Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Refraction, Präcession und Nutation.
Erde, sondern noch 36 Grade mehr, also 216 Grade dieses Um-
fangs von dem direkten und reflektirten Sonnenlichte beleuchtet
werden.

Von dieser sogenannten astronomischen Dämmerung ist die
bürgerliche verschieden, die dann anfängt und endet, wenn man
in mäßig frei liegenden Wohnungen das Licht Abends anzuzünden
oder Morgens auszulöschen pflegt. Man nimmt für diese Zeit
die Tiefe der Sonne unter dem Horizonte zu 61/2 Grad an. Diese
bürgerliche Dämmerung ist also viel kürzer, als jene, und sie
dauert für das mittlere Deutschland im März und Oktober, wo
sie am kürzesten ist, nur 40 Minuten, im höchsten Sommer aber
oder in der Mitte des Junius nahe eine Stunde.

§. 189. (Allgemeine Reflexion der Sonnenstrahlen durch die
Atmosphäre.) Wenn wir einen Sonnenstrahl durch die enge Oeff-
nung eines Fensterladens in ein verschlossenes, finsteres Zimmer
leiten, so sieht man denselben nicht bloß als einen lichten, golde-
nen Faden durch die ganze Länge des Zimmers gehen, sondern
man bemerkt auch die um ihn liegenden Gegenstände in einem
matten Lichte schimmern, so daß durch diesen einen Strahl das
ganze Zimmer schwach beleuchtet erscheint, offenbar weil einzelne
Theile des Lichtstrahls von der Luft, durch die er geht, zurückge-
worfen und auf die benachbarten Gegenstände gebracht werden,
von welchen sie wieder in unser Auge reflektiren. Dieselbe Er-
scheinung hat noch in einem viel höheren Grade für alle Theile
der Erde statt, die eben von der über ihrem Horizonte stehenden
Sonne beschienen werden. Die Sonne bescheint diese Gegenstände
auf der Erde, so wie die Atmosphäre und die in ihr enthaltenen
Wolken und Dünste über der Erde, und diese zerstreuen das von
der Sonne erhaltene Licht, wie zahllose Spiegel, nach allen Sei-
ten, so daß gleichsam von jedem sichtbaren Punkte auf und über
der Erde zu jedem andern sichtbaren Punkte die Strahlen des
Lichtes sich nach allen Richtungen durchkreuzen. Das allgemein
über uns verbreitete Tageslicht, dessen wir uns während der
Gegenwart der Sonne erfreuen, ist daher ein Phänomen, das im
Grunde aus derselben Ursache, wie die eben betrachtete Morgen-
und Abenddämmerung entsteht. Wäre die Erde von keiner At-

Littrows Himmel u. s. Wunder. I. 23

Refraction, Präceſſion und Nutation.
Erde, ſondern noch 36 Grade mehr, alſo 216 Grade dieſes Um-
fangs von dem direkten und reflektirten Sonnenlichte beleuchtet
werden.

Von dieſer ſogenannten aſtronomiſchen Dämmerung iſt die
bürgerliche verſchieden, die dann anfängt und endet, wenn man
in mäßig frei liegenden Wohnungen das Licht Abends anzuzünden
oder Morgens auszulöſchen pflegt. Man nimmt für dieſe Zeit
die Tiefe der Sonne unter dem Horizonte zu 6½ Grad an. Dieſe
bürgerliche Dämmerung iſt alſo viel kürzer, als jene, und ſie
dauert für das mittlere Deutſchland im März und Oktober, wo
ſie am kürzeſten iſt, nur 40 Minuten, im höchſten Sommer aber
oder in der Mitte des Junius nahe eine Stunde.

§. 189. (Allgemeine Reflexion der Sonnenſtrahlen durch die
Atmoſphäre.) Wenn wir einen Sonnenſtrahl durch die enge Oeff-
nung eines Fenſterladens in ein verſchloſſenes, finſteres Zimmer
leiten, ſo ſieht man denſelben nicht bloß als einen lichten, golde-
nen Faden durch die ganze Länge des Zimmers gehen, ſondern
man bemerkt auch die um ihn liegenden Gegenſtände in einem
matten Lichte ſchimmern, ſo daß durch dieſen einen Strahl das
ganze Zimmer ſchwach beleuchtet erſcheint, offenbar weil einzelne
Theile des Lichtſtrahls von der Luft, durch die er geht, zurückge-
worfen und auf die benachbarten Gegenſtände gebracht werden,
von welchen ſie wieder in unſer Auge reflektiren. Dieſelbe Er-
ſcheinung hat noch in einem viel höheren Grade für alle Theile
der Erde ſtatt, die eben von der über ihrem Horizonte ſtehenden
Sonne beſchienen werden. Die Sonne beſcheint dieſe Gegenſtände
auf der Erde, ſo wie die Atmoſphäre und die in ihr enthaltenen
Wolken und Dünſte über der Erde, und dieſe zerſtreuen das von
der Sonne erhaltene Licht, wie zahlloſe Spiegel, nach allen Sei-
ten, ſo daß gleichſam von jedem ſichtbaren Punkte auf und über
der Erde zu jedem andern ſichtbaren Punkte die Strahlen des
Lichtes ſich nach allen Richtungen durchkreuzen. Das allgemein
über uns verbreitete Tageslicht, deſſen wir uns während der
Gegenwart der Sonne erfreuen, iſt daher ein Phänomen, das im
Grunde aus derſelben Urſache, wie die eben betrachtete Morgen-
und Abenddämmerung entſteht. Wäre die Erde von keiner At-

Littrows Himmel u. ſ. Wunder. I. 23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0365" n="353"/><fw place="top" type="header">Refraction, Präce&#x017F;&#x017F;ion und Nutation.</fw><lb/>
Erde, &#x017F;ondern noch 36 Grade mehr, al&#x017F;o 216 Grade die&#x017F;es Um-<lb/>
fangs von dem direkten und reflektirten Sonnenlichte beleuchtet<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p>Von die&#x017F;er &#x017F;ogenannten a&#x017F;tronomi&#x017F;chen Dämmerung i&#x017F;t die<lb/>
bürgerliche ver&#x017F;chieden, die dann anfängt und endet, wenn man<lb/>
in mäßig frei liegenden Wohnungen das Licht Abends anzuzünden<lb/>
oder Morgens auszulö&#x017F;chen pflegt. Man nimmt für die&#x017F;e Zeit<lb/>
die Tiefe der Sonne unter dem Horizonte zu 6½ Grad an. Die&#x017F;e<lb/>
bürgerliche Dämmerung i&#x017F;t al&#x017F;o viel kürzer, als jene, und &#x017F;ie<lb/>
dauert für das mittlere Deut&#x017F;chland im März und Oktober, wo<lb/>
&#x017F;ie am kürze&#x017F;ten i&#x017F;t, nur 40 Minuten, im höch&#x017F;ten Sommer aber<lb/>
oder in der Mitte des Junius nahe eine Stunde.</p><lb/>
          <p>§. 189. (Allgemeine Reflexion der Sonnen&#x017F;trahlen durch die<lb/>
Atmo&#x017F;phäre.) Wenn wir einen Sonnen&#x017F;trahl durch die enge Oeff-<lb/>
nung eines Fen&#x017F;terladens in ein ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enes, fin&#x017F;teres Zimmer<lb/>
leiten, &#x017F;o &#x017F;ieht man den&#x017F;elben nicht bloß als einen lichten, golde-<lb/>
nen Faden durch die ganze Länge des Zimmers gehen, &#x017F;ondern<lb/>
man bemerkt auch die um ihn liegenden Gegen&#x017F;tände in einem<lb/>
matten Lichte &#x017F;chimmern, &#x017F;o daß durch die&#x017F;en einen Strahl das<lb/>
ganze Zimmer &#x017F;chwach beleuchtet er&#x017F;cheint, offenbar weil einzelne<lb/>
Theile des Licht&#x017F;trahls von der Luft, durch die er geht, zurückge-<lb/>
worfen und auf die benachbarten Gegen&#x017F;tände gebracht werden,<lb/>
von welchen &#x017F;ie wieder in un&#x017F;er Auge reflektiren. Die&#x017F;elbe Er-<lb/>
&#x017F;cheinung hat noch in einem viel höheren Grade für alle Theile<lb/>
der Erde &#x017F;tatt, die eben von der über ihrem Horizonte &#x017F;tehenden<lb/>
Sonne be&#x017F;chienen werden. Die Sonne be&#x017F;cheint die&#x017F;e Gegen&#x017F;tände<lb/>
auf der Erde, &#x017F;o wie die Atmo&#x017F;phäre und die in ihr enthaltenen<lb/>
Wolken und Dün&#x017F;te über der Erde, und die&#x017F;e zer&#x017F;treuen das von<lb/>
der Sonne erhaltene Licht, wie zahllo&#x017F;e Spiegel, nach allen Sei-<lb/>
ten, &#x017F;o daß gleich&#x017F;am von jedem &#x017F;ichtbaren Punkte auf und über<lb/>
der Erde zu jedem andern &#x017F;ichtbaren Punkte die Strahlen des<lb/>
Lichtes &#x017F;ich nach allen Richtungen durchkreuzen. Das allgemein<lb/>
über uns verbreitete Tageslicht, de&#x017F;&#x017F;en wir uns während der<lb/>
Gegenwart der Sonne erfreuen, i&#x017F;t daher ein Phänomen, das im<lb/>
Grunde aus der&#x017F;elben Ur&#x017F;ache, wie die eben betrachtete Morgen-<lb/>
und Abenddämmerung ent&#x017F;teht. Wäre die Erde von keiner At-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Littrows</hi> Himmel u. &#x017F;. Wunder. <hi rendition="#aq">I.</hi> 23</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[353/0365] Refraction, Präceſſion und Nutation. Erde, ſondern noch 36 Grade mehr, alſo 216 Grade dieſes Um- fangs von dem direkten und reflektirten Sonnenlichte beleuchtet werden. Von dieſer ſogenannten aſtronomiſchen Dämmerung iſt die bürgerliche verſchieden, die dann anfängt und endet, wenn man in mäßig frei liegenden Wohnungen das Licht Abends anzuzünden oder Morgens auszulöſchen pflegt. Man nimmt für dieſe Zeit die Tiefe der Sonne unter dem Horizonte zu 6½ Grad an. Dieſe bürgerliche Dämmerung iſt alſo viel kürzer, als jene, und ſie dauert für das mittlere Deutſchland im März und Oktober, wo ſie am kürzeſten iſt, nur 40 Minuten, im höchſten Sommer aber oder in der Mitte des Junius nahe eine Stunde. §. 189. (Allgemeine Reflexion der Sonnenſtrahlen durch die Atmoſphäre.) Wenn wir einen Sonnenſtrahl durch die enge Oeff- nung eines Fenſterladens in ein verſchloſſenes, finſteres Zimmer leiten, ſo ſieht man denſelben nicht bloß als einen lichten, golde- nen Faden durch die ganze Länge des Zimmers gehen, ſondern man bemerkt auch die um ihn liegenden Gegenſtände in einem matten Lichte ſchimmern, ſo daß durch dieſen einen Strahl das ganze Zimmer ſchwach beleuchtet erſcheint, offenbar weil einzelne Theile des Lichtſtrahls von der Luft, durch die er geht, zurückge- worfen und auf die benachbarten Gegenſtände gebracht werden, von welchen ſie wieder in unſer Auge reflektiren. Dieſelbe Er- ſcheinung hat noch in einem viel höheren Grade für alle Theile der Erde ſtatt, die eben von der über ihrem Horizonte ſtehenden Sonne beſchienen werden. Die Sonne beſcheint dieſe Gegenſtände auf der Erde, ſo wie die Atmoſphäre und die in ihr enthaltenen Wolken und Dünſte über der Erde, und dieſe zerſtreuen das von der Sonne erhaltene Licht, wie zahlloſe Spiegel, nach allen Sei- ten, ſo daß gleichſam von jedem ſichtbaren Punkte auf und über der Erde zu jedem andern ſichtbaren Punkte die Strahlen des Lichtes ſich nach allen Richtungen durchkreuzen. Das allgemein über uns verbreitete Tageslicht, deſſen wir uns während der Gegenwart der Sonne erfreuen, iſt daher ein Phänomen, das im Grunde aus derſelben Urſache, wie die eben betrachtete Morgen- und Abenddämmerung entſteht. Wäre die Erde von keiner At- Littrows Himmel u. ſ. Wunder. I. 23

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/365
Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/365>, abgerufen am 25.11.2024.