Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Säculäre Störungen
aber bereits oben (I. §. 190) gesehen, daß, den Beobachtungen
zu Folge, der Frühlingspunkt in einem Jahrhundert um 5021,13
Sekunden rückwärts geht, und daß dieß im Allgemeinen eine
Folge der Anziehung der Sonne und des Mondes auf die abge-
plattete
Erde ist, die wir dort die Präcession genannt haben.
Da aber die Wirkung der Planeten den Frühlingspunkt in einem
Jahrhundert um 16,44 Sekunden vorwärts bewegt, so beträgt
die eigentliche Wirkung der Sonne und des Mondes 5037,57
Sekunden, oder die beobachtete Präcession, nach welcher der Früh-
lingspunkt in jedem Jahre um 50,2113 Sekunden rückwärts geht,
besteht aus zwei Theilen. Vermöge des ersten, oder vermöge
der Einwirkung der Sonne und des Mondes auf die abgeplattete
Erde geht der Frühlingspunkt jährlich um 50,3757 Sekunden rück-
wärts, und vermöge des zweiten, der Einwirkung der Planeten
auf die Erdbahn, geht derselbe jährlich um 0,1644 Sekunden vor-
wärts. Der erste ist seiner Natur nach constant, und für alle
Zeiten derselbe, wenn anders die mittlere Entfernung jener beiden
Gestirne, und die Abplattung der Erde sich nicht mit der Zeit
ändert. Der zweite Theil aber hängt von der Lage, von der
Vertheilung der Planetenbahnen gegen die Erdbahn ab, und
ist daher veränderlich, da in der Folge der Jahrhunderte diese
Lage der Planeten, durch ihre gegenseitigen Störungen selbst, eine
ganz andere seyn wird, als diejenige ist, welche wir jetzt beobachten.

§. 93. (Veränderung der Länge des tropischen Jahres.) Diese
Bemerkung hat einen wichtigen Einfluß auf die Länge des Jah-
res, und dadurch auf unsere gesammte Zeitrechnung. Das wahre
Jahr der Erde oder die siderische Umlaufszeit (I. §. 100) der-
selben um die Sonne ist bei ihr, wie bei allen andern Planeten,
eine völlig unveränderliche Größe. Allein das tropische Jahr
(I. §. 123), oder die Umlaufszeit der Erde in Beziehung auf
den Frühlingspunkt, ist kürzer als das siderische Jahr, und zwar
um die Zeit, welche die Erde braucht, mit ihrer mittleren Bewe-
gung den Bogen zurückzulegen, welcher von dem Frühlingspunkte
vermöge der beobachteten Präcession zurückgelegt wird. Dieser
Bogen enthält aber, nach dem Vorhergehenden, einen obschon
kleinen Theil, dessen Werth in verschiedenen Jahrhunderten ver-
änderlich ist. Also ist auch die Zeit, in welcher die Sonne diesen

Säculäre Störungen
aber bereits oben (I. §. 190) geſehen, daß, den Beobachtungen
zu Folge, der Frühlingspunkt in einem Jahrhundert um 5021,13
Sekunden rückwärts geht, und daß dieß im Allgemeinen eine
Folge der Anziehung der Sonne und des Mondes auf die abge-
plattete
Erde iſt, die wir dort die Präceſſion genannt haben.
Da aber die Wirkung der Planeten den Frühlingspunkt in einem
Jahrhundert um 16,44 Sekunden vorwärts bewegt, ſo beträgt
die eigentliche Wirkung der Sonne und des Mondes 5037,57
Sekunden, oder die beobachtete Präceſſion, nach welcher der Früh-
lingspunkt in jedem Jahre um 50,2113 Sekunden rückwärts geht,
beſteht aus zwei Theilen. Vermöge des erſten, oder vermöge
der Einwirkung der Sonne und des Mondes auf die abgeplattete
Erde geht der Frühlingspunkt jährlich um 50,3757 Sekunden rück-
wärts, und vermöge des zweiten, der Einwirkung der Planeten
auf die Erdbahn, geht derſelbe jährlich um 0,1644 Sekunden vor-
wärts. Der erſte iſt ſeiner Natur nach conſtant, und für alle
Zeiten derſelbe, wenn anders die mittlere Entfernung jener beiden
Geſtirne, und die Abplattung der Erde ſich nicht mit der Zeit
ändert. Der zweite Theil aber hängt von der Lage, von der
Vertheilung der Planetenbahnen gegen die Erdbahn ab, und
iſt daher veränderlich, da in der Folge der Jahrhunderte dieſe
Lage der Planeten, durch ihre gegenſeitigen Störungen ſelbſt, eine
ganz andere ſeyn wird, als diejenige iſt, welche wir jetzt beobachten.

§. 93. (Veränderung der Länge des tropiſchen Jahres.) Dieſe
Bemerkung hat einen wichtigen Einfluß auf die Länge des Jah-
res, und dadurch auf unſere geſammte Zeitrechnung. Das wahre
Jahr der Erde oder die ſideriſche Umlaufszeit (I. §. 100) der-
ſelben um die Sonne iſt bei ihr, wie bei allen andern Planeten,
eine völlig unveränderliche Größe. Allein das tropiſche Jahr
(I. §. 123), oder die Umlaufszeit der Erde in Beziehung auf
den Frühlingspunkt, iſt kürzer als das ſideriſche Jahr, und zwar
um die Zeit, welche die Erde braucht, mit ihrer mittleren Bewe-
gung den Bogen zurückzulegen, welcher von dem Frühlingspunkte
vermöge der beobachteten Präceſſion zurückgelegt wird. Dieſer
Bogen enthält aber, nach dem Vorhergehenden, einen obſchon
kleinen Theil, deſſen Werth in verſchiedenen Jahrhunderten ver-
änderlich iſt. Alſo iſt auch die Zeit, in welcher die Sonne dieſen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0149" n="137"/><fw place="top" type="header">Säculäre Störungen</fw><lb/>
aber bereits oben (<hi rendition="#aq">I.</hi> §. 190) ge&#x017F;ehen, daß, den Beobachtungen<lb/>
zu Folge, der Frühlingspunkt in einem Jahrhundert um 5021,<hi rendition="#sub">13</hi><lb/>
Sekunden <hi rendition="#g">rückwärts</hi> geht, und daß dieß im Allgemeinen eine<lb/>
Folge der Anziehung der Sonne und des Mondes auf die <hi rendition="#g">abge-<lb/>
plattete</hi> Erde i&#x017F;t, die wir dort die <hi rendition="#g">Präce&#x017F;&#x017F;ion</hi> genannt haben.<lb/>
Da aber die Wirkung der Planeten den Frühlingspunkt in einem<lb/>
Jahrhundert um 16,<hi rendition="#sub">44</hi> Sekunden vorwärts bewegt, &#x017F;o beträgt<lb/>
die eigentliche Wirkung der Sonne und des Mondes 5037,<hi rendition="#sub">57</hi><lb/>
Sekunden, oder die <hi rendition="#g">beobachtete</hi> Präce&#x017F;&#x017F;ion, nach welcher der Früh-<lb/>
lingspunkt in jedem Jahre um 50,<hi rendition="#sub">2113</hi> Sekunden rückwärts geht,<lb/>
be&#x017F;teht aus zwei Theilen. Vermöge des er&#x017F;ten, oder vermöge<lb/>
der Einwirkung der Sonne und des Mondes auf die abgeplattete<lb/>
Erde geht der Frühlingspunkt jährlich um 50,<hi rendition="#sub">3757</hi> Sekunden rück-<lb/>
wärts, und vermöge des zweiten, der Einwirkung der Planeten<lb/>
auf die Erdbahn, geht der&#x017F;elbe jährlich um 0,<hi rendition="#sub">1644</hi> Sekunden vor-<lb/>
wärts. Der er&#x017F;te i&#x017F;t &#x017F;einer Natur nach con&#x017F;tant, und für alle<lb/>
Zeiten der&#x017F;elbe, wenn anders die mittlere Entfernung jener beiden<lb/>
Ge&#x017F;tirne, und die Abplattung der Erde &#x017F;ich nicht mit der Zeit<lb/>
ändert. Der zweite Theil aber hängt von der Lage, von der<lb/>
Vertheilung der Planetenbahnen gegen die Erdbahn ab, und<lb/>
i&#x017F;t daher veränderlich, da in der Folge der Jahrhunderte die&#x017F;e<lb/>
Lage der Planeten, durch ihre gegen&#x017F;eitigen Störungen &#x017F;elb&#x017F;t, eine<lb/>
ganz andere &#x017F;eyn wird, als diejenige i&#x017F;t, welche wir jetzt beobachten.</p><lb/>
              <p>§. 93. (Veränderung der Länge des tropi&#x017F;chen Jahres.) Die&#x017F;e<lb/>
Bemerkung hat einen wichtigen Einfluß auf die Länge des Jah-<lb/>
res, und dadurch auf un&#x017F;ere ge&#x017F;ammte Zeitrechnung. Das <hi rendition="#g">wahre</hi><lb/>
Jahr der Erde oder die &#x017F;ideri&#x017F;che Umlaufszeit (<hi rendition="#aq">I.</hi> §. 100) der-<lb/>
&#x017F;elben um die Sonne i&#x017F;t bei ihr, wie bei allen andern Planeten,<lb/>
eine völlig unveränderliche Größe. Allein das tropi&#x017F;che Jahr<lb/>
(<hi rendition="#aq">I.</hi> §. 123), oder die Umlaufszeit der Erde in Beziehung auf<lb/>
den Frühlingspunkt, i&#x017F;t kürzer als das &#x017F;ideri&#x017F;che Jahr, und zwar<lb/>
um die Zeit, welche die Erde braucht, mit ihrer mittleren Bewe-<lb/>
gung den Bogen zurückzulegen, welcher von dem Frühlingspunkte<lb/>
vermöge der beobachteten Präce&#x017F;&#x017F;ion zurückgelegt wird. Die&#x017F;er<lb/>
Bogen enthält aber, nach dem Vorhergehenden, einen ob&#x017F;chon<lb/>
kleinen Theil, de&#x017F;&#x017F;en Werth in ver&#x017F;chiedenen Jahrhunderten ver-<lb/>
änderlich i&#x017F;t. Al&#x017F;o i&#x017F;t auch die Zeit, in welcher die Sonne die&#x017F;en<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0149] Säculäre Störungen aber bereits oben (I. §. 190) geſehen, daß, den Beobachtungen zu Folge, der Frühlingspunkt in einem Jahrhundert um 5021,13 Sekunden rückwärts geht, und daß dieß im Allgemeinen eine Folge der Anziehung der Sonne und des Mondes auf die abge- plattete Erde iſt, die wir dort die Präceſſion genannt haben. Da aber die Wirkung der Planeten den Frühlingspunkt in einem Jahrhundert um 16,44 Sekunden vorwärts bewegt, ſo beträgt die eigentliche Wirkung der Sonne und des Mondes 5037,57 Sekunden, oder die beobachtete Präceſſion, nach welcher der Früh- lingspunkt in jedem Jahre um 50,2113 Sekunden rückwärts geht, beſteht aus zwei Theilen. Vermöge des erſten, oder vermöge der Einwirkung der Sonne und des Mondes auf die abgeplattete Erde geht der Frühlingspunkt jährlich um 50,3757 Sekunden rück- wärts, und vermöge des zweiten, der Einwirkung der Planeten auf die Erdbahn, geht derſelbe jährlich um 0,1644 Sekunden vor- wärts. Der erſte iſt ſeiner Natur nach conſtant, und für alle Zeiten derſelbe, wenn anders die mittlere Entfernung jener beiden Geſtirne, und die Abplattung der Erde ſich nicht mit der Zeit ändert. Der zweite Theil aber hängt von der Lage, von der Vertheilung der Planetenbahnen gegen die Erdbahn ab, und iſt daher veränderlich, da in der Folge der Jahrhunderte dieſe Lage der Planeten, durch ihre gegenſeitigen Störungen ſelbſt, eine ganz andere ſeyn wird, als diejenige iſt, welche wir jetzt beobachten. §. 93. (Veränderung der Länge des tropiſchen Jahres.) Dieſe Bemerkung hat einen wichtigen Einfluß auf die Länge des Jah- res, und dadurch auf unſere geſammte Zeitrechnung. Das wahre Jahr der Erde oder die ſideriſche Umlaufszeit (I. §. 100) der- ſelben um die Sonne iſt bei ihr, wie bei allen andern Planeten, eine völlig unveränderliche Größe. Allein das tropiſche Jahr (I. §. 123), oder die Umlaufszeit der Erde in Beziehung auf den Frühlingspunkt, iſt kürzer als das ſideriſche Jahr, und zwar um die Zeit, welche die Erde braucht, mit ihrer mittleren Bewe- gung den Bogen zurückzulegen, welcher von dem Frühlingspunkte vermöge der beobachteten Präceſſion zurückgelegt wird. Dieſer Bogen enthält aber, nach dem Vorhergehenden, einen obſchon kleinen Theil, deſſen Werth in verſchiedenen Jahrhunderten ver- änderlich iſt. Alſo iſt auch die Zeit, in welcher die Sonne dieſen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/149
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 3. Stuttgart, 1836, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem03_1836/149>, abgerufen am 25.11.2024.