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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
gefallen; Sondern ich will nur anmercken, daß es
ein unerträglicher Stoltz sey, den Beyfall des Pö-
bels so geringe zu achten, und diejenigen vor Stüm-
per zu schelten, die sich groß damit wissen. Die
guten Scribenten stehen unstreitig in dem Wahn,
als wenn die Ungelehrten gantz und gar ungeschickt
sind, von ihren herrlichen Schriften zu urtheilen:
Aber sie könnten leicht inne werden, wie irrig die-
se Einbildung sey, wenn sie nur belieben wolten,
zu bedencken, daß insgemein davor gehalten wird,
ein Frauenzimmer könne nicht so gut von der Schön-
heit eines andern Frauenzimmers urtheilen, als
eine Manns-Person. Die Ursache ist; weil ein
jedes sich vor das schönste hält, und andere neben
sich verachtet. Die Gelehrten gleichen, in diesem
Fall, den Weibern vollkommen, und es ist kein
eintziger, wie elend es auch um ihn bestellet ist, der
sich nicht in seinem Hertzen klüger düncken solte,
als alle seine Brüder. Es muß also nothwendig,
Haß und Neid, zwo Leidenschaften, die vor an-
dern einem unpartheyischen Urtheil entgegen sind,
unter den Gelehrten herrschen. Die Ungelehrten
sind von diesen Afecten frey, und urtheilen folglich
unpartheyisch von den Schriften, die ihnen vor-
kommen. Solte dann ihr Urtheil nicht höher zu
schätzen seyn, als das Urtheil einiger neidischen Ge-
lehrten, die nichts, als ihre eigene Arbeit hoch halten,
und, natürlicher Weise, alles, was sie nicht ge-
macht haben, tadeln müssen? Mich deucht, wer
sich dem Ausspruch so unpartheyischer Richter nicht
unterwerfen will, der läst ein schlechtes Vertrauen
zu seiner Sache von sich blicken, und muß kein
gut Gewissen haben.

Die-

(o)
gefallen; Sondern ich will nur anmercken, daß es
ein unertraͤglicher Stoltz ſey, den Beyfall des Poͤ-
bels ſo geringe zu achten, und diejenigen vor Stuͤm-
per zu ſchelten, die ſich groß damit wiſſen. Die
guten Scribenten ſtehen unſtreitig in dem Wahn,
als wenn die Ungelehrten gantz und gar ungeſchickt
ſind, von ihren herrlichen Schriften zu urtheilen:
Aber ſie koͤnnten leicht inne werden, wie irrig die-
ſe Einbildung ſey, wenn ſie nur belieben wolten,
zu bedencken, daß insgemein davor gehalten wird,
ein Frauenzimmer koͤnne nicht ſo gut von der Schoͤn-
heit eines andern Frauenzimmers urtheilen, als
eine Manns-Perſon. Die Urſache iſt; weil ein
jedes ſich vor das ſchoͤnſte haͤlt, und andere neben
ſich verachtet. Die Gelehrten gleichen, in dieſem
Fall, den Weibern vollkommen, und es iſt kein
eintziger, wie elend es auch um ihn beſtellet iſt, der
ſich nicht in ſeinem Hertzen kluͤger duͤncken ſolte,
als alle ſeine Bruͤder. Es muß alſo nothwendig,
Haß und Neid, zwo Leidenſchaften, die vor an-
dern einem unpartheyiſchen Urtheil entgegen ſind,
unter den Gelehrten herrſchen. Die Ungelehrten
ſind von dieſen Afecten frey, und urtheilen folglich
unpartheyiſch von den Schriften, die ihnen vor-
kommen. Solte dann ihr Urtheil nicht hoͤher zu
ſchaͤtzen ſeyn, als das Urtheil einiger neidiſchen Ge-
lehrten, die nichts, als ihre eigene Arbeit hoch halten,
und, natuͤrlicher Weiſe, alles, was ſie nicht ge-
macht haben, tadeln muͤſſen? Mich deucht, wer
ſich dem Ausſpruch ſo unpartheyiſcher Richter nicht
unterwerfen will, der laͤſt ein ſchlechtes Vertrauen
zu ſeiner Sache von ſich blicken, und muß kein
gut Gewiſſen haben.

Die-
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[525/0617] (o) gefallen; Sondern ich will nur anmercken, daß es ein unertraͤglicher Stoltz ſey, den Beyfall des Poͤ- bels ſo geringe zu achten, und diejenigen vor Stuͤm- per zu ſchelten, die ſich groß damit wiſſen. Die guten Scribenten ſtehen unſtreitig in dem Wahn, als wenn die Ungelehrten gantz und gar ungeſchickt ſind, von ihren herrlichen Schriften zu urtheilen: Aber ſie koͤnnten leicht inne werden, wie irrig die- ſe Einbildung ſey, wenn ſie nur belieben wolten, zu bedencken, daß insgemein davor gehalten wird, ein Frauenzimmer koͤnne nicht ſo gut von der Schoͤn- heit eines andern Frauenzimmers urtheilen, als eine Manns-Perſon. Die Urſache iſt; weil ein jedes ſich vor das ſchoͤnſte haͤlt, und andere neben ſich verachtet. Die Gelehrten gleichen, in dieſem Fall, den Weibern vollkommen, und es iſt kein eintziger, wie elend es auch um ihn beſtellet iſt, der ſich nicht in ſeinem Hertzen kluͤger duͤncken ſolte, als alle ſeine Bruͤder. Es muß alſo nothwendig, Haß und Neid, zwo Leidenſchaften, die vor an- dern einem unpartheyiſchen Urtheil entgegen ſind, unter den Gelehrten herrſchen. Die Ungelehrten ſind von dieſen Afecten frey, und urtheilen folglich unpartheyiſch von den Schriften, die ihnen vor- kommen. Solte dann ihr Urtheil nicht hoͤher zu ſchaͤtzen ſeyn, als das Urtheil einiger neidiſchen Ge- lehrten, die nichts, als ihre eigene Arbeit hoch halten, und, natuͤrlicher Weiſe, alles, was ſie nicht ge- macht haben, tadeln muͤſſen? Mich deucht, wer ſich dem Ausſpruch ſo unpartheyiſcher Richter nicht unterwerfen will, der laͤſt ein ſchlechtes Vertrauen zu ſeiner Sache von ſich blicken, und muß kein gut Gewiſſen haben. Die-

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/617>, abgerufen am 17.05.2024.