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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Die Strafrechtstheorien. § 6.
Schutze der Rechtsordnung; mit der Unentbehrlichkeit und
Tauglichkeit des Mittels ist ihnen die Rechtfertigung des
staatlichen Strafrechts gegeben. Punitur ne peccetur; der
Dieb wird gehängt, nicht weil er gestohlen hat, sondern damit
nicht gestohlen werde. Einig in diesem Grundgedanken,
weichen die hieher gehörigen Theorien von einander ab in
Bezug auf die Funktion, die sie der Strafe zuweisen.

1. Nach der alten, heute allgemein aufgegebenen, Ab-
schreckungstheorie
ist es die Vollziehung der Strafe,
welche, durch ihre abschreckende Wirkung auf die Ge-
sammtheit der Staatsbürger
der künftigen Begehung
von Verbrechen entgegenwirken soll.

2. Dagegen will die Theorie des psychischen Zwan-
ges
dasselbe Ziel durch die Androhung der Strafe er-
reichen. Die von dem Gesetze wachzurufende Vorstellung des
den Verbrecher erwartenden Strafübels soll der Vor-
stellung der Lust, welche sich der Begehrende von der Be-
gehung des Verbrechens verspricht, gegenübertreten, das zu
dem Verbrechen treibende Motiv soll durch ein Gegen-
motiv von gleicher Stärke in seiner motivirenden Kraft ge-
hemmt werden. Schon von Aristoteles angedeutet, von
Hobbes (de cive 1643, Leviathan 1651) vollständig ent-
wickelt, von Sonnenfels und anderen Schriftstellern der
Aufklärungszeit vertreten, hat dieser Gedanke in Anselm
Feuerbach (1775--1833) den glänzendsten und einfluß-
reichsten Vorkämpfer gefunden, so daß die Theorie selbst wol
als die Feuerbach'sche bezeichnet wird.

Eine Abart derselben ist die Warnungstheorie
Bauer's
(1830), nach welcher sich die Strafdrohung nicht
nur an die sinnliche, sondern auch an die sittliche Natur des
Menschen wendet.

von Liszt, Strafrecht. 2

Die Strafrechtstheorien. § 6.
Schutze der Rechtsordnung; mit der Unentbehrlichkeit und
Tauglichkeit des Mittels iſt ihnen die Rechtfertigung des
ſtaatlichen Strafrechts gegeben. Punitur ne peccetur; der
Dieb wird gehängt, nicht weil er geſtohlen hat, ſondern damit
nicht geſtohlen werde. Einig in dieſem Grundgedanken,
weichen die hieher gehörigen Theorien von einander ab in
Bezug auf die Funktion, die ſie der Strafe zuweiſen.

1. Nach der alten, heute allgemein aufgegebenen, Ab-
ſchreckungstheorie
iſt es die Vollziehung der Strafe,
welche, durch ihre abſchreckende Wirkung auf die Ge-
ſammtheit der Staatsbürger
der künftigen Begehung
von Verbrechen entgegenwirken ſoll.

2. Dagegen will die Theorie des pſychiſchen Zwan-
ges
dasſelbe Ziel durch die Androhung der Strafe er-
reichen. Die von dem Geſetze wachzurufende Vorſtellung des
den Verbrecher erwartenden Strafübels ſoll der Vor-
ſtellung der Luſt, welche ſich der Begehrende von der Be-
gehung des Verbrechens verſpricht, gegenübertreten, das zu
dem Verbrechen treibende Motiv ſoll durch ein Gegen-
motiv von gleicher Stärke in ſeiner motivirenden Kraft ge-
hemmt werden. Schon von Ariſtoteles angedeutet, von
Hobbes (de cive 1643, Leviathan 1651) vollſtändig ent-
wickelt, von Sonnenfels und anderen Schriftſtellern der
Aufklärungszeit vertreten, hat dieſer Gedanke in Anſelm
Feuerbach (1775—1833) den glänzendſten und einfluß-
reichſten Vorkämpfer gefunden, ſo daß die Theorie ſelbſt wol
als die Feuerbach’ſche bezeichnet wird.

Eine Abart derſelben iſt die Warnungstheorie
Bauer’s
(1830), nach welcher ſich die Strafdrohung nicht
nur an die ſinnliche, ſondern auch an die ſittliche Natur des
Menſchen wendet.

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[17/0043] Die Strafrechtstheorien. § 6. Schutze der Rechtsordnung; mit der Unentbehrlichkeit und Tauglichkeit des Mittels iſt ihnen die Rechtfertigung des ſtaatlichen Strafrechts gegeben. Punitur ne peccetur; der Dieb wird gehängt, nicht weil er geſtohlen hat, ſondern damit nicht geſtohlen werde. Einig in dieſem Grundgedanken, weichen die hieher gehörigen Theorien von einander ab in Bezug auf die Funktion, die ſie der Strafe zuweiſen. 1. Nach der alten, heute allgemein aufgegebenen, Ab- ſchreckungstheorie iſt es die Vollziehung der Strafe, welche, durch ihre abſchreckende Wirkung auf die Ge- ſammtheit der Staatsbürger der künftigen Begehung von Verbrechen entgegenwirken ſoll. 2. Dagegen will die Theorie des pſychiſchen Zwan- ges dasſelbe Ziel durch die Androhung der Strafe er- reichen. Die von dem Geſetze wachzurufende Vorſtellung des den Verbrecher erwartenden Strafübels ſoll der Vor- ſtellung der Luſt, welche ſich der Begehrende von der Be- gehung des Verbrechens verſpricht, gegenübertreten, das zu dem Verbrechen treibende Motiv ſoll durch ein Gegen- motiv von gleicher Stärke in ſeiner motivirenden Kraft ge- hemmt werden. Schon von Ariſtoteles angedeutet, von Hobbes (de cive 1643, Leviathan 1651) vollſtändig ent- wickelt, von Sonnenfels und anderen Schriftſtellern der Aufklärungszeit vertreten, hat dieſer Gedanke in Anſelm Feuerbach (1775—1833) den glänzendſten und einfluß- reichſten Vorkämpfer gefunden, ſo daß die Theorie ſelbſt wol als die Feuerbach’ſche bezeichnet wird. Eine Abart derſelben iſt die Warnungstheorie Bauer’s (1830), nach welcher ſich die Strafdrohung nicht nur an die ſinnliche, ſondern auch an die ſittliche Natur des Menſchen wendet. von Liszt, Strafrecht. 2

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/43>, abgerufen am 29.03.2024.