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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

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Jährliche Bewegung der Erde.
sich auf den Frühlingspunkt, und da derselbe, wie wir später
sehen werden, selbst etwas veränderlich ist, so muß auch das bür-
gerliche Jahr der Erde von dem wahren oder von der in der
That Statt habenden Umlaufszeit der Erde um die Sonne etwas
verschieden seyn.

Da also jenem Gesetze, dem alle Planeten gehorchen, auch
die Erde unterworfen ist, so werden wir auch annehmen müssen,
daß die Erde selbst ein Planet ist, und sich, wie alle übrigen,
um die Sonne bewegt. Dieselbe Centralkraft der Sonne, welche
die Planeten in ihren Bahnen zurückhält, und welche die den
Planeten eigenthümliche, aus ihrer Bewegung entspringende Cen-
trifugalkraft aufwiegt, wie sollte sie nicht auch auf die Erde wir-
ken, und wie sollte dann die Erde dieser Wirkung der Central-
kraft der Sonne widerstehen, wenn nicht auch sie mit einer Cen-
trifugalkraft, d. h. wenn nicht auch sie mit einer Bewegung um
die Sonne begabt wäre?

§. 59. (Die jährliche Bewegung der Erde ist eine Folge der
täglichen). Wenn wir ferner die tägliche Rotation der Erde als
bewiesen voraussetzen, wie wir dieses nach dem Vorhergehenden
zu thun wohl berechtigt sind, und wenn wir dann die Ursache
aufsuchen, welche dieser Rotation ihre Entstehung gegeben hat,
so können wir sie nur in einem augenblicklichen Stoße finden,
den die Erde im Augenblicke ihrer Entstehung durch eine äußere
Kraft erhalten hat, und der z. B. von der Anziehung irgend
eines Körpers außer ihr entstanden seyn kann. Wenn die Rich-
tung dieses Stoßes nicht genau durch den Mittelpunkt der Erde
gegangen ist, -- und wie unwahrscheinlich wäre diese Annahme unter
den unzähligen andern möglichen Fällen -- so mußte dadurch die
Erde, gleich einem Kreisel, eine Rotation erhalten, die desto
schneller seyn müßte, je größer jener ursprüngliche Stoß, und je
weiter seine Richtung von dem Mittelpunkte der Erde entfernt
gewesen ist. Allein jeder solche Stoß, der eine Rotation der
Erde hervorbringt, mußte auch zugleich eine fortschreitende Be-
wegung ihres Mittelpunkts erzeugen. Wir wissen aus Erfah-
rung, wie schwer es ist, uns selbst oder einen andern Körper um
eine Axe zu drehen, ohne ihn zugleich aus seiner Stelle zu rücken,
und man sieht leicht, daß dieses eigentlich ganz unmöglich ist,

Jährliche Bewegung der Erde.
ſich auf den Frühlingspunkt, und da derſelbe, wie wir ſpäter
ſehen werden, ſelbſt etwas veränderlich iſt, ſo muß auch das bür-
gerliche Jahr der Erde von dem wahren oder von der in der
That Statt habenden Umlaufszeit der Erde um die Sonne etwas
verſchieden ſeyn.

Da alſo jenem Geſetze, dem alle Planeten gehorchen, auch
die Erde unterworfen iſt, ſo werden wir auch annehmen müſſen,
daß die Erde ſelbſt ein Planet iſt, und ſich, wie alle übrigen,
um die Sonne bewegt. Dieſelbe Centralkraft der Sonne, welche
die Planeten in ihren Bahnen zurückhält, und welche die den
Planeten eigenthümliche, aus ihrer Bewegung entſpringende Cen-
trifugalkraft aufwiegt, wie ſollte ſie nicht auch auf die Erde wir-
ken, und wie ſollte dann die Erde dieſer Wirkung der Central-
kraft der Sonne widerſtehen, wenn nicht auch ſie mit einer Cen-
trifugalkraft, d. h. wenn nicht auch ſie mit einer Bewegung um
die Sonne begabt wäre?

§. 59. (Die jährliche Bewegung der Erde iſt eine Folge der
täglichen). Wenn wir ferner die tägliche Rotation der Erde als
bewieſen vorausſetzen, wie wir dieſes nach dem Vorhergehenden
zu thun wohl berechtigt ſind, und wenn wir dann die Urſache
aufſuchen, welche dieſer Rotation ihre Entſtehung gegeben hat,
ſo können wir ſie nur in einem augenblicklichen Stoße finden,
den die Erde im Augenblicke ihrer Entſtehung durch eine äußere
Kraft erhalten hat, und der z. B. von der Anziehung irgend
eines Körpers außer ihr entſtanden ſeyn kann. Wenn die Rich-
tung dieſes Stoßes nicht genau durch den Mittelpunkt der Erde
gegangen iſt, — und wie unwahrſcheinlich wäre dieſe Annahme unter
den unzähligen andern möglichen Fällen — ſo mußte dadurch die
Erde, gleich einem Kreiſel, eine Rotation erhalten, die deſto
ſchneller ſeyn müßte, je größer jener urſprüngliche Stoß, und je
weiter ſeine Richtung von dem Mittelpunkte der Erde entfernt
geweſen iſt. Allein jeder ſolche Stoß, der eine Rotation der
Erde hervorbringt, mußte auch zugleich eine fortſchreitende Be-
wegung ihres Mittelpunkts erzeugen. Wir wiſſen aus Erfah-
rung, wie ſchwer es iſt, uns ſelbſt oder einen andern Körper um
eine Axe zu drehen, ohne ihn zugleich aus ſeiner Stelle zu rücken,
und man ſieht leicht, daß dieſes eigentlich ganz unmöglich iſt,

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[138/0150] Jährliche Bewegung der Erde. ſich auf den Frühlingspunkt, und da derſelbe, wie wir ſpäter ſehen werden, ſelbſt etwas veränderlich iſt, ſo muß auch das bür- gerliche Jahr der Erde von dem wahren oder von der in der That Statt habenden Umlaufszeit der Erde um die Sonne etwas verſchieden ſeyn. Da alſo jenem Geſetze, dem alle Planeten gehorchen, auch die Erde unterworfen iſt, ſo werden wir auch annehmen müſſen, daß die Erde ſelbſt ein Planet iſt, und ſich, wie alle übrigen, um die Sonne bewegt. Dieſelbe Centralkraft der Sonne, welche die Planeten in ihren Bahnen zurückhält, und welche die den Planeten eigenthümliche, aus ihrer Bewegung entſpringende Cen- trifugalkraft aufwiegt, wie ſollte ſie nicht auch auf die Erde wir- ken, und wie ſollte dann die Erde dieſer Wirkung der Central- kraft der Sonne widerſtehen, wenn nicht auch ſie mit einer Cen- trifugalkraft, d. h. wenn nicht auch ſie mit einer Bewegung um die Sonne begabt wäre? §. 59. (Die jährliche Bewegung der Erde iſt eine Folge der täglichen). Wenn wir ferner die tägliche Rotation der Erde als bewieſen vorausſetzen, wie wir dieſes nach dem Vorhergehenden zu thun wohl berechtigt ſind, und wenn wir dann die Urſache aufſuchen, welche dieſer Rotation ihre Entſtehung gegeben hat, ſo können wir ſie nur in einem augenblicklichen Stoße finden, den die Erde im Augenblicke ihrer Entſtehung durch eine äußere Kraft erhalten hat, und der z. B. von der Anziehung irgend eines Körpers außer ihr entſtanden ſeyn kann. Wenn die Rich- tung dieſes Stoßes nicht genau durch den Mittelpunkt der Erde gegangen iſt, — und wie unwahrſcheinlich wäre dieſe Annahme unter den unzähligen andern möglichen Fällen — ſo mußte dadurch die Erde, gleich einem Kreiſel, eine Rotation erhalten, die deſto ſchneller ſeyn müßte, je größer jener urſprüngliche Stoß, und je weiter ſeine Richtung von dem Mittelpunkte der Erde entfernt geweſen iſt. Allein jeder ſolche Stoß, der eine Rotation der Erde hervorbringt, mußte auch zugleich eine fortſchreitende Be- wegung ihres Mittelpunkts erzeugen. Wir wiſſen aus Erfah- rung, wie ſchwer es iſt, uns ſelbſt oder einen andern Körper um eine Axe zu drehen, ohne ihn zugleich aus ſeiner Stelle zu rücken, und man ſieht leicht, daß dieſes eigentlich ganz unmöglich iſt,

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/150>, abgerufen am 24.11.2024.