§ 7. Die Souveränität als äussere Selbständigkeit.
Die sogenannte Monroe-Doctrin umfasst die Aufstellung zweier, voneinander gänzlich verschiedener Sätze.
a) Die Vereinigten Staaten verwahren sich dagegen, dass die europäischen Mächte das von ihnen in Europa angewendete Prinzip der Intervention (dessen Anwendung gegenüber den im siegreichen Kampf gegen das Mutterland begriffenen mittel- und südamerika- nischen Kolonieen Spaniens und Portugals Russland mehrfach, auch auf dem Kongress zu Verona 1822, unter dem Widerspruch Eng- lands, angeregt hatte) auch auf die amerikanischen Gebiete zu übertragen versuchen. Sie proklamieren also das Selbstbestimmungs- recht der amerikanischen Kontinente und erklären ausdrücklich, sich in die Angelegenheiten Europas auch fernerhin nicht einmischen zu wollen.
b) Die Vereinigten Staaten erklären aber weiter, dass jeder Erwerb amerikanischen Gebietes durch eine europäische Macht künftighin ausgeschlossen sein solle, mag dieser Erwerb ein ursprüng- licher (durch Eroberung oder Okkupation), mag er ein abgeleiteter (durch Vertrag) sein. Damit greift die Monroe-Doctrin weit hinaus über die Rechtssätze des Völkerrechts, das solchen Erwerb in gleicher Weise auf allen Teilen der Erde zulässt. Schon in der Botschaft ist aber auch die Forderung angedeutet, die dann später die Vereinigten Staaten mit steigender Bestimmtheit, aber unter dem Widerspruch Europas wie auch teilweise der übrigen ameri- kanischen Staaten selbst aufgestellt haben, dass nämlich den Ver- einigten Staaten eine Schutzherrschaft auch über die süd- und mittelamerikanischen Staaten zukomme ("Amerika" nicht den Ameri- kanern, sondern "den Vereinigten Staaten"); eine Forderung, die in direktem Widerspruch gerade zu dem Interventionsprinzip steht.
Die Befugnis zu einer Einmischung in die Angelegenheiten eines andern Staates kann gegeben sein:
1. Durch das Ersuchen des andern Staates selbst oder durch dessen Zustimmung (Russland und Österreich 1849).
2. Durch ein von diesem vertragsmässig eingeräumtes Recht.
§ 7. Die Souveränität als äuſsere Selbständigkeit.
Die sogenannte Monroe-Doctrin umfaſst die Aufstellung zweier, voneinander gänzlich verschiedener Sätze.
a) Die Vereinigten Staaten verwahren sich dagegen, daſs die europäischen Mächte das von ihnen in Europa angewendete Prinzip der Intervention (dessen Anwendung gegenüber den im siegreichen Kampf gegen das Mutterland begriffenen mittel- und südamerika- nischen Kolonieen Spaniens und Portugals Ruſsland mehrfach, auch auf dem Kongreſs zu Verona 1822, unter dem Widerspruch Eng- lands, angeregt hatte) auch auf die amerikanischen Gebiete zu übertragen versuchen. Sie proklamieren also das Selbstbestimmungs- recht der amerikanischen Kontinente und erklären ausdrücklich, sich in die Angelegenheiten Europas auch fernerhin nicht einmischen zu wollen.
b) Die Vereinigten Staaten erklären aber weiter, daſs jeder Erwerb amerikanischen Gebietes durch eine europäische Macht künftighin ausgeschlossen sein solle, mag dieser Erwerb ein ursprüng- licher (durch Eroberung oder Okkupation), mag er ein abgeleiteter (durch Vertrag) sein. Damit greift die Monroe-Doctrin weit hinaus über die Rechtssätze des Völkerrechts, das solchen Erwerb in gleicher Weise auf allen Teilen der Erde zuläſst. Schon in der Botschaft ist aber auch die Forderung angedeutet, die dann später die Vereinigten Staaten mit steigender Bestimmtheit, aber unter dem Widerspruch Europas wie auch teilweise der übrigen ameri- kanischen Staaten selbst aufgestellt haben, daſs nämlich den Ver- einigten Staaten eine Schutzherrschaft auch über die süd- und mittelamerikanischen Staaten zukomme („Amerika“ nicht den Ameri- kanern, sondern „den Vereinigten Staaten“); eine Forderung, die in direktem Widerspruch gerade zu dem Interventionsprinzip steht.
Die Befugnis zu einer Einmischung in die Angelegenheiten eines andern Staates kann gegeben sein:
1. Durch das Ersuchen des andern Staates selbst oder durch dessen Zustimmung (Ruſsland und Österreich 1849).
2. Durch ein von diesem vertragsmäſsig eingeräumtes Recht.
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§ 7. Die Souveränität als äuſsere Selbständigkeit.
Die sogenannte Monroe-Doctrin umfaſst die Aufstellung
zweier, voneinander gänzlich verschiedener Sätze.
a) Die Vereinigten Staaten verwahren sich dagegen, daſs die
europäischen Mächte das von ihnen in Europa angewendete Prinzip
der Intervention (dessen Anwendung gegenüber den im siegreichen
Kampf gegen das Mutterland begriffenen mittel- und südamerika-
nischen Kolonieen Spaniens und Portugals Ruſsland mehrfach, auch
auf dem Kongreſs zu Verona 1822, unter dem Widerspruch Eng-
lands, angeregt hatte) auch auf die amerikanischen Gebiete zu
übertragen versuchen. Sie proklamieren also das Selbstbestimmungs-
recht der amerikanischen Kontinente und erklären ausdrücklich,
sich in die Angelegenheiten Europas auch fernerhin nicht einmischen
zu wollen.
b) Die Vereinigten Staaten erklären aber weiter, daſs jeder
Erwerb amerikanischen Gebietes durch eine europäische Macht
künftighin ausgeschlossen sein solle, mag dieser Erwerb ein ursprüng-
licher (durch Eroberung oder Okkupation), mag er ein abgeleiteter
(durch Vertrag) sein. Damit greift die Monroe-Doctrin weit hinaus
über die Rechtssätze des Völkerrechts, das solchen Erwerb in
gleicher Weise auf allen Teilen der Erde zuläſst. Schon in der
Botschaft ist aber auch die Forderung angedeutet, die dann später
die Vereinigten Staaten mit steigender Bestimmtheit, aber unter
dem Widerspruch Europas wie auch teilweise der übrigen ameri-
kanischen Staaten selbst aufgestellt haben, daſs nämlich den Ver-
einigten Staaten eine Schutzherrschaft auch über die süd- und
mittelamerikanischen Staaten zukomme („Amerika“ nicht den Ameri-
kanern, sondern „den Vereinigten Staaten“); eine Forderung, die
in direktem Widerspruch gerade zu dem Interventionsprinzip steht.
Die Befugnis zu einer Einmischung in die Angelegenheiten
eines andern Staates kann gegeben sein:
1. Durch das Ersuchen des andern Staates selbst oder durch
dessen Zustimmung (Ruſsland und Österreich 1849).
2. Durch ein von diesem vertragsmäſsig eingeräumtes Recht.
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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/59>, abgerufen am 16.02.2025.
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