Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Vorsatz. §. 28.
merkmalen gleichgestellt werden (vgl. das oben unter II bez.
der Widerrechtlichkeit Gesagte).

Es liegt also vorsätzlicher Diebstahl nicht vor, wenn ich
die Eigenschaft der Sache als einer fremden; es liegt Ascen-
dententodschlag nicht vor, wenn ich die Eigenschaft des Er-
schlagenen als meines Ascendenten nicht kannte.

2. Es kann aber ein Umstand auch dadurch zu einem
wesentlichen werden, daß er, unter Ausschluß aller an-
deren korrespondierenden Umstände aus der Vor-
stellung
, mit vollster Bestimmtheit in die spezialisierte Vor-
stellung aufgenommen wurde.

Wenn der Erfolg daher bei einem ganz außerhalb der
Vorstellung liegenden Objekte oder auf einem außerhalb
derselben liegenden Wege (Kausalzusammenhang) oder end-
lich wenn an dem vorgestellten Objekte ein außerhalb der
Vorstellung liegender Erfolg eingetreten ist:14 so kann der
Erfolg nicht zum Vorsatze zugerechnet werden.

Aus dem Gesagten folgt, daß die Möglichkeit der Nicht-
übereinstimmung zwischen Vorstellung und Erfolg in wesent-
lichen Punkten mit der größeren Spezialisierung der Vor-
stellung im geraden Verhältnisse steht.

Dabei kann es der richtigen Ansicht nach keinen Unter-
schied machen, ob der Eintritt des Erfolges bei einem an-
deren als dem vorgestellten Objekte zurückzuführen ist auf
äußere Umstände (sog. aberratio ictus) oder auf einen Irrtum
des Thäters über die Identität des Objektes (sog. error in
objecto
oder in persona). Es ist gleich unrichtig, die Zu-
rechnung zum Vorsatz bei der aberratio immer ausschließen,

14 Man vgl. mit dem Gesagten Binding Normen II
S. 434.

Der Vorſatz. §. 28.
merkmalen gleichgeſtellt werden (vgl. das oben unter II bez.
der Widerrechtlichkeit Geſagte).

Es liegt alſo vorſätzlicher Diebſtahl nicht vor, wenn ich
die Eigenſchaft der Sache als einer fremden; es liegt Aſcen-
dententodſchlag nicht vor, wenn ich die Eigenſchaft des Er-
ſchlagenen als meines Aſcendenten nicht kannte.

2. Es kann aber ein Umſtand auch dadurch zu einem
weſentlichen werden, daß er, unter Ausſchluß aller an-
deren korreſpondierenden Umſtände aus der Vor-
ſtellung
, mit vollſter Beſtimmtheit in die ſpezialiſierte Vor-
ſtellung aufgenommen wurde.

Wenn der Erfolg daher bei einem ganz außerhalb der
Vorſtellung liegenden Objekte oder auf einem außerhalb
derſelben liegenden Wege (Kauſalzuſammenhang) oder end-
lich wenn an dem vorgeſtellten Objekte ein außerhalb der
Vorſtellung liegender Erfolg eingetreten iſt:14 ſo kann der
Erfolg nicht zum Vorſatze zugerechnet werden.

Aus dem Geſagten folgt, daß die Möglichkeit der Nicht-
übereinſtimmung zwiſchen Vorſtellung und Erfolg in weſent-
lichen Punkten mit der größeren Spezialiſierung der Vor-
ſtellung im geraden Verhältniſſe ſteht.

Dabei kann es der richtigen Anſicht nach keinen Unter-
ſchied machen, ob der Eintritt des Erfolges bei einem an-
deren als dem vorgeſtellten Objekte zurückzuführen iſt auf
äußere Umſtände (ſog. aberratio ictus) oder auf einen Irrtum
des Thäters über die Identität des Objektes (ſog. error in
objecto
oder in persona). Es iſt gleich unrichtig, die Zu-
rechnung zum Vorſatz bei der aberratio immer ausſchließen,

14 Man vgl. mit dem Geſagten Binding Normen II
S. 434.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0141" n="115"/><fw place="top" type="header">Der Vor&#x017F;atz. §. 28.</fw><lb/>
merkmalen gleichge&#x017F;tellt werden (vgl. das oben unter <hi rendition="#aq">II</hi> bez.<lb/>
der Widerrechtlichkeit Ge&#x017F;agte).</p><lb/>
                <p>Es liegt al&#x017F;o vor&#x017F;ätzlicher Dieb&#x017F;tahl nicht vor, wenn ich<lb/>
die Eigen&#x017F;chaft der Sache als einer fremden; es liegt A&#x017F;cen-<lb/>
dententod&#x017F;chlag nicht vor, wenn ich die Eigen&#x017F;chaft des Er-<lb/>
&#x017F;chlagenen als meines A&#x017F;cendenten nicht kannte.</p><lb/>
                <p>2. Es kann aber ein Um&#x017F;tand auch dadurch zu einem<lb/>
we&#x017F;entlichen werden, daß er, <hi rendition="#g">unter Aus&#x017F;chluß aller an-<lb/>
deren korre&#x017F;pondierenden Um&#x017F;tände aus der Vor-<lb/>
&#x017F;tellung</hi>, mit voll&#x017F;ter Be&#x017F;timmtheit in die &#x017F;peziali&#x017F;ierte Vor-<lb/>
&#x017F;tellung aufgenommen wurde.</p><lb/>
                <p>Wenn der Erfolg daher bei einem ganz außerhalb der<lb/>
Vor&#x017F;tellung liegenden <hi rendition="#g">Objekte</hi> oder auf einem außerhalb<lb/>
der&#x017F;elben liegenden <hi rendition="#g">Wege</hi> (Kau&#x017F;alzu&#x017F;ammenhang) oder end-<lb/>
lich wenn an dem vorge&#x017F;tellten Objekte ein außerhalb der<lb/>
Vor&#x017F;tellung liegender <hi rendition="#g">Erfolg</hi> eingetreten i&#x017F;t:<note place="foot" n="14">Man vgl. mit dem Ge&#x017F;agten <hi rendition="#g">Binding</hi> Normen <hi rendition="#aq">II</hi><lb/>
S. 434.</note> &#x017F;o kann der<lb/>
Erfolg nicht zum Vor&#x017F;atze zugerechnet werden.</p><lb/>
                <p>Aus dem Ge&#x017F;agten folgt, daß die Möglichkeit der Nicht-<lb/>
überein&#x017F;timmung zwi&#x017F;chen Vor&#x017F;tellung und Erfolg in we&#x017F;ent-<lb/>
lichen Punkten mit der größeren Speziali&#x017F;ierung der Vor-<lb/>
&#x017F;tellung im geraden Verhältni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;teht.</p><lb/>
                <p>Dabei kann es der richtigen An&#x017F;icht nach keinen Unter-<lb/>
&#x017F;chied machen, ob der Eintritt des Erfolges bei einem an-<lb/>
deren als dem vorge&#x017F;tellten Objekte zurückzuführen i&#x017F;t auf<lb/>
äußere Um&#x017F;tände (&#x017F;og. <hi rendition="#aq">aberratio ictus</hi>) oder auf einen Irrtum<lb/>
des Thäters über die Identität des Objektes (&#x017F;og. <hi rendition="#aq">error in<lb/>
objecto</hi> oder <hi rendition="#aq">in persona</hi>). Es i&#x017F;t gleich unrichtig, die Zu-<lb/>
rechnung zum Vor&#x017F;atz bei der <hi rendition="#aq">aberratio</hi> immer aus&#x017F;chließen,<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0141] Der Vorſatz. §. 28. merkmalen gleichgeſtellt werden (vgl. das oben unter II bez. der Widerrechtlichkeit Geſagte). Es liegt alſo vorſätzlicher Diebſtahl nicht vor, wenn ich die Eigenſchaft der Sache als einer fremden; es liegt Aſcen- dententodſchlag nicht vor, wenn ich die Eigenſchaft des Er- ſchlagenen als meines Aſcendenten nicht kannte. 2. Es kann aber ein Umſtand auch dadurch zu einem weſentlichen werden, daß er, unter Ausſchluß aller an- deren korreſpondierenden Umſtände aus der Vor- ſtellung, mit vollſter Beſtimmtheit in die ſpezialiſierte Vor- ſtellung aufgenommen wurde. Wenn der Erfolg daher bei einem ganz außerhalb der Vorſtellung liegenden Objekte oder auf einem außerhalb derſelben liegenden Wege (Kauſalzuſammenhang) oder end- lich wenn an dem vorgeſtellten Objekte ein außerhalb der Vorſtellung liegender Erfolg eingetreten iſt: 14 ſo kann der Erfolg nicht zum Vorſatze zugerechnet werden. Aus dem Geſagten folgt, daß die Möglichkeit der Nicht- übereinſtimmung zwiſchen Vorſtellung und Erfolg in weſent- lichen Punkten mit der größeren Spezialiſierung der Vor- ſtellung im geraden Verhältniſſe ſteht. Dabei kann es der richtigen Anſicht nach keinen Unter- ſchied machen, ob der Eintritt des Erfolges bei einem an- deren als dem vorgeſtellten Objekte zurückzuführen iſt auf äußere Umſtände (ſog. aberratio ictus) oder auf einen Irrtum des Thäters über die Identität des Objektes (ſog. error in objecto oder in persona). Es iſt gleich unrichtig, die Zu- rechnung zum Vorſatz bei der aberratio immer ausſchließen, 14 Man vgl. mit dem Geſagten Binding Normen II S. 434.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/141
Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/141>, abgerufen am 18.12.2024.