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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 24. Das völkerrechtliche Delikt.
§ 24. Das völkerrechtliche Delikt.

Clunet, Offenses et actes hostiles commis par des particuliers contre un
Etat etranger. 1887.

Heilborn, R. G. III 179.

I.

Völkerrechtliches Delikt ist die von einem Staate ausgehende
Verletzung eines völkerrechtlich geschützten Interesses eines andern
Staates.

1. Subjekt des völkerrechtlichen Deliktes, mithin Träger der
durch dieses begründeten Verantwortlichkeit, ist nur der Staat selbst;
und zwar auch dann, wenn er für Handlungen seiner Staatsangehörigen
haftet.

Das völkerrechtliche Delikt ist daher verschieden von den
sogenannten "Delikten gegen das Völkerrecht", wie sie die nationalen
Strafgesetzbücher aufzustellen pflegen ("strafbare Handlungen gegen
befreundete Staaten" nach der Terminologie des deutschen Reichs-
strafgesetzbuches); Subjekt eines solchen "Deliktes gegen das Völker-
recht" ist stets der Einzelne, niemals der Staat.

2. Nur der souveräne Staat besitzt mit der völkerrechtlichen
Geschäftsfähigkeit auch die Deliktsfähigkeit.

Für den halbsouveränen Staat haftet daher, soweit dieser in
seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, der oberherrliche Staat
(oben § 6 IV 1). Für eine Verletzung der von den christlichen
Staaten mit der Türkei geschlossenen Verträge durch Bulgarien hat
daher die Türkei aufzukommen. Dagegen ist der dauernd neutrali-
sierte Staat deliktsfähig (oben § 6 III). Das gilt auch von der süd-
afrikanischen Republik, deren souveräne Stellung sich auch aus
diesem Gesichtspunkte ergiebt (oben § 6 IV S. 33). Der Staat ver-
tritt auch seine überseeischen Kolonieen; die von diesen begangenen
Rechtsverletzungen fallen ohne weiteres ihm zur Last. In Bezug
auf die Staatenverbindungen ist das oben § 5 II Gesagte anzuwenden.

3. Jede Verletzung eines völkerrechtlich geschützten Interesses
ist Delikt;
insbesondere auch, im Gegensatz zum Privatrecht, die
einfache Vertragswidrigkeit, soweit es sich (oben § 19 I) wirk-
lich um völkerrechtliche Verträge handelt. Jede Verletzung
bestehender Staatsverträge kann mithin die sämtlichen Unrechts-

§ 24. Das völkerrechtliche Delikt.
§ 24. Das völkerrechtliche Delikt.

Clunet, Offenses et actes hostiles commis par des particuliers contre un
Etat étranger. 1887.

Heilborn, R. G. III 179.

I.

Völkerrechtliches Delikt ist die von einem Staate ausgehende
Verletzung eines völkerrechtlich geschützten Interesses eines andern
Staates.

1. Subjekt des völkerrechtlichen Deliktes, mithin Träger der
durch dieses begründeten Verantwortlichkeit, ist nur der Staat selbst;
und zwar auch dann, wenn er für Handlungen seiner Staatsangehörigen
haftet.

Das völkerrechtliche Delikt ist daher verschieden von den
sogenannten „Delikten gegen das Völkerrecht“, wie sie die nationalen
Strafgesetzbücher aufzustellen pflegen („strafbare Handlungen gegen
befreundete Staaten“ nach der Terminologie des deutschen Reichs-
strafgesetzbuches); Subjekt eines solchen „Deliktes gegen das Völker-
recht“ ist stets der Einzelne, niemals der Staat.

2. Nur der souveräne Staat besitzt mit der völkerrechtlichen
Geschäftsfähigkeit auch die Deliktsfähigkeit.

Für den halbsouveränen Staat haftet daher, soweit dieser in
seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, der oberherrliche Staat
(oben § 6 IV 1). Für eine Verletzung der von den christlichen
Staaten mit der Türkei geschlossenen Verträge durch Bulgarien hat
daher die Türkei aufzukommen. Dagegen ist der dauernd neutrali-
sierte Staat deliktsfähig (oben § 6 III). Das gilt auch von der süd-
afrikanischen Republik, deren souveräne Stellung sich auch aus
diesem Gesichtspunkte ergiebt (oben § 6 IV S. 33). Der Staat ver-
tritt auch seine überseeischen Kolonieen; die von diesen begangenen
Rechtsverletzungen fallen ohne weiteres ihm zur Last. In Bezug
auf die Staatenverbindungen ist das oben § 5 II Gesagte anzuwenden.

3. Jede Verletzung eines völkerrechtlich geschützten Interesses
ist Delikt;
insbesondere auch, im Gegensatz zum Privatrecht, die
einfache Vertragswidrigkeit, soweit es sich (oben § 19 I) wirk-
lich um völkerrechtliche Verträge handelt. Jede Verletzung
bestehender Staatsverträge kann mithin die sämtlichen Unrechts-

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[125/0147] § 24. Das völkerrechtliche Delikt. § 24. Das völkerrechtliche Delikt. Clunet, Offenses et actes hostiles commis par des particuliers contre un Etat étranger. 1887. Heilborn, R. G. III 179. I. Völkerrechtliches Delikt ist die von einem Staate ausgehende Verletzung eines völkerrechtlich geschützten Interesses eines andern Staates. 1. Subjekt des völkerrechtlichen Deliktes, mithin Träger der durch dieses begründeten Verantwortlichkeit, ist nur der Staat selbst; und zwar auch dann, wenn er für Handlungen seiner Staatsangehörigen haftet. Das völkerrechtliche Delikt ist daher verschieden von den sogenannten „Delikten gegen das Völkerrecht“, wie sie die nationalen Strafgesetzbücher aufzustellen pflegen („strafbare Handlungen gegen befreundete Staaten“ nach der Terminologie des deutschen Reichs- strafgesetzbuches); Subjekt eines solchen „Deliktes gegen das Völker- recht“ ist stets der Einzelne, niemals der Staat. 2. Nur der souveräne Staat besitzt mit der völkerrechtlichen Geschäftsfähigkeit auch die Deliktsfähigkeit. Für den halbsouveränen Staat haftet daher, soweit dieser in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, der oberherrliche Staat (oben § 6 IV 1). Für eine Verletzung der von den christlichen Staaten mit der Türkei geschlossenen Verträge durch Bulgarien hat daher die Türkei aufzukommen. Dagegen ist der dauernd neutrali- sierte Staat deliktsfähig (oben § 6 III). Das gilt auch von der süd- afrikanischen Republik, deren souveräne Stellung sich auch aus diesem Gesichtspunkte ergiebt (oben § 6 IV S. 33). Der Staat ver- tritt auch seine überseeischen Kolonieen; die von diesen begangenen Rechtsverletzungen fallen ohne weiteres ihm zur Last. In Bezug auf die Staatenverbindungen ist das oben § 5 II Gesagte anzuwenden. 3. Jede Verletzung eines völkerrechtlich geschützten Interesses ist Delikt; insbesondere auch, im Gegensatz zum Privatrecht, die einfache Vertragswidrigkeit, soweit es sich (oben § 19 I) wirk- lich um völkerrechtliche Verträge handelt. Jede Verletzung bestehender Staatsverträge kann mithin die sämtlichen Unrechts-

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/147>, abgerufen am 21.11.2024.