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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)

Doch kan ich diesen Brief nicht schliessen, ohne vor-
her Ew. Hochwohlg. nochmahl zu bitten, das, was ich
schreibe, nicht anders aufzunehmen, als es gemeinet
ist. Meine Einwürfe wider den Stand der Unschuld,
den der Hr. Manzel beweisen wollen, gehen nicht da-
hin, daß ich das, was uns von dem Zustande des ersten
Menschen ofenbahret worden, in Zweifel ziehen, oder
gar leugnen wolte. Jch weiß wohl, was man den
Schriften Mosis vor Ehrerbietung schuldig ist. Mei-
ne Absicht ist nur, zu weisen, daß unsere Vernunft
nichts von dem Stande der Unschuld wisse, und daß
es also ein verwegenes Unternehmen sey, daß der Hr.
Manzel denselben aus der blossen Vernunft beweisen
wollen. Und diese Verwegenheit muß einem noch grös-
fer vorkommen, wenn man bedencket, daß selbst Mo-
ses von den meisten unbegreiflichen Dingen, wie der
Hr. Pr. von dem Stande der Unschuld lehret, nicht ein
Wort erwehne. Der Bericht dieses heiligen Schrei-
bers von dem ursprünglichen Zustande, und Fall des
ersten Menschen ist so beschafen, daß man Mühe hat,
sich einen rechten Begrif von diesen Dingen zu ma-
chen, und es haben schon gelehrtere Leute, als der Hr.
Prof. Manzel, und ich, angemercket, daß man gar
wahrscheinlich aus der Erzehlung Mosis schliessen
könne, es habe der göttlichen Weißheit nicht gefallen,
uns eine umständliche Nachricht von dem Zustande
unserer ersten Eltern mitzutheilen (42).

War-
(42) S. les Nouvelles de la Republique des Lettres
Juillet 1686
... de la maniere,
heißt es daselbst,
que Moise raconte ce funeste evenement, il paroeit
bien que son intention n'a pas ete que nous scaussions
comment, l'affaire s'etoit passee, & cela seul doit per-
C c c 2
(o)

Doch kan ich dieſen Brief nicht ſchlieſſen, ohne vor-
her Ew. Hochwohlg. nochmahl zu bitten, das, was ich
ſchreibe, nicht anders aufzunehmen, als es gemeinet
iſt. Meine Einwuͤrfe wider den Stand der Unſchuld,
den der Hr. Manzel beweiſen wollen, gehen nicht da-
hin, daß ich das, was uns von dem Zuſtande des erſten
Menſchen ofenbahret worden, in Zweifel ziehen, oder
gar leugnen wolte. Jch weiß wohl, was man den
Schriften Moſis vor Ehrerbietung ſchuldig iſt. Mei-
ne Abſicht iſt nur, zu weiſen, daß unſere Vernunft
nichts von dem Stande der Unſchuld wiſſe, und daß
es alſo ein verwegenes Unternehmen ſey, daß der Hr.
Manzel denſelben aus der bloſſen Vernunft beweiſen
wollen. Und dieſe Verwegenheit muß einem noch groͤſ-
fer vorkommen, wenn man bedencket, daß ſelbſt Mo-
ſes von den meiſten unbegreiflichen Dingen, wie der
Hr. Pr. von dem Stande der Unſchuld lehret, nicht ein
Wort erwehne. Der Bericht dieſes heiligen Schrei-
bers von dem urſpruͤnglichen Zuſtande, und Fall des
erſten Menſchen iſt ſo beſchafen, daß man Muͤhe hat,
ſich einen rechten Begrif von dieſen Dingen zu ma-
chen, und es haben ſchon gelehrtere Leute, als der Hr.
Prof. Manzel, und ich, angemercket, daß man gar
wahrſcheinlich aus der Erzehlung Moſis ſchlieſſen
koͤnne, es habe der goͤttlichen Weißheit nicht gefallen,
uns eine umſtaͤndliche Nachricht von dem Zuſtande
unſerer erſten Eltern mitzutheilen (42).

War-
(42) S. les Nouvelles de la Republique des Lettres
Juillet 1686
… de la maniere,
heißt es daſelbſt,
que Moiſe raconte ce funeſte événement, il paroît
bien que ſon intention n’a pas été que nous ſçûſſions
comment, l’affaire s’étoit paſſée, & cela ſeul doit per-
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[771/0863] (o) Doch kan ich dieſen Brief nicht ſchlieſſen, ohne vor- her Ew. Hochwohlg. nochmahl zu bitten, das, was ich ſchreibe, nicht anders aufzunehmen, als es gemeinet iſt. Meine Einwuͤrfe wider den Stand der Unſchuld, den der Hr. Manzel beweiſen wollen, gehen nicht da- hin, daß ich das, was uns von dem Zuſtande des erſten Menſchen ofenbahret worden, in Zweifel ziehen, oder gar leugnen wolte. Jch weiß wohl, was man den Schriften Moſis vor Ehrerbietung ſchuldig iſt. Mei- ne Abſicht iſt nur, zu weiſen, daß unſere Vernunft nichts von dem Stande der Unſchuld wiſſe, und daß es alſo ein verwegenes Unternehmen ſey, daß der Hr. Manzel denſelben aus der bloſſen Vernunft beweiſen wollen. Und dieſe Verwegenheit muß einem noch groͤſ- fer vorkommen, wenn man bedencket, daß ſelbſt Mo- ſes von den meiſten unbegreiflichen Dingen, wie der Hr. Pr. von dem Stande der Unſchuld lehret, nicht ein Wort erwehne. Der Bericht dieſes heiligen Schrei- bers von dem urſpruͤnglichen Zuſtande, und Fall des erſten Menſchen iſt ſo beſchafen, daß man Muͤhe hat, ſich einen rechten Begrif von dieſen Dingen zu ma- chen, und es haben ſchon gelehrtere Leute, als der Hr. Prof. Manzel, und ich, angemercket, daß man gar wahrſcheinlich aus der Erzehlung Moſis ſchlieſſen koͤnne, es habe der goͤttlichen Weißheit nicht gefallen, uns eine umſtaͤndliche Nachricht von dem Zuſtande unſerer erſten Eltern mitzutheilen (42). War- (42) S. les Nouvelles de la Republique des Lettres Juillet 1686 … de la maniere, heißt es daſelbſt, que Moiſe raconte ce funeſte événement, il paroît bien que ſon intention n’a pas été que nous ſçûſſions comment, l’affaire s’étoit paſſée, & cela ſeul doit per- C c c 2

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 771. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/863>, abgerufen am 02.05.2024.