Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.Erstes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter. identische Begriffe sind. Die Ehre trägt vielmehr einen höchst-persönlichen, durchaus individuellen Charakter; und gerade in dieser subjektiven Basis unseres modernen Ehrgefühles (welche durch eine gewisse Ueberspannung desselben bedingt ist und umgekehrt wieder diese fördert) liegt der charakteristische Unter- schied des heutigen Ehrbegriffes gegenüber der römischen Bürgerehre wie der germanischen Genossenehre. Der Inhalt der Ehre ist nach der hier vertretenen Auffassung ein anderer, wenn es sich um den Bauer oder den Handwerker, den Of- fizier oder den Fabriksherrn, den Staatsmann oder den Ge- lehrten, den Beamten oder den Studenten handelt. Mit Recht hat das RGR. (1. November 1879, R I 28) in der Aeußerung über eine Rede Bismarcks: "eine solche Rede könne jeder Schornsteinfeger halten" eine Beleidigung des Reichskanzlers erblickt, ohne damit der Menschenwürde oder bürgerlichen Ehrenhaftigkeit der Schornsteinfeger nahezutreten. Die Ehre ist ein Rechtsgut, aber kein subjektives Recht. Das positive Recht schützt regelmäßig, von besonderer An- 2 [Spaltenumbruch]
Vgl. Zimmermann GA.
XXV; Bolze GA. XXVI. Die herrschende Ansicht vertritt[Spaltenumbruch] auch RGR. 31. Januar 1880, E I 178, R I 302. Erſtes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter. identiſche Begriffe ſind. Die Ehre trägt vielmehr einen höchſt-perſönlichen, durchaus individuellen Charakter; und gerade in dieſer ſubjektiven Baſis unſeres modernen Ehrgefühles (welche durch eine gewiſſe Ueberſpannung desſelben bedingt iſt und umgekehrt wieder dieſe fördert) liegt der charakteriſtiſche Unter- ſchied des heutigen Ehrbegriffes gegenüber der römiſchen Bürgerehre wie der germaniſchen Genoſſenehre. Der Inhalt der Ehre iſt nach der hier vertretenen Auffaſſung ein anderer, wenn es ſich um den Bauer oder den Handwerker, den Of- fizier oder den Fabriksherrn, den Staatsmann oder den Ge- lehrten, den Beamten oder den Studenten handelt. Mit Recht hat das RGR. (1. November 1879, R I 28) in der Aeußerung über eine Rede Bismarcks: „eine ſolche Rede könne jeder Schornſteinfeger halten“ eine Beleidigung des Reichskanzlers erblickt, ohne damit der Menſchenwürde oder bürgerlichen Ehrenhaftigkeit der Schornſteinfeger nahezutreten. Die Ehre iſt ein Rechtsgut, aber kein ſubjektives Recht. Das poſitive Recht ſchützt regelmäßig, von beſonderer An- 2 [Spaltenumbruch]
Vgl. Zimmermann GA.
XXV; Bolze GA. XXVI. Die herrſchende Anſicht vertritt[Spaltenumbruch] auch RGR. 31. Januar 1880, E I 178, R I 302. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0346" n="320"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch. <hi rendition="#aq">V.</hi> Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter.</fw><lb/> identiſche Begriffe ſind. Die Ehre trägt vielmehr einen höchſt-<lb/> perſönlichen, durchaus individuellen Charakter; und gerade in<lb/> dieſer ſubjektiven Baſis unſeres modernen Ehrgefühles (welche<lb/> durch eine gewiſſe Ueberſpannung desſelben bedingt iſt und<lb/> umgekehrt wieder dieſe fördert) liegt der charakteriſtiſche Unter-<lb/> ſchied des heutigen Ehrbegriffes gegenüber der römiſchen<lb/> Bürgerehre wie der germaniſchen Genoſſenehre. Der <hi rendition="#g">Inhalt</hi><lb/> der Ehre iſt nach der hier vertretenen Auffaſſung ein anderer,<lb/> wenn es ſich um den Bauer oder den Handwerker, den Of-<lb/> fizier oder den Fabriksherrn, den Staatsmann oder den Ge-<lb/> lehrten, den Beamten oder den Studenten handelt. Mit Recht<lb/> hat das RGR. (1. November 1879, <hi rendition="#aq">R I</hi> 28) in der Aeußerung<lb/> über eine Rede Bismarcks: „eine ſolche Rede könne jeder<lb/> Schornſteinfeger halten“ eine Beleidigung des Reichskanzlers<lb/> erblickt, ohne damit der Menſchenwürde oder bürgerlichen<lb/> Ehrenhaftigkeit der Schornſteinfeger nahezutreten.</p><lb/> <p>Die Ehre iſt ein Rechtsgut, aber kein ſubjektives Recht.<lb/> Der Rechtsſchutz der Ehre erſchöpft ſich in dem Schutze gegen<lb/> Verletzung. Der Ehre ſteht rechtlich kein <hi rendition="#g">poſitiver</hi> Anſpruch<lb/> auf Achtung, ſondern nur ein negativer Anſpruch auf <hi rendition="#g">Nicht-<lb/> ausdruck</hi> der <hi rendition="#g">Nichtachtung</hi>, auf <hi rendition="#g">Nichtverletzung</hi> gegen-<lb/> über. Sie iſt in Geld nicht abſchätzbar (die Buße iſt Ge-<lb/> nugthuung für den Angriff, nicht Wiederherſtellung der ver-<lb/> minderten Ehre), nicht negoziabel: ein <hi rendition="#g">rein immaterielles<lb/> Rechtsgut</hi>.</p><lb/> <p>Das poſitive Recht ſchützt regelmäßig, von beſonderer An-<lb/> ordnung abgeſehen, nur die Ehre des <hi rendition="#g">Einzeli</hi>ndividuums,<lb/> nicht die der Individuengruppen.<note place="foot" n="2"><cb/> Vgl. <hi rendition="#g">Zimmermann</hi> GA.<lb/><hi rendition="#aq">XXV;</hi> <hi rendition="#g">Bolze</hi> GA. <hi rendition="#aq">XXVI.</hi><lb/> Die herrſchende Anſicht vertritt<cb/> auch RGR. 31. Januar 1880,<lb/><hi rendition="#aq">E I 178, R I</hi> 302.</note> Ausnahmen finden ſich:</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [320/0346]
Erſtes Buch. V. Delikte gegen immaterielle Rechtsgüter.
identiſche Begriffe ſind. Die Ehre trägt vielmehr einen höchſt-
perſönlichen, durchaus individuellen Charakter; und gerade in
dieſer ſubjektiven Baſis unſeres modernen Ehrgefühles (welche
durch eine gewiſſe Ueberſpannung desſelben bedingt iſt und
umgekehrt wieder dieſe fördert) liegt der charakteriſtiſche Unter-
ſchied des heutigen Ehrbegriffes gegenüber der römiſchen
Bürgerehre wie der germaniſchen Genoſſenehre. Der Inhalt
der Ehre iſt nach der hier vertretenen Auffaſſung ein anderer,
wenn es ſich um den Bauer oder den Handwerker, den Of-
fizier oder den Fabriksherrn, den Staatsmann oder den Ge-
lehrten, den Beamten oder den Studenten handelt. Mit Recht
hat das RGR. (1. November 1879, R I 28) in der Aeußerung
über eine Rede Bismarcks: „eine ſolche Rede könne jeder
Schornſteinfeger halten“ eine Beleidigung des Reichskanzlers
erblickt, ohne damit der Menſchenwürde oder bürgerlichen
Ehrenhaftigkeit der Schornſteinfeger nahezutreten.
Die Ehre iſt ein Rechtsgut, aber kein ſubjektives Recht.
Der Rechtsſchutz der Ehre erſchöpft ſich in dem Schutze gegen
Verletzung. Der Ehre ſteht rechtlich kein poſitiver Anſpruch
auf Achtung, ſondern nur ein negativer Anſpruch auf Nicht-
ausdruck der Nichtachtung, auf Nichtverletzung gegen-
über. Sie iſt in Geld nicht abſchätzbar (die Buße iſt Ge-
nugthuung für den Angriff, nicht Wiederherſtellung der ver-
minderten Ehre), nicht negoziabel: ein rein immaterielles
Rechtsgut.
Das poſitive Recht ſchützt regelmäßig, von beſonderer An-
ordnung abgeſehen, nur die Ehre des Einzelindividuums,
nicht die der Individuengruppen. 2 Ausnahmen finden ſich:
2
Vgl. Zimmermann GA.
XXV; Bolze GA. XXVI.
Die herrſchende Anſicht vertritt
auch RGR. 31. Januar 1880,
E I 178, R I 302.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |