Gedancken qvälen, und nicht schlüssig werden kön- nen, welchen Einfall sie zuerst zu Papier bringen wollen. Denn ihre Gedancken sind nicht alle gleich gut. Allein sie werden dann auch so gut seyn, und nicht von uns verlangen, daß wir uns eben so quälen sollen. Wir haben dieses nicht nöthig: Weil unsere Gedancken alle gleich gut sind, und also wenig daran gelegen ist, welcher zuerst oder zu- letzt hingeschrieben werde. Dieses giebt uns einen besondern Vorzug vor unsern Feinden, und erleich- tert uns die Geburt ungemein. Jn den Köpfen der guten Scribenten gehet es nicht anders her, als in dem Leibe der Rebecca. Die Gedancken stossen sich darinn, wie die Kinder in dem Bauche dieser Ertz-Mutter. Ja das Gedrenge der Gedan- cken, von denen immer einer eher als der andere her- aus will, ist so groß in dem Gehirn dieser Unglück- seeligen, daß es nicht zu verwundern wäre, wenn vie- le in der Geburt darauf giengen, wie die Thamar.
Wir haben dergleichen Zufälle nicht zu besor- gen. Unsere Gedancken sind einander vollkommen gleich. Sie leben in Friede, und streiten sich nicht um den Rang. Sie drengen sich nicht, sondern gehen ohne alle Ceremonie, wie sie die Reihe trift, aus Mutter-Leibe hervor. Soll dieses eine Unord- nung heissen, so müssen unsere Feinde glauben, daß, ausser den öfentlichen Processionen, keine Ordnung zu finden, und z. E. in einer Gesellschaft recht guter Freunde nichts als Verwirrung und Unordnung anzutrefen sey. Sie werden so wunderlich nicht seyn, daß sie dieses sagen: Warum aber bilden sie sich dann ein, daß unsere Schriften darum unor-
dentlich
(o)
Gedancken qvaͤlen, und nicht ſchluͤſſig werden koͤn- nen, welchen Einfall ſie zuerſt zu Papier bringen wollen. Denn ihre Gedancken ſind nicht alle gleich gut. Allein ſie werden dann auch ſo gut ſeyn, und nicht von uns verlangen, daß wir uns eben ſo quaͤlen ſollen. Wir haben dieſes nicht noͤthig: Weil unſere Gedancken alle gleich gut ſind, und alſo wenig daran gelegen iſt, welcher zuerſt oder zu- letzt hingeſchrieben werde. Dieſes giebt uns einen beſondern Vorzug vor unſern Feinden, und erleich- tert uns die Geburt ungemein. Jn den Koͤpfen der guten Scribenten gehet es nicht anders her, als in dem Leibe der Rebecca. Die Gedancken ſtoſſen ſich darinn, wie die Kinder in dem Bauche dieſer Ertz-Mutter. Ja das Gedrenge der Gedan- cken, von denen immer einer eher als der andere her- aus will, iſt ſo groß in dem Gehirn dieſer Ungluͤck- ſeeligen, daß es nicht zu verwundern waͤre, wenn vie- le in der Geburt darauf giengen, wie die Thamar.
Wir haben dergleichen Zufaͤlle nicht zu beſor- gen. Unſere Gedancken ſind einander vollkommen gleich. Sie leben in Friede, und ſtreiten ſich nicht um den Rang. Sie drengen ſich nicht, ſondern gehen ohne alle Ceremonie, wie ſie die Reihe trift, aus Mutter-Leibe hervor. Soll dieſes eine Unord- nung heiſſen, ſo muͤſſen unſere Feinde glauben, daß, auſſer den oͤfentlichen Proceſſionen, keine Ordnung zu finden, und z. E. in einer Geſellſchaft recht guter Freunde nichts als Verwirrung und Unordnung anzutrefen ſey. Sie werden ſo wunderlich nicht ſeyn, daß ſie dieſes ſagen: Warum aber bilden ſie ſich dann ein, daß unſere Schriften darum unor-
dentlich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0646"n="554"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
Gedancken qvaͤlen, und nicht ſchluͤſſig werden koͤn-<lb/>
nen, welchen Einfall ſie zuerſt zu Papier bringen<lb/>
wollen. Denn ihre Gedancken ſind nicht alle gleich<lb/>
gut. Allein ſie werden dann auch ſo gut ſeyn,<lb/>
und nicht von uns verlangen, daß wir uns eben<lb/>ſo quaͤlen ſollen. Wir haben dieſes nicht noͤthig:<lb/>
Weil unſere Gedancken alle gleich gut ſind, und<lb/>
alſo wenig daran gelegen iſt, welcher zuerſt oder zu-<lb/>
letzt hingeſchrieben werde. Dieſes giebt uns einen<lb/>
beſondern Vorzug vor unſern Feinden, und erleich-<lb/>
tert uns die Geburt ungemein. Jn den Koͤpfen<lb/>
der guten Scribenten gehet es nicht anders her,<lb/>
als in dem Leibe der Rebecca. Die Gedancken<lb/>ſtoſſen ſich darinn, wie die Kinder in dem Bauche<lb/>
dieſer Ertz-Mutter. Ja das Gedrenge der Gedan-<lb/>
cken, von denen immer einer eher als der andere her-<lb/>
aus will, iſt ſo groß in dem Gehirn dieſer Ungluͤck-<lb/>ſeeligen, daß es nicht zu verwundern waͤre, wenn vie-<lb/>
le in der Geburt darauf giengen, wie die Thamar.</p><lb/><p>Wir haben dergleichen Zufaͤlle nicht zu beſor-<lb/>
gen. Unſere Gedancken ſind einander vollkommen<lb/>
gleich. Sie leben in Friede, und ſtreiten ſich nicht<lb/>
um den Rang. Sie drengen ſich nicht, ſondern<lb/>
gehen ohne alle Ceremonie, wie ſie die Reihe trift,<lb/>
aus Mutter-Leibe hervor. Soll dieſes eine Unord-<lb/>
nung heiſſen, ſo muͤſſen unſere Feinde glauben, daß,<lb/>
auſſer den oͤfentlichen Proceſſionen, keine Ordnung<lb/>
zu finden, und z. E. in einer Geſellſchaft recht guter<lb/>
Freunde nichts als Verwirrung und Unordnung<lb/>
anzutrefen ſey. Sie werden ſo wunderlich nicht<lb/>ſeyn, daß ſie dieſes ſagen: Warum aber bilden ſie<lb/>ſich dann ein, daß unſere Schriften darum unor-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">dentlich</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[554/0646]
(o)
Gedancken qvaͤlen, und nicht ſchluͤſſig werden koͤn-
nen, welchen Einfall ſie zuerſt zu Papier bringen
wollen. Denn ihre Gedancken ſind nicht alle gleich
gut. Allein ſie werden dann auch ſo gut ſeyn,
und nicht von uns verlangen, daß wir uns eben
ſo quaͤlen ſollen. Wir haben dieſes nicht noͤthig:
Weil unſere Gedancken alle gleich gut ſind, und
alſo wenig daran gelegen iſt, welcher zuerſt oder zu-
letzt hingeſchrieben werde. Dieſes giebt uns einen
beſondern Vorzug vor unſern Feinden, und erleich-
tert uns die Geburt ungemein. Jn den Koͤpfen
der guten Scribenten gehet es nicht anders her,
als in dem Leibe der Rebecca. Die Gedancken
ſtoſſen ſich darinn, wie die Kinder in dem Bauche
dieſer Ertz-Mutter. Ja das Gedrenge der Gedan-
cken, von denen immer einer eher als der andere her-
aus will, iſt ſo groß in dem Gehirn dieſer Ungluͤck-
ſeeligen, daß es nicht zu verwundern waͤre, wenn vie-
le in der Geburt darauf giengen, wie die Thamar.
Wir haben dergleichen Zufaͤlle nicht zu beſor-
gen. Unſere Gedancken ſind einander vollkommen
gleich. Sie leben in Friede, und ſtreiten ſich nicht
um den Rang. Sie drengen ſich nicht, ſondern
gehen ohne alle Ceremonie, wie ſie die Reihe trift,
aus Mutter-Leibe hervor. Soll dieſes eine Unord-
nung heiſſen, ſo muͤſſen unſere Feinde glauben, daß,
auſſer den oͤfentlichen Proceſſionen, keine Ordnung
zu finden, und z. E. in einer Geſellſchaft recht guter
Freunde nichts als Verwirrung und Unordnung
anzutrefen ſey. Sie werden ſo wunderlich nicht
ſeyn, daß ſie dieſes ſagen: Warum aber bilden ſie
ſich dann ein, daß unſere Schriften darum unor-
dentlich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/646>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.