Erstes Buch. VI. Vollendung u. Versuch des Verbrechens.
Komplikationen können auch in diesen Fällen den Erfolg herbei- führen (man denke an die durch die Handlung hervorgerufene psychische Erregung des Bedrohten). Bei weiterem Eingehen auf die Frage würde die Verschiedenheit der Normen (oben §. 3 II), ihre nähere oder entferntere Beziehung zu dem zu schützenden Rechtsgute von Bedeutung werden. Für unsere Zwecke genügt das Gesagte. Nochmals sei aber betont:
1. Jeder Versuch ist normwidrig und könnte daher ge- straft werden; nicht jeder ist positiv-rechtlich strafbar.
2. Wir sagen nicht: strafbar ist der gefährliche Versuch, sondern: nicht strafbar ist der ungefährliche Versuch. Daß der Begriff der Gefahr ein relativer, ist kein Einwand gegen die Richtigkeit dieses Satzes, der sich bemüht, das in uns allen vorhandene Rechtsgefühl zur Klarheit eines juristischen Gedankens zu erheben.
§. 33. Der Versuch im positiven Recht.
Jede versuchte Normübertretung ist an sich normwidriges Handeln, mithin Delikt, und darum geeignet die Straffolgen nach sich zu ziehen. Aber der Staat hat keine Veranlassung in allen Fällen schon die versuchte Normübertretung mit Strafe zu belegen.
I. Der Gesetzgeber kann und wird sich darauf beschränken, nur die versuchte Uebertretung gewisser Normen unter Strafe zu stellen. Prinzipiell würde es sich empfehlen, die Unterscheidung zwischen den allgemeinen Normen und den Gehorsamsnormen (vgl. oben §. 3 II) zu Grunde zu legen, und die versuchte Uebertretung der letzteren straflos zu lassen. Anders das positive Recht.
Erſtes Buch. VI. Vollendung u. Verſuch des Verbrechens.
Komplikationen können auch in dieſen Fällen den Erfolg herbei- führen (man denke an die durch die Handlung hervorgerufene pſychiſche Erregung des Bedrohten). Bei weiterem Eingehen auf die Frage würde die Verſchiedenheit der Normen (oben §. 3 II), ihre nähere oder entferntere Beziehung zu dem zu ſchützenden Rechtsgute von Bedeutung werden. Für unſere Zwecke genügt das Geſagte. Nochmals ſei aber betont:
1. Jeder Verſuch iſt normwidrig und könnte daher ge- ſtraft werden; nicht jeder iſt poſitiv-rechtlich ſtrafbar.
2. Wir ſagen nicht: ſtrafbar iſt der gefährliche Verſuch, ſondern: nicht ſtrafbar iſt der ungefährliche Verſuch. Daß der Begriff der Gefahr ein relativer, iſt kein Einwand gegen die Richtigkeit dieſes Satzes, der ſich bemüht, das in uns allen vorhandene Rechtsgefühl zur Klarheit eines juriſtiſchen Gedankens zu erheben.
§. 33. Der Verſuch im poſitiven Recht.
Jede verſuchte Normübertretung iſt an ſich normwidriges Handeln, mithin Delikt, und darum geeignet die Straffolgen nach ſich zu ziehen. Aber der Staat hat keine Veranlaſſung in allen Fällen ſchon die verſuchte Normübertretung mit Strafe zu belegen.
I. Der Geſetzgeber kann und wird ſich darauf beſchränken, nur die verſuchte Uebertretung gewiſſer Normen unter Strafe zu ſtellen. Prinzipiell würde es ſich empfehlen, die Unterſcheidung zwiſchen den allgemeinen Normen und den Gehorſamsnormen (vgl. oben §. 3 II) zu Grunde zu legen, und die verſuchte Uebertretung der letzteren ſtraflos zu laſſen. Anders das poſitive Recht.
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Erſtes Buch. VI. Vollendung u. Verſuch des Verbrechens.
Komplikationen können auch in dieſen Fällen den Erfolg herbei-
führen (man denke an die durch die Handlung hervorgerufene
pſychiſche Erregung des Bedrohten). Bei weiterem Eingehen
auf die Frage würde die Verſchiedenheit der Normen (oben
§. 3 II), ihre nähere oder entferntere Beziehung zu dem zu
ſchützenden Rechtsgute von Bedeutung werden. Für unſere
Zwecke genügt das Geſagte. Nochmals ſei aber betont:
1. Jeder Verſuch iſt normwidrig und könnte daher ge-
ſtraft werden; nicht jeder iſt poſitiv-rechtlich ſtrafbar.
2. Wir ſagen nicht: ſtrafbar iſt der gefährliche Verſuch,
ſondern: nicht ſtrafbar iſt der ungefährliche Verſuch. Daß
der Begriff der Gefahr ein relativer, iſt kein Einwand gegen
die Richtigkeit dieſes Satzes, der ſich bemüht, das in uns
allen vorhandene Rechtsgefühl zur Klarheit eines juriſtiſchen
Gedankens zu erheben.
§. 33.
Der Verſuch im poſitiven Recht.
Jede verſuchte Normübertretung iſt an ſich normwidriges
Handeln, mithin Delikt, und darum geeignet die Straffolgen
nach ſich zu ziehen. Aber der Staat hat keine Veranlaſſung
in allen Fällen ſchon die verſuchte Normübertretung mit
Strafe zu belegen.
I. Der Geſetzgeber kann und wird ſich darauf beſchränken,
nur die verſuchte Uebertretung gewiſſer Normen unter
Strafe zu ſtellen. Prinzipiell würde es ſich empfehlen, die
Unterſcheidung zwiſchen den allgemeinen Normen und den
Gehorſamsnormen (vgl. oben §. 3 II) zu Grunde zu legen,
und die verſuchte Uebertretung der letzteren ſtraflos zu laſſen.
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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/164>, abgerufen am 21.04.2021.
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