Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite
Erstes Buch. VIII. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.
b) Die Geschäftsmäßigkeit teilt mit der Gewerbs-
mäßigkeit die auf regelmäßige Wiederholung gerichtete
Absicht, dagegen fehlt die Absicht, sich eine ständige
Einnahmsquelle zu eröffnen. Ob die einzelnen Hand-
lungen honoriert werden oder nicht, ist gleichgültig.
Vgl. StGB. §. 144, Sozialistengesetz §. 22.
In beiden Fällen genügt das Vorliegen einer Hand-
lung, die mit den beabsichtigten weiteren Handlungen
zu der juristischen Einheit zusammengefaßt wird.
c) Gewohnheit läßt sich am anschaulichsten definieren als
der Zustand des labilen psychischen Gleichgewichtes, in
welchem ein dem Durchschnittsmenschen gegenüber nicht
motivierender Reiz die Kraft eines Motives erlangt;
oder als abnorm geschwächte Widerstandskraft gegen-
über gewissen Reizen. Mit der Spezialisierung steigt
die Macht der Gewohnheit. Der Gewohnheitsver-
brecher im Allgemeinen ist ein theoretischer, der Ge-
wohnheits-Dieb oder -Betrüger usw. ein sehr praktischer
Begriff, von dem das positive Recht, vielfach eingeengt
durch die gangbaren falschen Anschauungen über Schuld
und Strafe einen viel zu bescheidenen Gebrauch macht.
Vgl. StGB. §§. 150, 180, 260, 302d; Münzgesetz
vom 9. Juli 1873 §. 13. Beim gewohnheitsmäßigen
Verbrechen wird die jetzt begangene mit den früher be-
gangenen Handlungen zu einer Einheit zusammenge-
faßt; diese müssen normwidrig, brauchen aber nicht
notwendig strafbar zu sein.

In allen Fällen, in welchen die Rechtswissenschaft eine
Mehrheit von Handlungen zu einer juristischen Einheit zu-
sammenfaßt, muß diese Einheit als solche in allen juristischen
Beziehungen betrachtet und behandelt werden. Das juristisch

Erſtes Buch. VIII. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.
b) Die Geſchäftsmäßigkeit teilt mit der Gewerbs-
mäßigkeit die auf regelmäßige Wiederholung gerichtete
Abſicht, dagegen fehlt die Abſicht, ſich eine ſtändige
Einnahmsquelle zu eröffnen. Ob die einzelnen Hand-
lungen honoriert werden oder nicht, iſt gleichgültig.
Vgl. StGB. §. 144, Sozialiſtengeſetz §. 22.
In beiden Fällen genügt das Vorliegen einer Hand-
lung, die mit den beabſichtigten weiteren Handlungen
zu der juriſtiſchen Einheit zuſammengefaßt wird.
c) Gewohnheit läßt ſich am anſchaulichſten definieren als
der Zuſtand des labilen pſychiſchen Gleichgewichtes, in
welchem ein dem Durchſchnittsmenſchen gegenüber nicht
motivierender Reiz die Kraft eines Motives erlangt;
oder als abnorm geſchwächte Widerſtandskraft gegen-
über gewiſſen Reizen. Mit der Spezialiſierung ſteigt
die Macht der Gewohnheit. Der Gewohnheitsver-
brecher im Allgemeinen iſt ein theoretiſcher, der Ge-
wohnheits-Dieb oder -Betrüger uſw. ein ſehr praktiſcher
Begriff, von dem das poſitive Recht, vielfach eingeengt
durch die gangbaren falſchen Anſchauungen über Schuld
und Strafe einen viel zu beſcheidenen Gebrauch macht.
Vgl. StGB. §§. 150, 180, 260, 302d; Münzgeſetz
vom 9. Juli 1873 §. 13. Beim gewohnheitsmäßigen
Verbrechen wird die jetzt begangene mit den früher be-
gangenen Handlungen zu einer Einheit zuſammenge-
faßt; dieſe müſſen normwidrig, brauchen aber nicht
notwendig ſtrafbar zu ſein.

In allen Fällen, in welchen die Rechtswiſſenſchaft eine
Mehrheit von Handlungen zu einer juriſtiſchen Einheit zu-
ſammenfaßt, muß dieſe Einheit als ſolche in allen juriſtiſchen
Beziehungen betrachtet und behandelt werden. Das juriſtiſch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0188" n="162"/>
              <fw place="top" type="header">Er&#x017F;tes Buch. <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit.</fw><lb/>
              <list>
                <item><hi rendition="#aq">b)</hi> Die <hi rendition="#g">Ge&#x017F;chäftsmäßigkeit</hi> teilt mit der Gewerbs-<lb/>
mäßigkeit die auf regelmäßige Wiederholung gerichtete<lb/>
Ab&#x017F;icht, dagegen fehlt die Ab&#x017F;icht, &#x017F;ich eine &#x017F;tändige<lb/>
Einnahmsquelle zu eröffnen. Ob die einzelnen Hand-<lb/>
lungen honoriert werden oder nicht, i&#x017F;t gleichgültig.<lb/>
Vgl. StGB. §. 144, Soziali&#x017F;tenge&#x017F;etz §. 22.<lb/><hi rendition="#et">In beiden Fällen genügt das Vorliegen <hi rendition="#g">einer</hi> Hand-<lb/>
lung, die mit den beab&#x017F;ichtigten weiteren Handlungen<lb/>
zu der juri&#x017F;ti&#x017F;chen Einheit zu&#x017F;ammengefaßt wird.</hi></item><lb/>
                <item><hi rendition="#aq">c)</hi><hi rendition="#g">Gewohnheit</hi> läßt &#x017F;ich am an&#x017F;chaulich&#x017F;ten definieren als<lb/>
der Zu&#x017F;tand des labilen p&#x017F;ychi&#x017F;chen Gleichgewichtes, in<lb/>
welchem ein dem Durch&#x017F;chnittsmen&#x017F;chen gegenüber nicht<lb/>
motivierender Reiz die Kraft eines Motives erlangt;<lb/>
oder als abnorm ge&#x017F;chwächte Wider&#x017F;tandskraft gegen-<lb/>
über gewi&#x017F;&#x017F;en Reizen. Mit der Speziali&#x017F;ierung &#x017F;teigt<lb/>
die Macht der Gewohnheit. Der Gewohnheitsver-<lb/>
brecher im Allgemeinen i&#x017F;t ein theoreti&#x017F;cher, der Ge-<lb/>
wohnheits-Dieb oder -Betrüger u&#x017F;w. ein &#x017F;ehr prakti&#x017F;cher<lb/>
Begriff, von dem das po&#x017F;itive Recht, vielfach eingeengt<lb/>
durch die gangbaren fal&#x017F;chen An&#x017F;chauungen über Schuld<lb/>
und Strafe einen viel zu be&#x017F;cheidenen Gebrauch macht.<lb/>
Vgl. StGB. §§. 150, 180, 260, 302<hi rendition="#aq">d;</hi> Münzge&#x017F;etz<lb/>
vom 9. Juli 1873 §. 13. Beim gewohnheitsmäßigen<lb/>
Verbrechen wird die jetzt begangene mit den früher be-<lb/>
gangenen Handlungen zu einer Einheit zu&#x017F;ammenge-<lb/>
faßt; die&#x017F;e mü&#x017F;&#x017F;en normwidrig, brauchen aber nicht<lb/>
notwendig &#x017F;trafbar zu &#x017F;ein.</item>
              </list><lb/>
              <p>In allen Fällen, in welchen die Rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft eine<lb/>
Mehrheit von Handlungen zu einer juri&#x017F;ti&#x017F;chen Einheit zu-<lb/>
&#x017F;ammenfaßt, muß die&#x017F;e Einheit als &#x017F;olche in allen juri&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Beziehungen betrachtet und behandelt werden. Das juri&#x017F;ti&#x017F;ch<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0188] Erſtes Buch. VIII. Verbrechens-Einheit u. -Mehrheit. b) Die Geſchäftsmäßigkeit teilt mit der Gewerbs- mäßigkeit die auf regelmäßige Wiederholung gerichtete Abſicht, dagegen fehlt die Abſicht, ſich eine ſtändige Einnahmsquelle zu eröffnen. Ob die einzelnen Hand- lungen honoriert werden oder nicht, iſt gleichgültig. Vgl. StGB. §. 144, Sozialiſtengeſetz §. 22. In beiden Fällen genügt das Vorliegen einer Hand- lung, die mit den beabſichtigten weiteren Handlungen zu der juriſtiſchen Einheit zuſammengefaßt wird. c) Gewohnheit läßt ſich am anſchaulichſten definieren als der Zuſtand des labilen pſychiſchen Gleichgewichtes, in welchem ein dem Durchſchnittsmenſchen gegenüber nicht motivierender Reiz die Kraft eines Motives erlangt; oder als abnorm geſchwächte Widerſtandskraft gegen- über gewiſſen Reizen. Mit der Spezialiſierung ſteigt die Macht der Gewohnheit. Der Gewohnheitsver- brecher im Allgemeinen iſt ein theoretiſcher, der Ge- wohnheits-Dieb oder -Betrüger uſw. ein ſehr praktiſcher Begriff, von dem das poſitive Recht, vielfach eingeengt durch die gangbaren falſchen Anſchauungen über Schuld und Strafe einen viel zu beſcheidenen Gebrauch macht. Vgl. StGB. §§. 150, 180, 260, 302d; Münzgeſetz vom 9. Juli 1873 §. 13. Beim gewohnheitsmäßigen Verbrechen wird die jetzt begangene mit den früher be- gangenen Handlungen zu einer Einheit zuſammenge- faßt; dieſe müſſen normwidrig, brauchen aber nicht notwendig ſtrafbar zu ſein. In allen Fällen, in welchen die Rechtswiſſenſchaft eine Mehrheit von Handlungen zu einer juriſtiſchen Einheit zu- ſammenfaßt, muß dieſe Einheit als ſolche in allen juriſtiſchen Beziehungen betrachtet und behandelt werden. Das juriſtiſch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/188
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/188>, abgerufen am 09.11.2024.