Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Buch. II. Das Verbrechen als Handlung.
Handlung im weiteren Sinne. Die Vorstellung des durch
die Körperbewegung hervorzurufenden Erfolges ist das we-
sentliche Merkmal im Begriffe des Vorsatzes; einem Be-
griffe, der mit dem des Willens nicht verwechselt werden
darf.

Je nach der Verschiedenheit der durch die Handlung
übertretenen Normen gestaltet sich der Erfolg äußerlich ver-
schieden.

a) Bei Uebertretung der allgemeinen, das Rechtsgut un-
mittelbar schützenden negativen Normen (vgl. oben §. 3 II 1)
besteht der Erfolg nicht nur in dem Uebertretensein der
Norm, sondern auch in der Verletzung, Gefährdung oder
dem Angegriffensein des geschützten Rechtsgutes.

b) Bei den zum mittelbaren Rechtsgüterschutze dienenden
Gehorsams- und Ungehorsamsnormen dagegen (vgl. oben
§. 3 II 2 und 3) besteht der Erfolg der normwidrigen
Handlung wesentlich nur darin, daß die Norm über-
treten
, ein von derselben nicht gewollter Zustand herbeige-
führt ist.

Man hat nach dieser Verschiedenheit des Erfolges wohl
zwischen Erfolgs- und Nichterfolgsdelikten, Rechts- und Ge-
setzesverbrechen, materiellen und formellen Delikten unter-
schieden. Doch haben alle diese Unterscheidungen wenig
Wert.

III. Wir können demnach bei der Handlung im weiteren
Sinne (der "erweiterten Handlungsreihe" nach Zitelmann)
drei -- allerdings nicht immer scharf von einander zu tren-
nende -- Stadien unterscheiden, von welchen jedes nach
einer anderen Richtung hin von strafrechtlicher Bedeu-
tung ist:

1. den Zeitpunkt, in welchem die körperliche Bewe-

Erſtes Buch. II. Das Verbrechen als Handlung.
Handlung im weiteren Sinne. Die Vorſtellung des durch
die Körperbewegung hervorzurufenden Erfolges iſt das we-
ſentliche Merkmal im Begriffe des Vorſatzes; einem Be-
griffe, der mit dem des Willens nicht verwechſelt werden
darf.

Je nach der Verſchiedenheit der durch die Handlung
übertretenen Normen geſtaltet ſich der Erfolg äußerlich ver-
ſchieden.

a) Bei Uebertretung der allgemeinen, das Rechtsgut un-
mittelbar ſchützenden negativen Normen (vgl. oben §. 3 II 1)
beſteht der Erfolg nicht nur in dem Uebertretenſein der
Norm, ſondern auch in der Verletzung, Gefährdung oder
dem Angegriffenſein des geſchützten Rechtsgutes.

b) Bei den zum mittelbaren Rechtsgüterſchutze dienenden
Gehorſams- und Ungehorſamsnormen dagegen (vgl. oben
§. 3 II 2 und 3) beſteht der Erfolg der normwidrigen
Handlung weſentlich nur darin, daß die Norm über-
treten
, ein von derſelben nicht gewollter Zuſtand herbeige-
führt iſt.

Man hat nach dieſer Verſchiedenheit des Erfolges wohl
zwiſchen Erfolgs- und Nichterfolgsdelikten, Rechts- und Ge-
ſetzesverbrechen, materiellen und formellen Delikten unter-
ſchieden. Doch haben alle dieſe Unterſcheidungen wenig
Wert.

III. Wir können demnach bei der Handlung im weiteren
Sinne (der „erweiterten Handlungsreihe“ nach Zitelmann)
drei — allerdings nicht immer ſcharf von einander zu tren-
nende — Stadien unterſcheiden, von welchen jedes nach
einer anderen Richtung hin von ſtrafrechtlicher Bedeu-
tung iſt:

1. den Zeitpunkt, in welchem die körperliche Bewe-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0098" n="72"/><fw place="top" type="header">Er&#x017F;tes Buch. <hi rendition="#aq">II.</hi> Das Verbrechen als Handlung.</fw><lb/>
Handlung im weiteren Sinne. Die Vor&#x017F;tellung des durch<lb/>
die Körperbewegung hervorzurufenden Erfolges i&#x017F;t das we-<lb/>
&#x017F;entliche Merkmal im Begriffe des <hi rendition="#g">Vor&#x017F;atzes</hi>; einem Be-<lb/>
griffe, der mit dem des <hi rendition="#g">Willens</hi> nicht verwech&#x017F;elt werden<lb/>
darf.</p><lb/>
              <p>Je nach der Ver&#x017F;chiedenheit der durch die Handlung<lb/>
übertretenen Normen ge&#x017F;taltet &#x017F;ich der Erfolg äußerlich ver-<lb/>
&#x017F;chieden.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">a</hi>) Bei Uebertretung der allgemeinen, das Rechtsgut un-<lb/>
mittelbar &#x017F;chützenden negativen Normen (vgl. oben §. 3 <hi rendition="#aq">II</hi> 1)<lb/>
be&#x017F;teht der Erfolg nicht nur in dem Uebertreten&#x017F;ein der<lb/>
Norm, &#x017F;ondern auch in der Verletzung, Gefährdung oder<lb/>
dem Angegriffen&#x017F;ein des ge&#x017F;chützten <hi rendition="#g">Rechtsgutes</hi>.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">b</hi>) Bei den zum mittelbaren Rechtsgüter&#x017F;chutze dienenden<lb/>
Gehor&#x017F;ams- und Ungehor&#x017F;amsnormen dagegen (vgl. oben<lb/>
§. 3 <hi rendition="#aq">II</hi> 2 und 3) be&#x017F;teht der Erfolg der normwidrigen<lb/>
Handlung we&#x017F;entlich nur darin, daß die <hi rendition="#g">Norm über-<lb/>
treten</hi>, ein von der&#x017F;elben nicht gewollter Zu&#x017F;tand herbeige-<lb/>
führt i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Man hat nach die&#x017F;er Ver&#x017F;chiedenheit des Erfolges wohl<lb/>
zwi&#x017F;chen Erfolgs- und Nichterfolgsdelikten, Rechts- und Ge-<lb/>
&#x017F;etzesverbrechen, materiellen und formellen Delikten unter-<lb/>
&#x017F;chieden. Doch haben alle die&#x017F;e Unter&#x017F;cheidungen wenig<lb/>
Wert.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">III.</hi> Wir können demnach bei der Handlung im weiteren<lb/>
Sinne (der &#x201E;erweiterten Handlungsreihe&#x201C; nach <hi rendition="#g">Zitelmann</hi>)<lb/>
drei &#x2014; allerdings nicht immer &#x017F;charf von einander zu tren-<lb/>
nende &#x2014; Stadien unter&#x017F;cheiden, von welchen jedes nach<lb/>
einer anderen Richtung hin von &#x017F;trafrechtlicher Bedeu-<lb/>
tung i&#x017F;t:</p><lb/>
              <p>1. den Zeit<hi rendition="#g">punkt</hi>, in welchem die <hi rendition="#g">körperliche Bewe-</hi><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0098] Erſtes Buch. II. Das Verbrechen als Handlung. Handlung im weiteren Sinne. Die Vorſtellung des durch die Körperbewegung hervorzurufenden Erfolges iſt das we- ſentliche Merkmal im Begriffe des Vorſatzes; einem Be- griffe, der mit dem des Willens nicht verwechſelt werden darf. Je nach der Verſchiedenheit der durch die Handlung übertretenen Normen geſtaltet ſich der Erfolg äußerlich ver- ſchieden. a) Bei Uebertretung der allgemeinen, das Rechtsgut un- mittelbar ſchützenden negativen Normen (vgl. oben §. 3 II 1) beſteht der Erfolg nicht nur in dem Uebertretenſein der Norm, ſondern auch in der Verletzung, Gefährdung oder dem Angegriffenſein des geſchützten Rechtsgutes. b) Bei den zum mittelbaren Rechtsgüterſchutze dienenden Gehorſams- und Ungehorſamsnormen dagegen (vgl. oben §. 3 II 2 und 3) beſteht der Erfolg der normwidrigen Handlung weſentlich nur darin, daß die Norm über- treten, ein von derſelben nicht gewollter Zuſtand herbeige- führt iſt. Man hat nach dieſer Verſchiedenheit des Erfolges wohl zwiſchen Erfolgs- und Nichterfolgsdelikten, Rechts- und Ge- ſetzesverbrechen, materiellen und formellen Delikten unter- ſchieden. Doch haben alle dieſe Unterſcheidungen wenig Wert. III. Wir können demnach bei der Handlung im weiteren Sinne (der „erweiterten Handlungsreihe“ nach Zitelmann) drei — allerdings nicht immer ſcharf von einander zu tren- nende — Stadien unterſcheiden, von welchen jedes nach einer anderen Richtung hin von ſtrafrechtlicher Bedeu- tung iſt: 1. den Zeitpunkt, in welchem die körperliche Bewe-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/98
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/98>, abgerufen am 28.11.2024.