List, Friedrich: Das deutsche National-Transport-System in volks- und staatswirthschaftlicher Beziehung. Altona u. a., 1838.Das merkwürdigste Beispiel von Einsicht und Thatkraft aber gaben in dieser Beziehung die Nordamerikaner. Seit dem Jahre 1815, wo sie das erste große Werk dieser Art unternahmen, bauten sie nicht weniger als 3000 Meilen Canäle mit einem Aufwande von ungefähr 105 Millionen Thaler, und eine eben so große Strecke ist im Werk begriffen. Alle Staaten, sogar die jüngsten, wie Illinois und Michigan, projectiren neben einem Eisenbahnsystem ein vollständiges Canalsystem. Außerdem haben die Union und die einzelnen Staaten unermeßliche Summen auf die Verbesserung ihrer Flußschifffahrt verwendet. Die meisten dieser riesenmäßigen Anlagen werden auf Rechnung der Staaten unternommen. Der Canaltransport, während er in Beziehung auf Schnelligkeit weit hinter dem Transport auf macadamisirten Chausseen zurücksteht, ist im Durchschnitt 5-10 Mal wohlfeiler als jener (ein Pferd zieht eine 25-40 Mal größere Last auf dem Canal, nämlich 1000-2000 Ctr.), äußert daher seine Wirksamkeit vorzüglich im Verkehr schwerer und im Verhältniß zu ihrem Gewicht wohlfeiler Güter, wobei auf regelmäßige und schnelle Beförderung wenig ankommt (wie z. B. Dünger, Steinkohle, Holz, Sand, Kalk, Gyps und dergleichen). Ihm verdankt Holland größtentheils den hohen Stand seiner Agricultur und England die riesenmäßige Entfaltung seines Steinkohlenbergbaues, seiner Eisenfabrikation und überhaupt seiner Fabrikindustrie, sowie die Blüthe seiner Landwirthschaft. Die erstaunlichen Wirkungen dieses Transportmittels haben die Deutschen bei ihren nächsten Nachbarn und Stammes-Angehörigen, den Holländern, viele Jahrhunderte lang mit angesehen, ohne eine wesentliche Verbesserung ihrer eigenen Fluß- und Canalschifffahrt zu versuchen oder nur zur Einsicht zu gelangen, welche unermeßliche Vortheile sie aus einem vollständigen deutschen Canal- und Flußschifffahrtssysteme zu schöpfen vermöchten. Noch immer ist in manchen deutschen Ländern die Büreaukratie über die Vortheile der Canäle nicht recht im Klaren; indessen steht Baiern im Begriff, ein Beispiel aufzustellen, das früher oder später in allen übrigen deutschen Ländern Nachahmung finden muß. Vor der Einführung der deutschen Handelsunion stellte, die politisch-merkantilische Zerrissenheit des deutschen Vaterlands der Ausbildung dieses mächtigen Transportmittels und der Verbesserung der ihm so nahe verwandten Flußschifffahrt durch Rectification der Ströme noch weit größere und unübersteiglichere Hindernisse in den Weg als die Natur. Die Nachwelt wird es kaum glauben, daß man nach Abwerfung des fremden Joches beinahe ein Viertel-Jahrhundert damit zubrachte, um über die Aufhebung der Stapelrechte auf dem Rheine, dem besten Flusse Deutschlands, und die freie Ausfuhr aus demselben nach dem Meere zu unterhandeln. Daher kommt es denn auch, daß man jetzt erst anfängt, an die Errichtung einer Dampfschifffahrt auf der Elbe und der Donau zu denken (von der Oder und Weser ist noch gar nicht die Rede), während die Nordamerikaner die unbedeutendsten Flüsse befahren. Das merkwürdigste Beispiel von Einsicht und Thatkraft aber gaben in dieser Beziehung die Nordamerikaner. Seit dem Jahre 1815, wo sie das erste große Werk dieser Art unternahmen, bauten sie nicht weniger als 3000 Meilen Canäle mit einem Aufwande von ungefähr 105 Millionen Thaler, und eine eben so große Strecke ist im Werk begriffen. Alle Staaten, sogar die jüngsten, wie Illinois und Michigan, projectiren neben einem Eisenbahnsystem ein vollständiges Canalsystem. Außerdem haben die Union und die einzelnen Staaten unermeßliche Summen auf die Verbesserung ihrer Flußschifffahrt verwendet. Die meisten dieser riesenmäßigen Anlagen werden auf Rechnung der Staaten unternommen. Der Canaltransport, während er in Beziehung auf Schnelligkeit weit hinter dem Transport auf macadamisirten Chausseen zurücksteht, ist im Durchschnitt 5–10 Mal wohlfeiler als jener (ein Pferd zieht eine 25–40 Mal größere Last auf dem Canal, nämlich 1000–2000 Ctr.), äußert daher seine Wirksamkeit vorzüglich im Verkehr schwerer und im Verhältniß zu ihrem Gewicht wohlfeiler Güter, wobei auf regelmäßige und schnelle Beförderung wenig ankommt (wie z. B. Dünger, Steinkohle, Holz, Sand, Kalk, Gyps und dergleichen). Ihm verdankt Holland größtentheils den hohen Stand seiner Agricultur und England die riesenmäßige Entfaltung seines Steinkohlenbergbaues, seiner Eisenfabrikation und überhaupt seiner Fabrikindustrie, sowie die Blüthe seiner Landwirthschaft. Die erstaunlichen Wirkungen dieses Transportmittels haben die Deutschen bei ihren nächsten Nachbarn und Stammes-Angehörigen, den Holländern, viele Jahrhunderte lang mit angesehen, ohne eine wesentliche Verbesserung ihrer eigenen Fluß- und Canalschifffahrt zu versuchen oder nur zur Einsicht zu gelangen, welche unermeßliche Vortheile sie aus einem vollständigen deutschen Canal- und Flußschifffahrtssysteme zu schöpfen vermöchten. Noch immer ist in manchen deutschen Ländern die Büreaukratie über die Vortheile der Canäle nicht recht im Klaren; indessen steht Baiern im Begriff, ein Beispiel aufzustellen, das früher oder später in allen übrigen deutschen Ländern Nachahmung finden muß. Vor der Einführung der deutschen Handelsunion stellte, die politisch-merkantilische Zerrissenheit des deutschen Vaterlands der Ausbildung dieses mächtigen Transportmittels und der Verbesserung der ihm so nahe verwandten Flußschifffahrt durch Rectification der Ströme noch weit größere und unübersteiglichere Hindernisse in den Weg als die Natur. Die Nachwelt wird es kaum glauben, daß man nach Abwerfung des fremden Joches beinahe ein Viertel-Jahrhundert damit zubrachte, um über die Aufhebung der Stapelrechte auf dem Rheine, dem besten Flusse Deutschlands, und die freie Ausfuhr aus demselben nach dem Meere zu unterhandeln. Daher kommt es denn auch, daß man jetzt erst anfängt, an die Errichtung einer Dampfschifffahrt auf der Elbe und der Donau zu denken (von der Oder und Weser ist noch gar nicht die Rede), während die Nordamerikaner die unbedeutendsten Flüsse befahren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0004" n="3"/> <p> Das merkwürdigste Beispiel von Einsicht und Thatkraft aber gaben in dieser Beziehung die Nordamerikaner. Seit dem Jahre 1815, wo sie das erste große Werk dieser Art unternahmen, bauten sie nicht weniger als 3000 Meilen Canäle mit einem Aufwande von ungefähr 105 Millionen Thaler, und eine eben so große Strecke ist im Werk begriffen. Alle Staaten, sogar die jüngsten, wie Illinois und Michigan, projectiren neben einem Eisenbahnsystem ein vollständiges Canalsystem. Außerdem haben die Union und die einzelnen Staaten unermeßliche Summen auf die Verbesserung ihrer Flußschifffahrt verwendet. Die meisten dieser riesenmäßigen Anlagen werden auf Rechnung der Staaten unternommen.</p> <p>Der <hi rendition="#g">Canaltransport</hi>, während er in Beziehung auf Schnelligkeit weit hinter dem Transport auf macadamisirten Chausseen zurücksteht, ist im Durchschnitt 5–10 Mal wohlfeiler als jener (ein Pferd zieht eine 25–40 Mal größere Last auf dem Canal, nämlich 1000–2000 Ctr.), äußert daher seine Wirksamkeit vorzüglich im Verkehr schwerer und im Verhältniß zu ihrem Gewicht wohlfeiler Güter, wobei auf regelmäßige und schnelle Beförderung wenig ankommt (wie z. B. Dünger, Steinkohle, Holz, Sand, Kalk, Gyps und dergleichen). Ihm verdankt Holland größtentheils den hohen Stand seiner Agricultur und England die riesenmäßige Entfaltung seines Steinkohlenbergbaues, seiner Eisenfabrikation und überhaupt seiner Fabrikindustrie, sowie die Blüthe seiner Landwirthschaft. Die erstaunlichen Wirkungen dieses Transportmittels haben die <hi rendition="#g">Deutschen</hi> bei ihren nächsten Nachbarn und Stammes-Angehörigen, den Holländern, viele Jahrhunderte lang mit angesehen, ohne eine wesentliche Verbesserung ihrer eigenen Fluß- und Canalschifffahrt zu versuchen oder nur zur Einsicht zu gelangen, welche unermeßliche Vortheile sie aus einem vollständigen deutschen Canal- und Flußschifffahrtssysteme zu schöpfen vermöchten.</p> <p>Noch immer ist in manchen deutschen Ländern die <hi rendition="#g">Büreaukratie</hi> über die Vortheile der Canäle nicht recht im Klaren; indessen steht Baiern im Begriff, ein Beispiel aufzustellen, das früher oder später in allen übrigen deutschen Ländern Nachahmung finden muß.</p> <p>Vor der Einführung der deutschen <hi rendition="#g">Handelsunion</hi> stellte, die politisch-merkantilische Zerrissenheit des deutschen Vaterlands der Ausbildung dieses mächtigen Transportmittels und der Verbesserung der ihm so nahe verwandten Flußschifffahrt durch Rectification der Ströme noch weit größere und unübersteiglichere Hindernisse in den Weg als die Natur. Die Nachwelt wird es kaum glauben, daß man nach Abwerfung des fremden Joches beinahe ein Viertel-Jahrhundert damit zubrachte, um über die Aufhebung der Stapelrechte auf dem Rheine, dem besten Flusse Deutschlands, und die freie Ausfuhr aus demselben nach dem Meere zu unterhandeln.</p> <p>Daher kommt es denn auch, daß man jetzt erst anfängt, an die Errichtung einer Dampfschifffahrt auf der Elbe und der Donau zu denken (von der Oder und Weser ist noch gar nicht die Rede), während die Nordamerikaner die unbedeutendsten Flüsse befahren.</p> </div> </body> </text> </TEI> [3/0004]
Das merkwürdigste Beispiel von Einsicht und Thatkraft aber gaben in dieser Beziehung die Nordamerikaner. Seit dem Jahre 1815, wo sie das erste große Werk dieser Art unternahmen, bauten sie nicht weniger als 3000 Meilen Canäle mit einem Aufwande von ungefähr 105 Millionen Thaler, und eine eben so große Strecke ist im Werk begriffen. Alle Staaten, sogar die jüngsten, wie Illinois und Michigan, projectiren neben einem Eisenbahnsystem ein vollständiges Canalsystem. Außerdem haben die Union und die einzelnen Staaten unermeßliche Summen auf die Verbesserung ihrer Flußschifffahrt verwendet. Die meisten dieser riesenmäßigen Anlagen werden auf Rechnung der Staaten unternommen.
Der Canaltransport, während er in Beziehung auf Schnelligkeit weit hinter dem Transport auf macadamisirten Chausseen zurücksteht, ist im Durchschnitt 5–10 Mal wohlfeiler als jener (ein Pferd zieht eine 25–40 Mal größere Last auf dem Canal, nämlich 1000–2000 Ctr.), äußert daher seine Wirksamkeit vorzüglich im Verkehr schwerer und im Verhältniß zu ihrem Gewicht wohlfeiler Güter, wobei auf regelmäßige und schnelle Beförderung wenig ankommt (wie z. B. Dünger, Steinkohle, Holz, Sand, Kalk, Gyps und dergleichen). Ihm verdankt Holland größtentheils den hohen Stand seiner Agricultur und England die riesenmäßige Entfaltung seines Steinkohlenbergbaues, seiner Eisenfabrikation und überhaupt seiner Fabrikindustrie, sowie die Blüthe seiner Landwirthschaft. Die erstaunlichen Wirkungen dieses Transportmittels haben die Deutschen bei ihren nächsten Nachbarn und Stammes-Angehörigen, den Holländern, viele Jahrhunderte lang mit angesehen, ohne eine wesentliche Verbesserung ihrer eigenen Fluß- und Canalschifffahrt zu versuchen oder nur zur Einsicht zu gelangen, welche unermeßliche Vortheile sie aus einem vollständigen deutschen Canal- und Flußschifffahrtssysteme zu schöpfen vermöchten.
Noch immer ist in manchen deutschen Ländern die Büreaukratie über die Vortheile der Canäle nicht recht im Klaren; indessen steht Baiern im Begriff, ein Beispiel aufzustellen, das früher oder später in allen übrigen deutschen Ländern Nachahmung finden muß.
Vor der Einführung der deutschen Handelsunion stellte, die politisch-merkantilische Zerrissenheit des deutschen Vaterlands der Ausbildung dieses mächtigen Transportmittels und der Verbesserung der ihm so nahe verwandten Flußschifffahrt durch Rectification der Ströme noch weit größere und unübersteiglichere Hindernisse in den Weg als die Natur. Die Nachwelt wird es kaum glauben, daß man nach Abwerfung des fremden Joches beinahe ein Viertel-Jahrhundert damit zubrachte, um über die Aufhebung der Stapelrechte auf dem Rheine, dem besten Flusse Deutschlands, und die freie Ausfuhr aus demselben nach dem Meere zu unterhandeln.
Daher kommt es denn auch, daß man jetzt erst anfängt, an die Errichtung einer Dampfschifffahrt auf der Elbe und der Donau zu denken (von der Oder und Weser ist noch gar nicht die Rede), während die Nordamerikaner die unbedeutendsten Flüsse befahren.
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