Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 38. Erledigung ohne Waffengewalt.
"Vermittelung" (mediation) zu unterscheiden; doch kann der
Unterschied nicht streng durchgeführt werden. Am richtigsten ist
es, von Vermittelung nur dann zu sprechen, wenn der dritte Staat
den streitenden Teilen einen förmlichen Vergleichsvorschlag macht.
Vermittler, nicht Schiedsrichter, war der Papst in dem Karolinen-
streit zwischen dem Deutschen Reich und Spanien 1885. Die
endgültige Erledigung erfolgte erst auf Grund dieses Vermittelungs-
vorschlages durch den deutsch-spanischen Vertrag vom 17. De-
zember 1885.

Wiederholt haben die Mächte in den zwischen ihnen ge-
schlossenen Einzelverträgen sich verpflichtet, einander gegen-
seitig ihre guten Dienste zur Beilegung von Streitigkeiten mit
dritten Staaten zu leihen. Vgl. den deutschen Handels- u. s. w.
Vertrag mit Korea vom 26. November 1883 (R. G. Bl. 1884 S. 221)
Artikel I Ziffer 2: "Sollten zwischen Einem der vertragschliessenden
Teile und einer dritten Macht Streitigkeiten entstehen, so wird der
andere vertragschliessende Teil auf ein diesfallsiges Ersuchen seine
guten Dienste leihen und eine freundschaftliche Erledigung des
Streites herbeizuführen suchen."

In Artikel 8 des Pariser Vertrags von 1856 hatten sich die
Signatarmächte verpflichtet, bei Streitigkeiten mit der Türkei
die Vermittlung der übrigen, am Streite unbeteiligten Unterzeichner
des Vertrags anzunehmen. Und das 23. Protokoll vom 14. April
1856 sprach den Wunsch aus, dass die Mächte in allen Streitig-
keiten die guten Dienste eines befreundeten Staates anrufen sollten,
ehe sie das Glück der Waffen versuchten. Nach diesem Vorbild
findet sich mehrfach auch in neueren Kollektivverträgen die
Verpflichtung der Vertragsmächte, ehe sie wegen der zwischen
ihnen ausgebrochenen Streitigkeiten zu den Waffen greifen, die
guten Dienste oder die Vermittelung befreundeter Mächte in An-
spruch zu nehmen. Vgl. insbesondere Artikel 11 und 12 der
Kongoakte vom 26. Februar 1885. Die Vermittelung kann insbe-
sondere auch durch Einberufung eines Staatenkongresses erfolgen
(Deutschland als "ehrlicher Makler" im Jahre 1878).


§ 38. Erledigung ohne Waffengewalt.
Vermittelung“ (médiation) zu unterscheiden; doch kann der
Unterschied nicht streng durchgeführt werden. Am richtigsten ist
es, von Vermittelung nur dann zu sprechen, wenn der dritte Staat
den streitenden Teilen einen förmlichen Vergleichsvorschlag macht.
Vermittler, nicht Schiedsrichter, war der Papst in dem Karolinen-
streit zwischen dem Deutschen Reich und Spanien 1885. Die
endgültige Erledigung erfolgte erst auf Grund dieses Vermittelungs-
vorschlages durch den deutsch-spanischen Vertrag vom 17. De-
zember 1885.

Wiederholt haben die Mächte in den zwischen ihnen ge-
schlossenen Einzelverträgen sich verpflichtet, einander gegen-
seitig ihre guten Dienste zur Beilegung von Streitigkeiten mit
dritten Staaten zu leihen. Vgl. den deutschen Handels- u. s. w.
Vertrag mit Korea vom 26. November 1883 (R. G. Bl. 1884 S. 221)
Artikel I Ziffer 2: „Sollten zwischen Einem der vertragschlieſsenden
Teile und einer dritten Macht Streitigkeiten entstehen, so wird der
andere vertragschlieſsende Teil auf ein diesfallsiges Ersuchen seine
guten Dienste leihen und eine freundschaftliche Erledigung des
Streites herbeizuführen suchen.“

In Artikel 8 des Pariser Vertrags von 1856 hatten sich die
Signatarmächte verpflichtet, bei Streitigkeiten mit der Türkei
die Vermittlung der übrigen, am Streite unbeteiligten Unterzeichner
des Vertrags anzunehmen. Und das 23. Protokoll vom 14. April
1856 sprach den Wunsch aus, daſs die Mächte in allen Streitig-
keiten die guten Dienste eines befreundeten Staates anrufen sollten,
ehe sie das Glück der Waffen versuchten. Nach diesem Vorbild
findet sich mehrfach auch in neueren Kollektivverträgen die
Verpflichtung der Vertragsmächte, ehe sie wegen der zwischen
ihnen ausgebrochenen Streitigkeiten zu den Waffen greifen, die
guten Dienste oder die Vermittelung befreundeter Mächte in An-
spruch zu nehmen. Vgl. insbesondere Artikel 11 und 12 der
Kongoakte vom 26. Februar 1885. Die Vermittelung kann insbe-
sondere auch durch Einberufung eines Staatenkongresses erfolgen
(Deutschland als „ehrlicher Makler“ im Jahre 1878).


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0223" n="201"/><fw place="top" type="header">§ 38. Erledigung ohne Waffengewalt.</fw><lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Vermittelung</hi>&#x201C; (médiation) zu unterscheiden; doch kann der<lb/>
Unterschied nicht streng durchgeführt werden. Am richtigsten ist<lb/>
es, von Vermittelung nur dann zu sprechen, wenn der dritte Staat<lb/>
den streitenden Teilen einen förmlichen Vergleichsvorschlag macht.<lb/>
Vermittler, nicht Schiedsrichter, war der Papst in dem Karolinen-<lb/>
streit zwischen dem Deutschen Reich und Spanien 1885. Die<lb/>
endgültige Erledigung erfolgte erst auf Grund dieses Vermittelungs-<lb/>
vorschlages durch den deutsch-spanischen Vertrag vom 17. De-<lb/>
zember 1885.</p><lb/>
            <p>Wiederholt haben die Mächte in den zwischen ihnen ge-<lb/>
schlossenen <hi rendition="#g">Einzelverträgen</hi> sich verpflichtet, einander gegen-<lb/>
seitig ihre guten Dienste zur Beilegung von Streitigkeiten mit<lb/>
dritten Staaten zu leihen. Vgl. den deutschen Handels- u. s. w.<lb/>
Vertrag mit Korea vom 26. November 1883 (R. G. Bl. 1884 S. 221)<lb/>
Artikel I Ziffer 2: &#x201E;Sollten zwischen Einem der vertragschlie&#x017F;senden<lb/>
Teile und einer dritten Macht Streitigkeiten entstehen, so wird der<lb/>
andere vertragschlie&#x017F;sende Teil auf ein diesfallsiges Ersuchen seine<lb/>
guten Dienste leihen und eine freundschaftliche Erledigung des<lb/>
Streites herbeizuführen suchen.&#x201C;</p><lb/>
            <p>In Artikel 8 des Pariser Vertrags von 1856 hatten sich die<lb/>
Signatarmächte <hi rendition="#g">verpflichtet</hi>, bei Streitigkeiten <hi rendition="#g">mit der Türkei</hi><lb/>
die Vermittlung der übrigen, am Streite unbeteiligten Unterzeichner<lb/>
des Vertrags anzunehmen. Und das 23. Protokoll vom 14. April<lb/>
1856 sprach den <hi rendition="#g">Wunsch</hi> aus, da&#x017F;s die Mächte in <hi rendition="#g">allen</hi> Streitig-<lb/>
keiten die guten Dienste eines befreundeten Staates anrufen sollten,<lb/>
ehe sie das Glück der Waffen versuchten. Nach diesem Vorbild<lb/>
findet sich mehrfach auch in neueren <hi rendition="#g">Kollektivverträgen</hi> die<lb/>
Verpflichtung der Vertragsmächte, ehe sie wegen der zwischen<lb/>
ihnen ausgebrochenen Streitigkeiten zu den Waffen greifen, die<lb/>
guten Dienste oder die Vermittelung befreundeter Mächte in An-<lb/>
spruch zu nehmen. Vgl. insbesondere Artikel 11 und 12 der<lb/>
Kongoakte vom 26. Februar 1885. Die Vermittelung kann insbe-<lb/>
sondere auch durch Einberufung eines Staatenkongresses erfolgen<lb/>
(Deutschland als &#x201E;ehrlicher Makler&#x201C; im Jahre 1878).</p>
          </div><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[201/0223] § 38. Erledigung ohne Waffengewalt. „Vermittelung“ (médiation) zu unterscheiden; doch kann der Unterschied nicht streng durchgeführt werden. Am richtigsten ist es, von Vermittelung nur dann zu sprechen, wenn der dritte Staat den streitenden Teilen einen förmlichen Vergleichsvorschlag macht. Vermittler, nicht Schiedsrichter, war der Papst in dem Karolinen- streit zwischen dem Deutschen Reich und Spanien 1885. Die endgültige Erledigung erfolgte erst auf Grund dieses Vermittelungs- vorschlages durch den deutsch-spanischen Vertrag vom 17. De- zember 1885. Wiederholt haben die Mächte in den zwischen ihnen ge- schlossenen Einzelverträgen sich verpflichtet, einander gegen- seitig ihre guten Dienste zur Beilegung von Streitigkeiten mit dritten Staaten zu leihen. Vgl. den deutschen Handels- u. s. w. Vertrag mit Korea vom 26. November 1883 (R. G. Bl. 1884 S. 221) Artikel I Ziffer 2: „Sollten zwischen Einem der vertragschlieſsenden Teile und einer dritten Macht Streitigkeiten entstehen, so wird der andere vertragschlieſsende Teil auf ein diesfallsiges Ersuchen seine guten Dienste leihen und eine freundschaftliche Erledigung des Streites herbeizuführen suchen.“ In Artikel 8 des Pariser Vertrags von 1856 hatten sich die Signatarmächte verpflichtet, bei Streitigkeiten mit der Türkei die Vermittlung der übrigen, am Streite unbeteiligten Unterzeichner des Vertrags anzunehmen. Und das 23. Protokoll vom 14. April 1856 sprach den Wunsch aus, daſs die Mächte in allen Streitig- keiten die guten Dienste eines befreundeten Staates anrufen sollten, ehe sie das Glück der Waffen versuchten. Nach diesem Vorbild findet sich mehrfach auch in neueren Kollektivverträgen die Verpflichtung der Vertragsmächte, ehe sie wegen der zwischen ihnen ausgebrochenen Streitigkeiten zu den Waffen greifen, die guten Dienste oder die Vermittelung befreundeter Mächte in An- spruch zu nehmen. Vgl. insbesondere Artikel 11 und 12 der Kongoakte vom 26. Februar 1885. Die Vermittelung kann insbe- sondere auch durch Einberufung eines Staatenkongresses erfolgen (Deutschland als „ehrlicher Makler“ im Jahre 1878).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/223
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/223>, abgerufen am 22.12.2024.