Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Allgemeine Schwere.
fenen Körper oft sehr weit über die Erde hin, und unsere Kano-
nenkugeln beschreiben, ehe sie wieder zur Erde fallen, einen desto
längeren Bogen über derselben, je stärker die Ladung ist, mit
welcher sie abgeschossen wurden. Und was hindert uns, an-
zunehmen, daß eine noch viel stärkere Ladung sie noch viel weiter,
sie endlich ganz um die Erde herum treiben würde, so wie auch
vielleicht der Mond von einer solchen ersten hinlänglich starken
Kraft um die Erde getrieben wird.

Diese beiden Dinge sind offenbar so ähnlich, und einander
in einem so hohen Grade analog, daß wir nur das eine dersel-
ben, den Stein oder die Kugel, deren Spiel in unserer Nähe
vorgeht, näher betrachten dürfen, um das, was wir an ihm ge-
funden haben, auch sogleich auf das zweite, auf den Mond zu
übertragen.

§. 31. (Fall der auf der Oberfläche der Erde geworfenen
Körper.) Denken wir uns demnach vor einer horizontal aufge-
stellten Kanone eine vertikale Wand in einer solchen Entfernung
von der Mündung des Geschützes, daß die Kugel, wenn sie diese
Mündung verläßt, jener Wand genau in der Zeit von einer Se-
kunde begegne. Bemerken wir überdieß zuerst denjenigen Punkt
der Wand, der mit dem Mittelpunkte der Mündung in derselben
Höhe liegt, oder den Punkt, welchen die Kugel treffen würde,
wenn sie sich genau in horizontaler Richtung bewegen, wenn sie,
während ihres Laufes, von der Erde nicht angezogen werden
möchte. Bemerken wir dann aber auch, nach dem Schusse, den-
jenigen Punkt der Wand, wo sie von der Kugel in der That ge-
troffen worden ist. -- Wo wird dieser zweite Punkt liegen? --
Genau 15 Fuß unter dem ersten, wie sich jeder selbst überzeugen
kann, der das Experiment anstellen will. Also genau eben so
viel, als sie, in dieser ersten Sekunde, frei gefallen wäre, wenn
man sie, statt sie aus der Kanone zu schießen, bloß aus der um-
gewendeten Hand hätte fallen lassen.

Was sollen wir aus dieser merkwürdigen Uebereinstimmung
schließen? -- Offenbar, daß, wenn zwei Kräfte auf einen Körper
wirken, jede derselben die gleiche Veränderung in ihm hervorbringt,
die sie hervorgebracht haben würde, wenn sie allein auf ihn ge-
wirkt hätte, und wenn die andere gar nicht da gewesen wäre.

Allgemeine Schwere.
fenen Körper oft ſehr weit über die Erde hin, und unſere Kano-
nenkugeln beſchreiben, ehe ſie wieder zur Erde fallen, einen deſto
längeren Bogen über derſelben, je ſtärker die Ladung iſt, mit
welcher ſie abgeſchoſſen wurden. Und was hindert uns, an-
zunehmen, daß eine noch viel ſtärkere Ladung ſie noch viel weiter,
ſie endlich ganz um die Erde herum treiben würde, ſo wie auch
vielleicht der Mond von einer ſolchen erſten hinlänglich ſtarken
Kraft um die Erde getrieben wird.

Dieſe beiden Dinge ſind offenbar ſo ähnlich, und einander
in einem ſo hohen Grade analog, daß wir nur das eine derſel-
ben, den Stein oder die Kugel, deren Spiel in unſerer Nähe
vorgeht, näher betrachten dürfen, um das, was wir an ihm ge-
funden haben, auch ſogleich auf das zweite, auf den Mond zu
übertragen.

§. 31. (Fall der auf der Oberfläche der Erde geworfenen
Körper.) Denken wir uns demnach vor einer horizontal aufge-
ſtellten Kanone eine vertikale Wand in einer ſolchen Entfernung
von der Mündung des Geſchützes, daß die Kugel, wenn ſie dieſe
Mündung verläßt, jener Wand genau in der Zeit von einer Se-
kunde begegne. Bemerken wir überdieß zuerſt denjenigen Punkt
der Wand, der mit dem Mittelpunkte der Mündung in derſelben
Höhe liegt, oder den Punkt, welchen die Kugel treffen würde,
wenn ſie ſich genau in horizontaler Richtung bewegen, wenn ſie,
während ihres Laufes, von der Erde nicht angezogen werden
möchte. Bemerken wir dann aber auch, nach dem Schuſſe, den-
jenigen Punkt der Wand, wo ſie von der Kugel in der That ge-
troffen worden iſt. — Wo wird dieſer zweite Punkt liegen? —
Genau 15 Fuß unter dem erſten, wie ſich jeder ſelbſt überzeugen
kann, der das Experiment anſtellen will. Alſo genau eben ſo
viel, als ſie, in dieſer erſten Sekunde, frei gefallen wäre, wenn
man ſie, ſtatt ſie aus der Kanone zu ſchießen, bloß aus der um-
gewendeten Hand hätte fallen laſſen.

Was ſollen wir aus dieſer merkwürdigen Uebereinſtimmung
ſchließen? — Offenbar, daß, wenn zwei Kräfte auf einen Körper
wirken, jede derſelben die gleiche Veränderung in ihm hervorbringt,
die ſie hervorgebracht haben würde, wenn ſie allein auf ihn ge-
wirkt hätte, und wenn die andere gar nicht da geweſen wäre.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0058" n="46"/><fw place="top" type="header">Allgemeine Schwere.</fw><lb/>
fenen Körper oft &#x017F;ehr weit über die Erde hin, und un&#x017F;ere Kano-<lb/>
nenkugeln be&#x017F;chreiben, ehe &#x017F;ie wieder zur Erde fallen, einen de&#x017F;to<lb/>
längeren Bogen über der&#x017F;elben, je &#x017F;tärker die Ladung i&#x017F;t, mit<lb/>
welcher &#x017F;ie abge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en wurden. Und was hindert uns, an-<lb/>
zunehmen, daß eine noch viel &#x017F;tärkere Ladung &#x017F;ie noch viel weiter,<lb/>
&#x017F;ie endlich ganz um die Erde herum treiben würde, &#x017F;o wie auch<lb/>
vielleicht der Mond von einer &#x017F;olchen er&#x017F;ten hinlänglich &#x017F;tarken<lb/>
Kraft um die Erde getrieben wird.</p><lb/>
              <p>Die&#x017F;e beiden Dinge &#x017F;ind offenbar &#x017F;o ähnlich, und einander<lb/>
in einem &#x017F;o hohen Grade analog, daß wir nur das eine der&#x017F;el-<lb/>
ben, den Stein oder die Kugel, deren Spiel in un&#x017F;erer Nähe<lb/>
vorgeht, näher betrachten dürfen, um das, was wir an ihm ge-<lb/>
funden haben, auch &#x017F;ogleich auf das zweite, auf den Mond zu<lb/>
übertragen.</p><lb/>
              <p>§. 31. (Fall der auf der Oberfläche der Erde geworfenen<lb/>
Körper.) Denken wir uns demnach vor einer horizontal aufge-<lb/>
&#x017F;tellten Kanone eine vertikale Wand in einer &#x017F;olchen Entfernung<lb/>
von der Mündung des Ge&#x017F;chützes, daß die Kugel, wenn &#x017F;ie die&#x017F;e<lb/>
Mündung verläßt, jener Wand genau in der Zeit von einer Se-<lb/>
kunde begegne. Bemerken wir überdieß zuer&#x017F;t denjenigen Punkt<lb/>
der Wand, der mit dem Mittelpunkte der Mündung in der&#x017F;elben<lb/>
Höhe liegt, oder den Punkt, welchen die Kugel treffen würde,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;ich genau in horizontaler Richtung bewegen, wenn &#x017F;ie,<lb/>
während ihres Laufes, von der Erde nicht angezogen werden<lb/>
möchte. Bemerken wir dann aber auch, nach dem Schu&#x017F;&#x017F;e, den-<lb/>
jenigen Punkt der Wand, wo &#x017F;ie von der Kugel in der That ge-<lb/>
troffen worden i&#x017F;t. &#x2014; Wo wird die&#x017F;er zweite Punkt liegen? &#x2014;<lb/>
Genau 15 Fuß unter dem er&#x017F;ten, wie &#x017F;ich jeder &#x017F;elb&#x017F;t überzeugen<lb/>
kann, der das Experiment an&#x017F;tellen will. Al&#x017F;o genau eben &#x017F;o<lb/>
viel, als &#x017F;ie, in die&#x017F;er er&#x017F;ten Sekunde, frei gefallen wäre, wenn<lb/>
man &#x017F;ie, &#x017F;tatt &#x017F;ie aus der Kanone zu &#x017F;chießen, bloß aus der um-<lb/>
gewendeten Hand hätte fallen la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
              <p>Was &#x017F;ollen wir aus die&#x017F;er merkwürdigen Ueberein&#x017F;timmung<lb/>
&#x017F;chließen? &#x2014; Offenbar, daß, wenn zwei Kräfte auf einen Körper<lb/>
wirken, jede der&#x017F;elben die gleiche Veränderung in ihm hervorbringt,<lb/>
die &#x017F;ie hervorgebracht haben würde, wenn &#x017F;ie allein auf ihn ge-<lb/>
wirkt hätte, und wenn die andere gar nicht da gewe&#x017F;en wäre.<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[46/0058] Allgemeine Schwere. fenen Körper oft ſehr weit über die Erde hin, und unſere Kano- nenkugeln beſchreiben, ehe ſie wieder zur Erde fallen, einen deſto längeren Bogen über derſelben, je ſtärker die Ladung iſt, mit welcher ſie abgeſchoſſen wurden. Und was hindert uns, an- zunehmen, daß eine noch viel ſtärkere Ladung ſie noch viel weiter, ſie endlich ganz um die Erde herum treiben würde, ſo wie auch vielleicht der Mond von einer ſolchen erſten hinlänglich ſtarken Kraft um die Erde getrieben wird. Dieſe beiden Dinge ſind offenbar ſo ähnlich, und einander in einem ſo hohen Grade analog, daß wir nur das eine derſel- ben, den Stein oder die Kugel, deren Spiel in unſerer Nähe vorgeht, näher betrachten dürfen, um das, was wir an ihm ge- funden haben, auch ſogleich auf das zweite, auf den Mond zu übertragen. §. 31. (Fall der auf der Oberfläche der Erde geworfenen Körper.) Denken wir uns demnach vor einer horizontal aufge- ſtellten Kanone eine vertikale Wand in einer ſolchen Entfernung von der Mündung des Geſchützes, daß die Kugel, wenn ſie dieſe Mündung verläßt, jener Wand genau in der Zeit von einer Se- kunde begegne. Bemerken wir überdieß zuerſt denjenigen Punkt der Wand, der mit dem Mittelpunkte der Mündung in derſelben Höhe liegt, oder den Punkt, welchen die Kugel treffen würde, wenn ſie ſich genau in horizontaler Richtung bewegen, wenn ſie, während ihres Laufes, von der Erde nicht angezogen werden möchte. Bemerken wir dann aber auch, nach dem Schuſſe, den- jenigen Punkt der Wand, wo ſie von der Kugel in der That ge- troffen worden iſt. — Wo wird dieſer zweite Punkt liegen? — Genau 15 Fuß unter dem erſten, wie ſich jeder ſelbſt überzeugen kann, der das Experiment anſtellen will. Alſo genau eben ſo viel, als ſie, in dieſer erſten Sekunde, frei gefallen wäre, wenn man ſie, ſtatt ſie aus der Kanone zu ſchießen, bloß aus der um- gewendeten Hand hätte fallen laſſen. Was ſollen wir aus dieſer merkwürdigen Uebereinſtimmung ſchließen? — Offenbar, daß, wenn zwei Kräfte auf einen Körper wirken, jede derſelben die gleiche Veränderung in ihm hervorbringt, die ſie hervorgebracht haben würde, wenn ſie allein auf ihn ge- wirkt hätte, und wenn die andere gar nicht da geweſen wäre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/58
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/58>, abgerufen am 24.11.2024.