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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 19. Die völkerrechtl. Rechtsverhältnisse im allgemeinen.
oben, insbesondere in § 7, die Rede gewesen; diese sollen im
III. Buche besprochen werden. Die Grenzlinie ist aber fliessend;
die Entwicklung des Völkerrechts besteht gerade darin, dass viel-
fach das, was heute noch besonderer Vereinbarung bedarf, dem-
nächst auch ohne solche als aus dem Grundgedanken des Völker-
rechts folgend anerkannt wird.

2. Man unterscheidet Rechte und Pflichten, die nur einem
Staat oder mehreren Staaten gegenüber bestehen, von denjenigen
Rechten und Pflichten, die der Staat jedem andern Mitglied der
Völkerrechtsgemeinschaft gegenüber hat. Man kann jene als re-
lative
, diese als absolute bezeichnen. So hat jeder Staat der
Völkergemeinschaft die Pflicht, die belgische Neutralität zu achten
und jeder Staat ist berechtigt, die Durchführung der Handelsfrei-
heit von dem Kongostaat zu verlangen. Verträge aber, die zwischen
einzelnen Staaten abgeschlossen werden, begründen im allgemeinen
(unten § 21 III) Rechte und Pflichten nur zwischen den vertrag-
schliessenden Teilen.

3. Rechte und Pflichten können auf einem bestimmten Staats-
gebiet lokalisiert sein, so dass sie bei einem Übergang dieses Ge-
bietes an einen andern Staat auf den neuen Erwerber übergehen
(oben § 8 II 3 S. 44), aber diese Lokalisierung ist eine seltene und
daher im einzelnen Falle besonders nachzuweisende Erscheinung;
in der Regel der Fälle bleiben Gebietsveränderungen ohne Einfluss
auf die bestehenden völkerrechtlichen Berechtigungen und Ver-
pflichtungen.

Das System der völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse wird daher
an keine dieser Einteilungen anknüpfen können. Der Einteilungs-
grund wird vielmehr hergenommen werden müssen aus den Völker-
interessen, deren gemeinsame Regelung den Zweck der Begründung, Auf-
hebung oder Abänderung der völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse bildet.

III.

Während die Übertragung der Hoheitsrechte der Ausübung
nach zulässig ist
(oben § 12 I 5), sind die aus den konventionellen völker-
rechtlichen Rechtsverhältnissen entspringenden Berechtigungen, mangels
entgegenstehender Vereinbarung, unübertragbar.


§ 19. Die völkerrechtl. Rechtsverhältnisse im allgemeinen.
oben, insbesondere in § 7, die Rede gewesen; diese sollen im
III. Buche besprochen werden. Die Grenzlinie ist aber flieſsend;
die Entwicklung des Völkerrechts besteht gerade darin, daſs viel-
fach das, was heute noch besonderer Vereinbarung bedarf, dem-
nächst auch ohne solche als aus dem Grundgedanken des Völker-
rechts folgend anerkannt wird.

2. Man unterscheidet Rechte und Pflichten, die nur einem
Staat oder mehreren Staaten gegenüber bestehen, von denjenigen
Rechten und Pflichten, die der Staat jedem andern Mitglied der
Völkerrechtsgemeinschaft gegenüber hat. Man kann jene als re-
lative
, diese als absolute bezeichnen. So hat jeder Staat der
Völkergemeinschaft die Pflicht, die belgische Neutralität zu achten
und jeder Staat ist berechtigt, die Durchführung der Handelsfrei-
heit von dem Kongostaat zu verlangen. Verträge aber, die zwischen
einzelnen Staaten abgeschlossen werden, begründen im allgemeinen
(unten § 21 III) Rechte und Pflichten nur zwischen den vertrag-
schlieſsenden Teilen.

3. Rechte und Pflichten können auf einem bestimmten Staats-
gebiet lokalisiert sein, so daſs sie bei einem Übergang dieses Ge-
bietes an einen andern Staat auf den neuen Erwerber übergehen
(oben § 8 II 3 S. 44), aber diese Lokalisierung ist eine seltene und
daher im einzelnen Falle besonders nachzuweisende Erscheinung;
in der Regel der Fälle bleiben Gebietsveränderungen ohne Einfluſs
auf die bestehenden völkerrechtlichen Berechtigungen und Ver-
pflichtungen.

Das System der völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse wird daher
an keine dieser Einteilungen anknüpfen können. Der Einteilungs-
grund wird vielmehr hergenommen werden müssen aus den Völker-
interessen, deren gemeinsame Regelung den Zweck der Begründung, Auf-
hebung oder Abänderung der völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse bildet.

III.

Während die Übertragung der Hoheitsrechte der Ausübung
nach zulässig ist
(oben § 12 I 5), sind die aus den konventionellen völker-
rechtlichen Rechtsverhältnissen entspringenden Berechtigungen, mangels
entgegenstehender Vereinbarung, unübertragbar.


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[107/0129] § 19. Die völkerrechtl. Rechtsverhältnisse im allgemeinen. oben, insbesondere in § 7, die Rede gewesen; diese sollen im III. Buche besprochen werden. Die Grenzlinie ist aber flieſsend; die Entwicklung des Völkerrechts besteht gerade darin, daſs viel- fach das, was heute noch besonderer Vereinbarung bedarf, dem- nächst auch ohne solche als aus dem Grundgedanken des Völker- rechts folgend anerkannt wird. 2. Man unterscheidet Rechte und Pflichten, die nur einem Staat oder mehreren Staaten gegenüber bestehen, von denjenigen Rechten und Pflichten, die der Staat jedem andern Mitglied der Völkerrechtsgemeinschaft gegenüber hat. Man kann jene als re- lative, diese als absolute bezeichnen. So hat jeder Staat der Völkergemeinschaft die Pflicht, die belgische Neutralität zu achten und jeder Staat ist berechtigt, die Durchführung der Handelsfrei- heit von dem Kongostaat zu verlangen. Verträge aber, die zwischen einzelnen Staaten abgeschlossen werden, begründen im allgemeinen (unten § 21 III) Rechte und Pflichten nur zwischen den vertrag- schlieſsenden Teilen. 3. Rechte und Pflichten können auf einem bestimmten Staats- gebiet lokalisiert sein, so daſs sie bei einem Übergang dieses Ge- bietes an einen andern Staat auf den neuen Erwerber übergehen (oben § 8 II 3 S. 44), aber diese Lokalisierung ist eine seltene und daher im einzelnen Falle besonders nachzuweisende Erscheinung; in der Regel der Fälle bleiben Gebietsveränderungen ohne Einfluſs auf die bestehenden völkerrechtlichen Berechtigungen und Ver- pflichtungen. Das System der völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse wird daher an keine dieser Einteilungen anknüpfen können. Der Einteilungs- grund wird vielmehr hergenommen werden müssen aus den Völker- interessen, deren gemeinsame Regelung den Zweck der Begründung, Auf- hebung oder Abänderung der völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse bildet. III. Während die Übertragung der Hoheitsrechte der Ausübung nach zulässig ist (oben § 12 I 5), sind die aus den konventionellen völker- rechtlichen Rechtsverhältnissen entspringenden Berechtigungen, mangels entgegenstehender Vereinbarung, unübertragbar.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/129>, abgerufen am 23.11.2024.