Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.Einleitung. für die Schule, nicht aber für das eigentliche Leben bestimmteSache behandelt, und die Meisten selbst von denjenigen, welche auf vielseitige Bildung und sogar auf eigentliche Gelehrsamkeit gerech- ten Anspruch machen, die mit Stolz auf den Vorrath ihrer ge- sammelten Kenntnisse herabsehen und Unkenntniß jeder Art für ein Gebrechen halten, stehen doch gar nicht an, so oft zufällig die Rede auf die mathematischen Wissenschaften kömmt, ihre völlige Unwissenheit als eine ganz erlaubte Sache, die sich gleichsam von selbst versteht, mit einer Offenheit, mit einer Naivetät zu bekennen, die man für Scherz halten müßte, wenn sie nicht gewöhnlich gleich darauf von Fragen und Aeußerungen begleitet würde, die eine Art von Entsetzen erregen und die Wahrheit jenes Geständnisses nur zu sehr bestätigen. Abgesehen von der Nothwendigkeit dieser Kenntnisse im wis- Einleitung. für die Schule, nicht aber für das eigentliche Leben beſtimmteSache behandelt, und die Meiſten ſelbſt von denjenigen, welche auf vielſeitige Bildung und ſogar auf eigentliche Gelehrſamkeit gerech- ten Anſpruch machen, die mit Stolz auf den Vorrath ihrer ge- ſammelten Kenntniſſe herabſehen und Unkenntniß jeder Art für ein Gebrechen halten, ſtehen doch gar nicht an, ſo oft zufällig die Rede auf die mathematiſchen Wiſſenſchaften kömmt, ihre völlige Unwiſſenheit als eine ganz erlaubte Sache, die ſich gleichſam von ſelbſt verſteht, mit einer Offenheit, mit einer Naivetät zu bekennen, die man für Scherz halten müßte, wenn ſie nicht gewöhnlich gleich darauf von Fragen und Aeußerungen begleitet würde, die eine Art von Entſetzen erregen und die Wahrheit jenes Geſtändniſſes nur zu ſehr beſtätigen. Abgeſehen von der Nothwendigkeit dieſer Kenntniſſe im wiſ- <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0032" n="20"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.</fw><lb/> für die Schule, nicht aber für das eigentliche Leben beſtimmte<lb/> Sache behandelt, und die Meiſten ſelbſt von denjenigen, welche auf<lb/> vielſeitige Bildung und ſogar auf eigentliche Gelehrſamkeit gerech-<lb/> ten Anſpruch machen, die mit Stolz auf den Vorrath ihrer ge-<lb/> ſammelten Kenntniſſe herabſehen und Unkenntniß jeder Art für<lb/> ein Gebrechen halten, ſtehen doch gar nicht an, ſo oft zufällig die<lb/> Rede auf die mathematiſchen Wiſſenſchaften kömmt, ihre völlige<lb/> Unwiſſenheit als eine ganz erlaubte Sache, die ſich gleichſam von<lb/> ſelbſt verſteht, mit einer Offenheit, mit einer Naivetät zu bekennen,<lb/> die man für Scherz halten müßte, wenn ſie nicht gewöhnlich gleich<lb/> darauf von Fragen und Aeußerungen begleitet würde, die eine<lb/> Art von Entſetzen erregen und die Wahrheit jenes Geſtändniſſes<lb/> nur zu ſehr beſtätigen.</p><lb/> <p>Abgeſehen von der Nothwendigkeit dieſer Kenntniſſe im wiſ-<lb/> ſenſchaftlichen und oft ſelbſt im gemeinen Leben; abgeſehen, daß<lb/> ohne ſie das ſchönſte und dem Menſchen angemeſſenſte Studium,<lb/> das der Natur im Großen, beinahe unmöglich iſt, ſo ſollte ſchon<lb/> der wohlthätige Einfluß, welchen die Kultur dieſer Wiſſenſchaften<lb/> in ihrer mittelbaren Rückwirkung auf den menſchlichen Geiſt ſelbſt<lb/> äußert, uns beſtimmen, ihnen in dem Felde unſerer öffentlichen<lb/> Erziehung eine der erſten Stellen anzuweiſen. Welche andere<lb/> Doctrin bietet dieſe Beſtimmtheit der Begriffe, dieſe ſtrenge Ord-<lb/> nung der Schlüſſe, dieſe Gewißheit ihrer Beweiſe dar? Aus ihrem<lb/> Gebiete iſt jenes heilloſe, vage Geſchwätz und jenes unſelige Mit-<lb/> telding zwiſchen Wiſſen und Glauben, das in allen andern ſoge-<lb/> nannten Wiſſenſchaften gleich einem Unkraut wuchert und keine<lb/> gute Pflanze aufkommen läßt, völlig verbannt. Durch ſie erfährt<lb/> man erſt, was eine Demonſtration iſt und welche Kraft ihr in-<lb/> wohnt. Durch ſie wird der Geiſt zur Aufnahme aller wahren<lb/> Erkenntniſſe, zur Bekämpfung der Vorurtheile und Irrthümer,<lb/> zur Entfernung aller Illuſionen und halbverſtandenen Annahmen<lb/> und zur Verwerfung aller nicht auf eigene Ueberzeugung gegrün-<lb/> deten Auctorität, würdig vorbereitet; und wenn endlich überhaupt<lb/> dem Menſchen gegönnt iſt, von Wahrheit zu ſprechen, ſo iſt es<lb/> hier und hier allein, wo er ſie finden kann. Endlich, und dieß<lb/> möchte in unſeren Tagen nicht zu überſehen ſeyn, bietet dieſe<lb/> Wiſſenſchaft, als die beſte Disciplin des menſchlichen Geiſtes,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [20/0032]
Einleitung.
für die Schule, nicht aber für das eigentliche Leben beſtimmte
Sache behandelt, und die Meiſten ſelbſt von denjenigen, welche auf
vielſeitige Bildung und ſogar auf eigentliche Gelehrſamkeit gerech-
ten Anſpruch machen, die mit Stolz auf den Vorrath ihrer ge-
ſammelten Kenntniſſe herabſehen und Unkenntniß jeder Art für
ein Gebrechen halten, ſtehen doch gar nicht an, ſo oft zufällig die
Rede auf die mathematiſchen Wiſſenſchaften kömmt, ihre völlige
Unwiſſenheit als eine ganz erlaubte Sache, die ſich gleichſam von
ſelbſt verſteht, mit einer Offenheit, mit einer Naivetät zu bekennen,
die man für Scherz halten müßte, wenn ſie nicht gewöhnlich gleich
darauf von Fragen und Aeußerungen begleitet würde, die eine
Art von Entſetzen erregen und die Wahrheit jenes Geſtändniſſes
nur zu ſehr beſtätigen.
Abgeſehen von der Nothwendigkeit dieſer Kenntniſſe im wiſ-
ſenſchaftlichen und oft ſelbſt im gemeinen Leben; abgeſehen, daß
ohne ſie das ſchönſte und dem Menſchen angemeſſenſte Studium,
das der Natur im Großen, beinahe unmöglich iſt, ſo ſollte ſchon
der wohlthätige Einfluß, welchen die Kultur dieſer Wiſſenſchaften
in ihrer mittelbaren Rückwirkung auf den menſchlichen Geiſt ſelbſt
äußert, uns beſtimmen, ihnen in dem Felde unſerer öffentlichen
Erziehung eine der erſten Stellen anzuweiſen. Welche andere
Doctrin bietet dieſe Beſtimmtheit der Begriffe, dieſe ſtrenge Ord-
nung der Schlüſſe, dieſe Gewißheit ihrer Beweiſe dar? Aus ihrem
Gebiete iſt jenes heilloſe, vage Geſchwätz und jenes unſelige Mit-
telding zwiſchen Wiſſen und Glauben, das in allen andern ſoge-
nannten Wiſſenſchaften gleich einem Unkraut wuchert und keine
gute Pflanze aufkommen läßt, völlig verbannt. Durch ſie erfährt
man erſt, was eine Demonſtration iſt und welche Kraft ihr in-
wohnt. Durch ſie wird der Geiſt zur Aufnahme aller wahren
Erkenntniſſe, zur Bekämpfung der Vorurtheile und Irrthümer,
zur Entfernung aller Illuſionen und halbverſtandenen Annahmen
und zur Verwerfung aller nicht auf eigene Ueberzeugung gegrün-
deten Auctorität, würdig vorbereitet; und wenn endlich überhaupt
dem Menſchen gegönnt iſt, von Wahrheit zu ſprechen, ſo iſt es
hier und hier allein, wo er ſie finden kann. Endlich, und dieß
möchte in unſeren Tagen nicht zu überſehen ſeyn, bietet dieſe
Wiſſenſchaft, als die beſte Disciplin des menſchlichen Geiſtes,
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