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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Einleitung. II. Das Strafgesetz.
schuldigten günstigste Entscheidung führt ihn zu dem
mildesten Gesetze. Dabei sind nicht nur Umfang und
Inhalt der Strafe, sondern alle relevanten strafrechtlichen
Momente in Betracht zu ziehen. So Nebenstrafen, der Ein-
fluß erschwerender und mildernder Umstände, Bestimmungen
über Rückfall, thätige Reue, Teilnahme, Versuch usw. Auch das
von dem einen oder dem anderen Gesetze geforderte Vorliegen
des Antrages des Verletzten13 oder einer anderen Bedin-
gung der Strafbarkeit14 ist bei der Abwägung in die Wag-
schale zu werfen. Dasselbe gilt bezüglich der Strafaufhe-
bungsgründe (unten §. 57 I) und insbesondere der Ver-
jährung
; ist die Strafklage oder die Vollstreckungsklage15
nach dem einen oder dem anderen Gesetze verjährt -- wobei
als Anfangspunkt des Verjährungslaufes für das frühere
wie für das spätere Gesetz die Zeit der begangenen That
anzunehmen ist16 -- so muß Freisprechung erfolgen.17 Da-
gegen sind etwaige prozessuale Hindernisse, welche der
Durchführung der Strafklage im Wege stehen (unten §. 57
III 2), außer Betracht zu lassen.

Bei gleicher Milde der in Vergleich zu ziehenden Ge-

13 [Spaltenumbruch] Sehr bestritten; die richtige
Ansicht -- gegen dieselbe die
Praxis des OT. -- hat jetzt
Ausdruck gefunden im Art. III
der Novelle v. 26. Febr. 1876.
14 [Spaltenumbruch] Vgl. oben §. 4 I 2; unten
§. 30.
15 [Spaltenumbruch] Bezügl. der letzteren a. A.
München 20. April 1877.
16 [Spaltenumbruch] Unbegründet ist die An-
sicht, nach welcher der Beginn
der Geltung des späteren Ge-[Spaltenumbruch] setzes als Anfangspunkt für den
Lauf der nach diesem zu berech-
nenden Verjährung gilt.
17 [Spaltenumbruch] Die proportionale Berech-
nung, für das Civilrecht ange-
messen, weil es sich hier um
billigen Ausgleich zwischen gleich-
berechtigten Interessen handelt,
paßt nicht für das Strafrecht,
welches einseitig den Beschul-
digten begünstigen will.

Einleitung. II. Das Strafgeſetz.
ſchuldigten günſtigſte Entſcheidung führt ihn zu dem
mildeſten Geſetze. Dabei ſind nicht nur Umfang und
Inhalt der Strafe, ſondern alle relevanten ſtrafrechtlichen
Momente in Betracht zu ziehen. So Nebenſtrafen, der Ein-
fluß erſchwerender und mildernder Umſtände, Beſtimmungen
über Rückfall, thätige Reue, Teilnahme, Verſuch uſw. Auch das
von dem einen oder dem anderen Geſetze geforderte Vorliegen
des Antrages des Verletzten13 oder einer anderen Bedin-
gung der Strafbarkeit14 iſt bei der Abwägung in die Wag-
ſchale zu werfen. Dasſelbe gilt bezüglich der Strafaufhe-
bungsgründe (unten §. 57 I) und insbeſondere der Ver-
jährung
; iſt die Strafklage oder die Vollſtreckungsklage15
nach dem einen oder dem anderen Geſetze verjährt — wobei
als Anfangspunkt des Verjährungslaufes für das frühere
wie für das ſpätere Geſetz die Zeit der begangenen That
anzunehmen iſt16 — ſo muß Freiſprechung erfolgen.17 Da-
gegen ſind etwaige prozeſſuale Hinderniſſe, welche der
Durchführung der Strafklage im Wege ſtehen (unten §. 57
III 2), außer Betracht zu laſſen.

Bei gleicher Milde der in Vergleich zu ziehenden Ge-

13 [Spaltenumbruch] Sehr beſtritten; die richtige
Anſicht — gegen dieſelbe die
Praxis des OT. — hat jetzt
Ausdruck gefunden im Art. III
der Novelle v. 26. Febr. 1876.
14 [Spaltenumbruch] Vgl. oben §. 4 I 2; unten
§. 30.
15 [Spaltenumbruch] Bezügl. der letzteren a. A.
München 20. April 1877.
16 [Spaltenumbruch] Unbegründet iſt die An-
ſicht, nach welcher der Beginn
der Geltung des ſpäteren Ge-[Spaltenumbruch] ſetzes als Anfangspunkt für den
Lauf der nach dieſem zu berech-
nenden Verjährung gilt.
17 [Spaltenumbruch] Die proportionale Berech-
nung, für das Civilrecht ange-
meſſen, weil es ſich hier um
billigen Ausgleich zwiſchen gleich-
berechtigten Intereſſen handelt,
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welches einſeitig den Beſchul-
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[50/0076] Einleitung. II. Das Strafgeſetz. ſchuldigten günſtigſte Entſcheidung führt ihn zu dem mildeſten Geſetze. Dabei ſind nicht nur Umfang und Inhalt der Strafe, ſondern alle relevanten ſtrafrechtlichen Momente in Betracht zu ziehen. So Nebenſtrafen, der Ein- fluß erſchwerender und mildernder Umſtände, Beſtimmungen über Rückfall, thätige Reue, Teilnahme, Verſuch uſw. Auch das von dem einen oder dem anderen Geſetze geforderte Vorliegen des Antrages des Verletzten 13 oder einer anderen Bedin- gung der Strafbarkeit 14 iſt bei der Abwägung in die Wag- ſchale zu werfen. Dasſelbe gilt bezüglich der Strafaufhe- bungsgründe (unten §. 57 I) und insbeſondere der Ver- jährung; iſt die Strafklage oder die Vollſtreckungsklage 15 nach dem einen oder dem anderen Geſetze verjährt — wobei als Anfangspunkt des Verjährungslaufes für das frühere wie für das ſpätere Geſetz die Zeit der begangenen That anzunehmen iſt 16 — ſo muß Freiſprechung erfolgen. 17 Da- gegen ſind etwaige prozeſſuale Hinderniſſe, welche der Durchführung der Strafklage im Wege ſtehen (unten §. 57 III 2), außer Betracht zu laſſen. Bei gleicher Milde der in Vergleich zu ziehenden Ge- 13 Sehr beſtritten; die richtige Anſicht — gegen dieſelbe die Praxis des OT. — hat jetzt Ausdruck gefunden im Art. III der Novelle v. 26. Febr. 1876. 14 Vgl. oben §. 4 I 2; unten §. 30. 15 Bezügl. der letzteren a. A. München 20. April 1877. 16 Unbegründet iſt die An- ſicht, nach welcher der Beginn der Geltung des ſpäteren Ge- ſetzes als Anfangspunkt für den Lauf der nach dieſem zu berech- nenden Verjährung gilt. 17 Die proportionale Berech- nung, für das Civilrecht ange- meſſen, weil es ſich hier um billigen Ausgleich zwiſchen gleich- berechtigten Intereſſen handelt, paßt nicht für das Strafrecht, welches einſeitig den Beſchul- digten begünſtigen will.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/76>, abgerufen am 28.03.2024.