sol ſich die Mutter ſchaͤmen Zu liben ihren Sohn? Die mit der Milch ihm floͤß’t Die Libes-Ader ein. Der Unhold Gift-Maul ſtoͤß’t So herbe Schleen aus/ und ſuch’t die Libes-Kwaͤllen/ Die in der Kinder Hertz’ entſpringen/ zu vergaͤllen. Wer ſol die Mutter-Bruſt mehr liben/ als ihr Kind? Nero. Ja/ aber daß darzu nicht gifft’ge Wolluſt rinn’t. Agrip. Wo Libes-Sonnen ſteh’n folg’t auch der Wolluſt Schatten. Nero. Pfleg’t doch der Storch ſich mit der Mutter nicht zu gatten. Agrip. Einfaͤlt’ger! Wer gib’t dir ſo alb’re Fabeln ein? Worwider Stern und Welt ſelbſt muͤſſen Zeugen ſeyn. Wir muͤſſen die Natur der Dinge Zirckel nennen. Denn wuͤrde nicht ihr Lauff zu ſeinem Uhrſprung rennen/ So wuͤrd’ ihr Uhrwerck bald verwirr’t und ſtille ſteh’n. Des Himmels Umb-trieb muß nach Oſten widergeh’n/ Wo ſein Bewegungs-Kreiß den Uhrſprung hat genom- men. Der Fruͤhling muß zum Lentz/ der Fluß zum Kwaͤlle kom- men. Die Sonne rennet ſtets der Morgen-roͤthe nach/ Und ihrer Mutter Schoos iſt auch ihr Schlaf-Gemach. Warumb ſol denn diß Thun als Unthat ſeyn verfluchet/ Wenn ein holdreicher Sohn die Schoos der Mutter ſu- chet? Den Brunnen der Geburth? Da er der Libe Frucht Und die Erneuerung des matten Lebens ſuch’t. Nero D 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_agrippina_1665
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_agrippina_1665/71
Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Agrippina. Breslau, 1665, S. 53.. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_agrippina_1665/71>, abgerufen am 01.05.2024.