Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine Schwere.
Es ist also wohl ganz unrichtig, sagte er zu sich selbst, was ich
anfangs für so wohl begründet hielt; es ist unrichtig, daß die-
selbe Kraft, die den Stein zur Erde fallen macht, auch den Mond
um sie bewegt, oder es ist doch, wenn es auch so wäre, unrichtig,
daß diese Kraft sich wie verkehrt das Quadrat der Entfernung
verhält. Dieß brachte ihn auf die Idee, daß bei diesen Erschei-
nungen der Natur wohl noch ganz andere Kräfte mit im Spiele
seyn könnten, und er ließ sich sogar, wie er später seinen Freunden
selbst gestand, zu der Meinung verleiten, daß die Wirbeltheorie
seines Vorgängers Descartes, die er doch früher selbst als ganz
unstatthaft verworfen hatte, und die doch so gar nichts an sich
hatte, was einen Mann von seinem Geiste länger festhalten konnte,
doch nicht so ganz verworfen werden sollte. Da aber diese wun-
derlichen Wirbel der Art waren, daß sie sich keiner eigentlichen
Berechnung, die doch hier allein entscheiden konnte, unterwerfen
ließen, so brach Newton alle weitere Untersuchungen über diesen
Gegenstand gänzlich ab, und erklärte seine frühere Idee für einen
von den vielen mißlungenen Versuchen, die das Forschen nach
Wahrheit auch bei Männern seiner Art so oft zu hindern und
aufzuhalten pflegen, so daß er diese seine Beschäftigung mit un-
nützen Spekulationen, denn als solche erschienen sie ihm, mehrere
Jahre durch selbst vor seinen näheren Freunden verheimlichte.

§. 36. (Weitere Versuche Newtons, seine Absichten zu er-
reichen.) Wäre die Sache in diesem Zustande geblieben, so würde
vielleicht bis heute noch unsere ganze Astronomie auf der Stufe, auf
welche sie Kepler erhoben hatte, das heißt im Grunde doch nur
auf der Stufe ihrer Kindheit, stehen geblieben seyn.

In der That war wenig Hoffnung zu einer Verbesserung
dieses Zustandes der Wissenschaft, denn als Newton, am Ende
der Krankheit, welche die Umgegenden Cambridg's verheerte, nach
dieser Stadt zurück kehrte, überließ er sich ganz wieder seinen
optischen Untersuchungen, die ihn schon früher zu so schönen
Entdeckungen geführt hatten. Volle zwölf Jahre kam er nicht
mehr auf jenen Gegenstand zurück, den er, wie es schien,
für immer aufgegeben hatte. Im Jahre 1678 erhielt er von der
Londoner Academie den Auftrag, seine Ansicht über ein Werk der

4 *

Allgemeine Schwere.
Es iſt alſo wohl ganz unrichtig, ſagte er zu ſich ſelbſt, was ich
anfangs für ſo wohl begründet hielt; es iſt unrichtig, daß die-
ſelbe Kraft, die den Stein zur Erde fallen macht, auch den Mond
um ſie bewegt, oder es iſt doch, wenn es auch ſo wäre, unrichtig,
daß dieſe Kraft ſich wie verkehrt das Quadrat der Entfernung
verhält. Dieß brachte ihn auf die Idee, daß bei dieſen Erſchei-
nungen der Natur wohl noch ganz andere Kräfte mit im Spiele
ſeyn könnten, und er ließ ſich ſogar, wie er ſpäter ſeinen Freunden
ſelbſt geſtand, zu der Meinung verleiten, daß die Wirbeltheorie
ſeines Vorgängers Descartes, die er doch früher ſelbſt als ganz
unſtatthaft verworfen hatte, und die doch ſo gar nichts an ſich
hatte, was einen Mann von ſeinem Geiſte länger feſthalten konnte,
doch nicht ſo ganz verworfen werden ſollte. Da aber dieſe wun-
derlichen Wirbel der Art waren, daß ſie ſich keiner eigentlichen
Berechnung, die doch hier allein entſcheiden konnte, unterwerfen
ließen, ſo brach Newton alle weitere Unterſuchungen über dieſen
Gegenſtand gänzlich ab, und erklärte ſeine frühere Idee für einen
von den vielen mißlungenen Verſuchen, die das Forſchen nach
Wahrheit auch bei Männern ſeiner Art ſo oft zu hindern und
aufzuhalten pflegen, ſo daß er dieſe ſeine Beſchäftigung mit un-
nützen Spekulationen, denn als ſolche erſchienen ſie ihm, mehrere
Jahre durch ſelbſt vor ſeinen näheren Freunden verheimlichte.

§. 36. (Weitere Verſuche Newtons, ſeine Abſichten zu er-
reichen.) Wäre die Sache in dieſem Zuſtande geblieben, ſo würde
vielleicht bis heute noch unſere ganze Aſtronomie auf der Stufe, auf
welche ſie Kepler erhoben hatte, das heißt im Grunde doch nur
auf der Stufe ihrer Kindheit, ſtehen geblieben ſeyn.

In der That war wenig Hoffnung zu einer Verbeſſerung
dieſes Zuſtandes der Wiſſenſchaft, denn als Newton, am Ende
der Krankheit, welche die Umgegenden Cambridg’s verheerte, nach
dieſer Stadt zurück kehrte, überließ er ſich ganz wieder ſeinen
optiſchen Unterſuchungen, die ihn ſchon früher zu ſo ſchönen
Entdeckungen geführt hatten. Volle zwölf Jahre kam er nicht
mehr auf jenen Gegenſtand zurück, den er, wie es ſchien,
für immer aufgegeben hatte. Im Jahre 1678 erhielt er von der
Londoner Academie den Auftrag, ſeine Anſicht über ein Werk der

4 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0063" n="51"/><fw place="top" type="header">Allgemeine Schwere.</fw><lb/>
Es i&#x017F;t al&#x017F;o wohl ganz unrichtig, &#x017F;agte er zu &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, was ich<lb/>
anfangs für &#x017F;o wohl begründet hielt; es i&#x017F;t unrichtig, daß die-<lb/>
&#x017F;elbe Kraft, die den Stein zur Erde fallen macht, auch den Mond<lb/>
um &#x017F;ie bewegt, oder es i&#x017F;t doch, wenn es auch &#x017F;o wäre, unrichtig,<lb/>
daß die&#x017F;e Kraft &#x017F;ich wie verkehrt das Quadrat der Entfernung<lb/>
verhält. Dieß brachte ihn auf die Idee, daß bei die&#x017F;en Er&#x017F;chei-<lb/>
nungen der Natur wohl noch ganz andere Kräfte mit im Spiele<lb/>
&#x017F;eyn könnten, und er ließ &#x017F;ich &#x017F;ogar, wie er &#x017F;päter &#x017F;einen Freunden<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;tand, zu der Meinung verleiten, daß die Wirbeltheorie<lb/>
&#x017F;eines Vorgängers Descartes, die er doch früher &#x017F;elb&#x017F;t als ganz<lb/>
un&#x017F;tatthaft verworfen hatte, und die doch &#x017F;o gar nichts an &#x017F;ich<lb/>
hatte, was einen Mann von &#x017F;einem Gei&#x017F;te länger fe&#x017F;thalten konnte,<lb/>
doch nicht &#x017F;o ganz verworfen werden &#x017F;ollte. Da aber die&#x017F;e wun-<lb/>
derlichen Wirbel der Art waren, daß &#x017F;ie &#x017F;ich keiner eigentlichen<lb/>
Berechnung, die doch hier allein ent&#x017F;cheiden konnte, unterwerfen<lb/>
ließen, &#x017F;o brach Newton alle weitere Unter&#x017F;uchungen über die&#x017F;en<lb/>
Gegen&#x017F;tand gänzlich ab, und erklärte &#x017F;eine frühere Idee für einen<lb/>
von den vielen mißlungenen Ver&#x017F;uchen, die das For&#x017F;chen nach<lb/>
Wahrheit auch bei Männern &#x017F;einer Art &#x017F;o oft zu hindern und<lb/>
aufzuhalten pflegen, &#x017F;o daß er die&#x017F;e &#x017F;eine Be&#x017F;chäftigung mit un-<lb/>
nützen Spekulationen, denn als &#x017F;olche er&#x017F;chienen &#x017F;ie ihm, mehrere<lb/>
Jahre durch &#x017F;elb&#x017F;t vor &#x017F;einen näheren Freunden verheimlichte.</p><lb/>
              <p>§. 36. (Weitere Ver&#x017F;uche Newtons, &#x017F;eine Ab&#x017F;ichten zu er-<lb/>
reichen.) Wäre die Sache in die&#x017F;em Zu&#x017F;tande geblieben, &#x017F;o würde<lb/>
vielleicht bis heute noch un&#x017F;ere ganze A&#x017F;tronomie auf der Stufe, auf<lb/>
welche &#x017F;ie Kepler erhoben hatte, das heißt im Grunde doch nur<lb/>
auf der Stufe ihrer Kindheit, &#x017F;tehen geblieben &#x017F;eyn.</p><lb/>
              <p>In der That war wenig Hoffnung zu einer Verbe&#x017F;&#x017F;erung<lb/>
die&#x017F;es Zu&#x017F;tandes der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, denn als Newton, am Ende<lb/>
der Krankheit, welche die Umgegenden Cambridg&#x2019;s verheerte, nach<lb/>
die&#x017F;er Stadt zurück kehrte, überließ er &#x017F;ich ganz wieder &#x017F;einen<lb/>
opti&#x017F;chen Unter&#x017F;uchungen, die ihn &#x017F;chon früher zu &#x017F;o &#x017F;chönen<lb/>
Entdeckungen geführt hatten. Volle zwölf Jahre kam er nicht<lb/>
mehr auf jenen Gegen&#x017F;tand zurück, den er, wie es &#x017F;chien,<lb/>
für immer aufgegeben hatte. Im Jahre 1678 erhielt er von der<lb/>
Londoner Academie den Auftrag, &#x017F;eine An&#x017F;icht über ein Werk der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4 *</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0063] Allgemeine Schwere. Es iſt alſo wohl ganz unrichtig, ſagte er zu ſich ſelbſt, was ich anfangs für ſo wohl begründet hielt; es iſt unrichtig, daß die- ſelbe Kraft, die den Stein zur Erde fallen macht, auch den Mond um ſie bewegt, oder es iſt doch, wenn es auch ſo wäre, unrichtig, daß dieſe Kraft ſich wie verkehrt das Quadrat der Entfernung verhält. Dieß brachte ihn auf die Idee, daß bei dieſen Erſchei- nungen der Natur wohl noch ganz andere Kräfte mit im Spiele ſeyn könnten, und er ließ ſich ſogar, wie er ſpäter ſeinen Freunden ſelbſt geſtand, zu der Meinung verleiten, daß die Wirbeltheorie ſeines Vorgängers Descartes, die er doch früher ſelbſt als ganz unſtatthaft verworfen hatte, und die doch ſo gar nichts an ſich hatte, was einen Mann von ſeinem Geiſte länger feſthalten konnte, doch nicht ſo ganz verworfen werden ſollte. Da aber dieſe wun- derlichen Wirbel der Art waren, daß ſie ſich keiner eigentlichen Berechnung, die doch hier allein entſcheiden konnte, unterwerfen ließen, ſo brach Newton alle weitere Unterſuchungen über dieſen Gegenſtand gänzlich ab, und erklärte ſeine frühere Idee für einen von den vielen mißlungenen Verſuchen, die das Forſchen nach Wahrheit auch bei Männern ſeiner Art ſo oft zu hindern und aufzuhalten pflegen, ſo daß er dieſe ſeine Beſchäftigung mit un- nützen Spekulationen, denn als ſolche erſchienen ſie ihm, mehrere Jahre durch ſelbſt vor ſeinen näheren Freunden verheimlichte. §. 36. (Weitere Verſuche Newtons, ſeine Abſichten zu er- reichen.) Wäre die Sache in dieſem Zuſtande geblieben, ſo würde vielleicht bis heute noch unſere ganze Aſtronomie auf der Stufe, auf welche ſie Kepler erhoben hatte, das heißt im Grunde doch nur auf der Stufe ihrer Kindheit, ſtehen geblieben ſeyn. In der That war wenig Hoffnung zu einer Verbeſſerung dieſes Zuſtandes der Wiſſenſchaft, denn als Newton, am Ende der Krankheit, welche die Umgegenden Cambridg’s verheerte, nach dieſer Stadt zurück kehrte, überließ er ſich ganz wieder ſeinen optiſchen Unterſuchungen, die ihn ſchon früher zu ſo ſchönen Entdeckungen geführt hatten. Volle zwölf Jahre kam er nicht mehr auf jenen Gegenſtand zurück, den er, wie es ſchien, für immer aufgegeben hatte. Im Jahre 1678 erhielt er von der Londoner Academie den Auftrag, ſeine Anſicht über ein Werk der 4 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/63
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/63>, abgerufen am 26.11.2024.