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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
zel sagt, so gar elend ist, so wolte ich lieber den
Schluß machen, GOtt habe in Ansehung seiner ei-
ne Ausnahme gemacht, die klärlich weiset, daß er
nicht das vortreflichste Geschöpfe seyn sollen.

Denn die Vortreflichkeit eines Dinges ersehe ich
aus dessen Eigenschaften. Diejenige Creatur nun,
welche die vortreflichste unter allen seyn soll, die muß
die andern an Macht, Daurung, Verstand, Tu-
gend, oder auch an künstlicher Bildung übertrefen.
Wenn ich den Menschen noch so viel betrachte, so
finde ich nicht, daß man dieses von ihm sagen könne.

Seine Kräfte erstrecken sich nicht gar weit, und
die meisten Thiere haben keine Ursache, ihn zu benei-
den. Was die Daurung anlanget, so ist es ofen-
bahr, daß viele Creaturen weit länger dauren, als
der Mensch. Mit seiner Weißheit, und mit seinem
Verstande brüstet sich der Mensch zwar sehr: Allein
auch die Thiere haben die Fähigkeit, ihren wahren
Vortheil zu kennen, und bedienen sich derselben bes-
ser, als der Mensch. Daß sie nicht so tiefsinnige
Schlüsse machen, und abstrahiren können, das ist
mehr ein Zeichen, daß sie vortreflicher sind, als der
Mensch, als daß es den Vorzug, den wir für ihnen
haben, beweisen solte. Mit einem Blick, ohne weitläuf-
tige Schlüsse, nützliche Warheiten erkennen, ist eine
grössere Vollkommenheit, als mit grosser Mühe aus ei-
nigen bekannten Sätzen unbekannte herleiten. Ein Mu-
sicus, der, ohne darauf zu dencken, die schwersten Stü-
cke wegspielet, hat unstreitig den Vorzug vor einem
Lehrling, der sich den Kopf darüber zerbricht. Unnütze
aber, oder wohl gar schädliche Warheiten nicht erken-
nen, ist so wenig ein Fehler, darüber sich die Thiere zu

be-
T t 4

(o)
zel ſagt, ſo gar elend iſt, ſo wolte ich lieber den
Schluß machen, GOtt habe in Anſehung ſeiner ei-
ne Ausnahme gemacht, die klaͤrlich weiſet, daß er
nicht das vortreflichſte Geſchoͤpfe ſeyn ſollen.

Denn die Vortreflichkeit eines Dinges erſehe ich
aus deſſen Eigenſchaften. Diejenige Creatur nun,
welche die vortreflichſte unter allen ſeyn ſoll, die muß
die andern an Macht, Daurung, Verſtand, Tu-
gend, oder auch an kuͤnſtlicher Bildung uͤbertrefen.
Wenn ich den Menſchen noch ſo viel betrachte, ſo
finde ich nicht, daß man dieſes von ihm ſagen koͤnne.

Seine Kraͤfte erſtrecken ſich nicht gar weit, und
die meiſten Thiere haben keine Urſache, ihn zu benei-
den. Was die Daurung anlanget, ſo iſt es ofen-
bahr, daß viele Creaturen weit laͤnger dauren, als
der Menſch. Mit ſeiner Weißheit, und mit ſeinem
Verſtande bruͤſtet ſich der Menſch zwar ſehr: Allein
auch die Thiere haben die Faͤhigkeit, ihren wahren
Vortheil zu kennen, und bedienen ſich derſelben beſ-
ſer, als der Menſch. Daß ſie nicht ſo tiefſinnige
Schluͤſſe machen, und abſtrahiren koͤnnen, das iſt
mehr ein Zeichen, daß ſie vortreflicher ſind, als der
Menſch, als daß es den Vorzug, den wir fuͤr ihnen
haben, beweiſen ſolte. Mit einem Blick, ohne weitlaͤuf-
tige Schluͤſſe, nuͤtzliche Warheiten erkennen, iſt eine
groͤſſere Vollkom̃enheit, als mit groſſer Muͤhe aus ei-
nigen bekañten Saͤtzen unbekañte herleiten. Ein Mu-
ſicus, der, ohne darauf zu dencken, die ſchwerſten Stuͤ-
cke wegſpielet, hat unſtreitig den Vorzug vor einem
Lehrling, der ſich den Kopf daruͤber zerbricht. Unnuͤtze
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[663/0755] (o) zel ſagt, ſo gar elend iſt, ſo wolte ich lieber den Schluß machen, GOtt habe in Anſehung ſeiner ei- ne Ausnahme gemacht, die klaͤrlich weiſet, daß er nicht das vortreflichſte Geſchoͤpfe ſeyn ſollen. Denn die Vortreflichkeit eines Dinges erſehe ich aus deſſen Eigenſchaften. Diejenige Creatur nun, welche die vortreflichſte unter allen ſeyn ſoll, die muß die andern an Macht, Daurung, Verſtand, Tu- gend, oder auch an kuͤnſtlicher Bildung uͤbertrefen. Wenn ich den Menſchen noch ſo viel betrachte, ſo finde ich nicht, daß man dieſes von ihm ſagen koͤnne. Seine Kraͤfte erſtrecken ſich nicht gar weit, und die meiſten Thiere haben keine Urſache, ihn zu benei- den. Was die Daurung anlanget, ſo iſt es ofen- bahr, daß viele Creaturen weit laͤnger dauren, als der Menſch. Mit ſeiner Weißheit, und mit ſeinem Verſtande bruͤſtet ſich der Menſch zwar ſehr: Allein auch die Thiere haben die Faͤhigkeit, ihren wahren Vortheil zu kennen, und bedienen ſich derſelben beſ- ſer, als der Menſch. Daß ſie nicht ſo tiefſinnige Schluͤſſe machen, und abſtrahiren koͤnnen, das iſt mehr ein Zeichen, daß ſie vortreflicher ſind, als der Menſch, als daß es den Vorzug, den wir fuͤr ihnen haben, beweiſen ſolte. Mit einem Blick, ohne weitlaͤuf- tige Schluͤſſe, nuͤtzliche Warheiten erkennen, iſt eine groͤſſere Vollkom̃enheit, als mit groſſer Muͤhe aus ei- nigen bekañten Saͤtzen unbekañte herleiten. Ein Mu- ſicus, der, ohne darauf zu dencken, die ſchwerſten Stuͤ- cke wegſpielet, hat unſtreitig den Vorzug vor einem Lehrling, der ſich den Kopf daruͤber zerbricht. Unnuͤtze aber, oder wohl gar ſchaͤdliche Warheiten nicht eꝛken- nen, iſt ſo wenig ein Fehler, daruͤber ſich die Thiere zu be- T t 4

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 663. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/755>, abgerufen am 25.11.2024.