kommen, als wir in der That gekommen sind. Viel, in der That, ist bereits gethan worden, aber Vieles ist auch noch zu thun,
multum operis restat,
und an unsern Enkeln wird es seyn, den Schatz, den sie von ih- ren Vorfahren übernommen, zu bewahren und das reiche Erbe durch eigene Kraft zu vermehren. Seit dem Anfange unserer Menschengeschichte sind erst einige Jahrtausende verflossen, das Geschlecht ist noch zu jung und die Erde zu neu, um größere For- derungen an sie zu stellen. Noch ist unser Auge zu schwach und unser Blick zu beschränkt, um einen größeren Theil des unendlichen Ganzen zu übersehen, das vor uns ausgebreitet ist. Wir müssen uns, wie es Kindern, wie es Anfängern ziemt, mit den Elementen, mit dem uns zunächst Liegenden begnügen und den Nachkommen, die un- sere Vorarbeiten benützen können, die Erweiterung der Aussicht überlassen. Für uns beschreibt der Mond, dieser treue Gefährte der Erde auf ihrem Wege um die Sonne, noch eine mehr kreis- förmige Bahn um unsere Erde. Aber von der Sonne gesehen, legt er in der That eine Reihe von Epicykeln zurück, deren Mit- telpunkte alle auf der Peripherie der Erdbahn liegen. Eben so beschreibt aber auch die Erde eine andere Reihe von Epicykeln, deren Mittelpunkte auf dem Bogen liegen, welchen die Sonne in unserem Milchstraße-Systeme beschreibt; und diese Sonne selbst beschreibt wieder eine dritte Reihe von Epicykeln, deren Mittel- punkte auf demjenigen Bogen liegen, welchen der Schwerpunkt dieses Milchstraßen-Systems um den Mittelpunkt des Universums beschreibt. Die Astronomie hat uns bisher nur die erste Gattung jener Epicykeln kennen gelehrt und dazu wurden bereits mehrere Jahrtausende erfordert -- welche Zeit wird genügen, um auch jene anderen kennen zu lernen?
Dieses Kennenlernen also, um wieder auf unsere frühere Behauptung zurück zu kommen, dieses ist es, nicht das bloße Anstaunen, sondern die mit Nachdenken verbundene Betrachtung des Himmels ist das, was demselben die ewige Schönheit und den unvergänglichen Reiz verleiht, mit welchem er den auf Bil- dung Anspruch machenden Geist des Menschen an sich zu ziehen pflegt. Und dieses muß es daher auch seyn, worauf jede schrift-
Einleitung.
kommen, als wir in der That gekommen ſind. Viel, in der That, iſt bereits gethan worden, aber Vieles iſt auch noch zu thun,
multum operis restat,
und an unſern Enkeln wird es ſeyn, den Schatz, den ſie von ih- ren Vorfahren übernommen, zu bewahren und das reiche Erbe durch eigene Kraft zu vermehren. Seit dem Anfange unſerer Menſchengeſchichte ſind erſt einige Jahrtauſende verfloſſen, das Geſchlecht iſt noch zu jung und die Erde zu neu, um größere For- derungen an ſie zu ſtellen. Noch iſt unſer Auge zu ſchwach und unſer Blick zu beſchränkt, um einen größeren Theil des unendlichen Ganzen zu überſehen, das vor uns ausgebreitet iſt. Wir müſſen uns, wie es Kindern, wie es Anfängern ziemt, mit den Elementen, mit dem uns zunächſt Liegenden begnügen und den Nachkommen, die un- ſere Vorarbeiten benützen können, die Erweiterung der Ausſicht überlaſſen. Für uns beſchreibt der Mond, dieſer treue Gefährte der Erde auf ihrem Wege um die Sonne, noch eine mehr kreis- förmige Bahn um unſere Erde. Aber von der Sonne geſehen, legt er in der That eine Reihe von Epicykeln zurück, deren Mit- telpunkte alle auf der Peripherie der Erdbahn liegen. Eben ſo beſchreibt aber auch die Erde eine andere Reihe von Epicykeln, deren Mittelpunkte auf dem Bogen liegen, welchen die Sonne in unſerem Milchſtraße-Syſteme beſchreibt; und dieſe Sonne ſelbſt beſchreibt wieder eine dritte Reihe von Epicykeln, deren Mittel- punkte auf demjenigen Bogen liegen, welchen der Schwerpunkt dieſes Milchſtraßen-Syſtems um den Mittelpunkt des Univerſums beſchreibt. Die Aſtronomie hat uns bisher nur die erſte Gattung jener Epicykeln kennen gelehrt und dazu wurden bereits mehrere Jahrtauſende erfordert — welche Zeit wird genügen, um auch jene anderen kennen zu lernen?
Dieſes Kennenlernen alſo, um wieder auf unſere frühere Behauptung zurück zu kommen, dieſes iſt es, nicht das bloße Anſtaunen, ſondern die mit Nachdenken verbundene Betrachtung des Himmels iſt das, was demſelben die ewige Schönheit und den unvergänglichen Reiz verleiht, mit welchem er den auf Bil- dung Anſpruch machenden Geiſt des Menſchen an ſich zu ziehen pflegt. Und dieſes muß es daher auch ſeyn, worauf jede ſchrift-
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[18/0030]
Einleitung.
kommen, als wir in der That gekommen ſind. Viel, in der That,
iſt bereits gethan worden, aber Vieles iſt auch noch zu thun,
multum operis restat,
und an unſern Enkeln wird es ſeyn, den Schatz, den ſie von ih-
ren Vorfahren übernommen, zu bewahren und das reiche Erbe
durch eigene Kraft zu vermehren. Seit dem Anfange unſerer
Menſchengeſchichte ſind erſt einige Jahrtauſende verfloſſen, das
Geſchlecht iſt noch zu jung und die Erde zu neu, um größere For-
derungen an ſie zu ſtellen. Noch iſt unſer Auge zu ſchwach und
unſer Blick zu beſchränkt, um einen größeren Theil des unendlichen
Ganzen zu überſehen, das vor uns ausgebreitet iſt. Wir müſſen uns,
wie es Kindern, wie es Anfängern ziemt, mit den Elementen, mit dem
uns zunächſt Liegenden begnügen und den Nachkommen, die un-
ſere Vorarbeiten benützen können, die Erweiterung der Ausſicht
überlaſſen. Für uns beſchreibt der Mond, dieſer treue Gefährte
der Erde auf ihrem Wege um die Sonne, noch eine mehr kreis-
förmige Bahn um unſere Erde. Aber von der Sonne geſehen,
legt er in der That eine Reihe von Epicykeln zurück, deren Mit-
telpunkte alle auf der Peripherie der Erdbahn liegen. Eben ſo
beſchreibt aber auch die Erde eine andere Reihe von Epicykeln,
deren Mittelpunkte auf dem Bogen liegen, welchen die Sonne
in unſerem Milchſtraße-Syſteme beſchreibt; und dieſe Sonne ſelbſt
beſchreibt wieder eine dritte Reihe von Epicykeln, deren Mittel-
punkte auf demjenigen Bogen liegen, welchen der Schwerpunkt
dieſes Milchſtraßen-Syſtems um den Mittelpunkt des Univerſums
beſchreibt. Die Aſtronomie hat uns bisher nur die erſte Gattung
jener Epicykeln kennen gelehrt und dazu wurden bereits mehrere
Jahrtauſende erfordert — welche Zeit wird genügen, um auch jene
anderen kennen zu lernen?
Dieſes Kennenlernen alſo, um wieder auf unſere frühere
Behauptung zurück zu kommen, dieſes iſt es, nicht das bloße
Anſtaunen, ſondern die mit Nachdenken verbundene Betrachtung
des Himmels iſt das, was demſelben die ewige Schönheit und
den unvergänglichen Reiz verleiht, mit welchem er den auf Bil-
dung Anſpruch machenden Geiſt des Menſchen an ſich zu ziehen
pflegt. Und dieſes muß es daher auch ſeyn, worauf jede ſchrift-
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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/30>, abgerufen am 29.07.2024.
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