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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 29. Eisenbahn-, Fluss- und Kanalverhältnisse.
-Kanälen, die bald im gemeinsamen Eigentum der beiden vertrag-
schliessenden Staaten oder aber eines von ihnen, bald im Eigentum
von Privatgesellschaften unter der Aufsicht der Staaten stehen;
Verträge über die Übernahme der Verwaltung einer im andern
Staat bestehenden staatlichen oder privaten Eisenbahn unter Auf-
rechterhaltung der Gebietshoheit des Territorialstaates, der gleich-
zeitig das Oberaufsichtsrecht an den andern Kontrahenten abgiebt;
endlich Verträge über die finanzielle Unterstützung einer für den
internationalen Verkehr wichtigen Eisenbahn.

Ein Beispiel für diese letztere Gruppe bilden die auf den
Bau der Gotthardbahn bezüglichen Verträge. Auf den Grund-
lagen des Schlussprotokolls der Berner Konferenz vom 13. Oktober
1869, in welchem sich die interessierten Staaten über die Mittel
zur Ausführung der Gotthardbahn zu verständigen suchten, schlossen
zunächst Italien und die Schweiz die Übereinkunft vom 15. Ok-
tober 1869 (R. G. Bl. 1871 S. 378). Dieser trat zuerst der Nord-
deutsche Bund (Gesetz vom 31. Mai 1869), dann an dessen Stelle
das Deutsche Reich durch Übereinkunft mit Italien und der Schweiz
vom 28. Oktober 1871 (R. G. Bl. 1871 S. 376) bei. Danach verpflichtete
sich das Deutsche Reich, 20 Millionen Franks zum Bau der Bahn beizu-
tragen, die durch den Nachtragsvertrag vom 12. März 1878 (R. G. Bl.
1879 S. 270) auf 30 Millionen erhöht wurden. Die Schweiz behielt
die Betriebs- und Tarifhoheit und ausserdem das Recht (Artikel 6
Absatz 2 der Übereinkunft von 1869) "die zur Aufrechthaltung
der Neutralität und zur Verteidigung des Landes nötigen Mass-
regeln zu treffen." Die Vertragsstaaten behalten sich einen An-
spruch auf Teilnahme an den finanziellen Ergebnissen des Unter-
nehmens nur für den Fall vor, dass die Dividende 7 % übersteigen
sollte. In diesem Falle wird die Hälfte des Überschusses als Zins
unter die subventionierenden Staaten nach Verhältnis ihrer Sub-
sidien verteilt (Artikel 18).

Wichtig sind auch die Verträge, durch welche der teilweise
auch in der Landesgesetzgebung (deutsches Reichsgesetz vom 3. Mai
1886, betreffend die Unzulässigkeit der Pfändung von Eisenbahn-

§ 29. Eisenbahn-, Fluſs- und Kanalverhältnisse.
-Kanälen, die bald im gemeinsamen Eigentum der beiden vertrag-
schlieſsenden Staaten oder aber eines von ihnen, bald im Eigentum
von Privatgesellschaften unter der Aufsicht der Staaten stehen;
Verträge über die Übernahme der Verwaltung einer im andern
Staat bestehenden staatlichen oder privaten Eisenbahn unter Auf-
rechterhaltung der Gebietshoheit des Territorialstaates, der gleich-
zeitig das Oberaufsichtsrecht an den andern Kontrahenten abgiebt;
endlich Verträge über die finanzielle Unterstützung einer für den
internationalen Verkehr wichtigen Eisenbahn.

Ein Beispiel für diese letztere Gruppe bilden die auf den
Bau der Gotthardbahn bezüglichen Verträge. Auf den Grund-
lagen des Schluſsprotokolls der Berner Konferenz vom 13. Oktober
1869, in welchem sich die interessierten Staaten über die Mittel
zur Ausführung der Gotthardbahn zu verständigen suchten, schlossen
zunächst Italien und die Schweiz die Übereinkunft vom 15. Ok-
tober 1869 (R. G. Bl. 1871 S. 378). Dieser trat zuerst der Nord-
deutsche Bund (Gesetz vom 31. Mai 1869), dann an dessen Stelle
das Deutsche Reich durch Übereinkunft mit Italien und der Schweiz
vom 28. Oktober 1871 (R. G. Bl. 1871 S. 376) bei. Danach verpflichtete
sich das Deutsche Reich, 20 Millionen Franks zum Bau der Bahn beizu-
tragen, die durch den Nachtragsvertrag vom 12. März 1878 (R. G. Bl.
1879 S. 270) auf 30 Millionen erhöht wurden. Die Schweiz behielt
die Betriebs- und Tarifhoheit und auſserdem das Recht (Artikel 6
Absatz 2 der Übereinkunft von 1869) „die zur Aufrechthaltung
der Neutralität und zur Verteidigung des Landes nötigen Maſs-
regeln zu treffen.“ Die Vertragsstaaten behalten sich einen An-
spruch auf Teilnahme an den finanziellen Ergebnissen des Unter-
nehmens nur für den Fall vor, daſs die Dividende 7 % übersteigen
sollte. In diesem Falle wird die Hälfte des Überschusses als Zins
unter die subventionierenden Staaten nach Verhältnis ihrer Sub-
sidien verteilt (Artikel 18).

Wichtig sind auch die Verträge, durch welche der teilweise
auch in der Landesgesetzgebung (deutsches Reichsgesetz vom 3. Mai
1886, betreffend die Unzulässigkeit der Pfändung von Eisenbahn-

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[159/0181] § 29. Eisenbahn-, Fluſs- und Kanalverhältnisse. -Kanälen, die bald im gemeinsamen Eigentum der beiden vertrag- schlieſsenden Staaten oder aber eines von ihnen, bald im Eigentum von Privatgesellschaften unter der Aufsicht der Staaten stehen; Verträge über die Übernahme der Verwaltung einer im andern Staat bestehenden staatlichen oder privaten Eisenbahn unter Auf- rechterhaltung der Gebietshoheit des Territorialstaates, der gleich- zeitig das Oberaufsichtsrecht an den andern Kontrahenten abgiebt; endlich Verträge über die finanzielle Unterstützung einer für den internationalen Verkehr wichtigen Eisenbahn. Ein Beispiel für diese letztere Gruppe bilden die auf den Bau der Gotthardbahn bezüglichen Verträge. Auf den Grund- lagen des Schluſsprotokolls der Berner Konferenz vom 13. Oktober 1869, in welchem sich die interessierten Staaten über die Mittel zur Ausführung der Gotthardbahn zu verständigen suchten, schlossen zunächst Italien und die Schweiz die Übereinkunft vom 15. Ok- tober 1869 (R. G. Bl. 1871 S. 378). Dieser trat zuerst der Nord- deutsche Bund (Gesetz vom 31. Mai 1869), dann an dessen Stelle das Deutsche Reich durch Übereinkunft mit Italien und der Schweiz vom 28. Oktober 1871 (R. G. Bl. 1871 S. 376) bei. Danach verpflichtete sich das Deutsche Reich, 20 Millionen Franks zum Bau der Bahn beizu- tragen, die durch den Nachtragsvertrag vom 12. März 1878 (R. G. Bl. 1879 S. 270) auf 30 Millionen erhöht wurden. Die Schweiz behielt die Betriebs- und Tarifhoheit und auſserdem das Recht (Artikel 6 Absatz 2 der Übereinkunft von 1869) „die zur Aufrechthaltung der Neutralität und zur Verteidigung des Landes nötigen Maſs- regeln zu treffen.“ Die Vertragsstaaten behalten sich einen An- spruch auf Teilnahme an den finanziellen Ergebnissen des Unter- nehmens nur für den Fall vor, daſs die Dividende 7 % übersteigen sollte. In diesem Falle wird die Hälfte des Überschusses als Zins unter die subventionierenden Staaten nach Verhältnis ihrer Sub- sidien verteilt (Artikel 18). Wichtig sind auch die Verträge, durch welche der teilweise auch in der Landesgesetzgebung (deutsches Reichsgesetz vom 3. Mai 1886, betreffend die Unzulässigkeit der Pfändung von Eisenbahn-

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/181>, abgerufen am 23.11.2024.