Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
Straf-
Amt zu
richten
der Klugheit und Billigkeit zu beobachten ver-
bunden ist, so liegt diese Schuldigkeit einem Ge-
lehrten in seinem Richter-Amt auch ob. Al-
le Strafe muß nach der Grösse des Verbre-
chens und nach dem Grad der Bosheit des
Missethäters eingerichtet seyn, und folglich
muß auch ein Gelehrter, wenn er sein Straf-
Amt braucht, nicht kleine Fehler so scharf, als
grobe Vergehungen bestrafen. Jhm muß
immer die Lehre in Gedancken schweben:

- - - - - Adsit
Regula peccatis quae poenas irroget
aequas
Ne scutica dignum horribili sectere fla-
gello.
Horatius Lib. I. Sat. 3.

Jn der bürgerlichen Gesellschaft werden ei-
nige Missethäter gezüchtiget zu ihrem eigenen
Besten, einige hergegen, ohne Absicht auf ihre
eigene Besserung, die nicht mehr zu hofen ist,
andern zum Schrecken, gestrafet und abge-
than. Ein Gelehrter muß also auch wohl über-
legen, ob der Scribent, den er verurtheilen
will, noch Hofnung der Besserung übrig las-
se oder nicht, und darnach die Strafe, die er
ihm zuerkennet, mildern oder schärfen.

Mit wel-
chen Scri-
benten
man gnä-
dig verfah-
ren müsse?

Jch gebe demnach zu, daß ein Gelehrter
nicht gleich hinter alle Scribenten, die eine
Züchtigung verdienen, mit Staupen-Schlä-
gen, und Landes-Verweisung, oder gar mit
dem Schwerd her seyn müsse. Es giebt Scri-

benten,

(o)
Straf-
Amt zu
richten
der Klugheit und Billigkeit zu beobachten ver-
bunden iſt, ſo liegt dieſe Schuldigkeit einem Ge-
lehrten in ſeinem Richter-Amt auch ob. Al-
le Strafe muß nach der Groͤſſe des Verbre-
chens und nach dem Grad der Bosheit des
Miſſethaͤters eingerichtet ſeyn, und folglich
muß auch ein Gelehrter, wenn er ſein Straf-
Amt braucht, nicht kleine Fehler ſo ſcharf, als
grobe Vergehungen beſtrafen. Jhm muß
immer die Lehre in Gedancken ſchweben:

‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Adſit
Regula peccatis quæ pœnas irroget
æquas
Ne ſcutica dignum horribili ſectêre fla-
gello.
Horatius Lib. I. Sat. 3.

Jn der buͤrgerlichen Geſellſchaft werden ei-
nige Miſſethaͤter gezuͤchtiget zu ihrem eigenen
Beſten, einige hergegen, ohne Abſicht auf ihre
eigene Beſſerung, die nicht mehr zu hofen iſt,
andern zum Schrecken, geſtrafet und abge-
than. Ein Gelehrter muß alſo auch wohl uͤber-
legen, ob der Scribent, den er verurtheilen
will, noch Hofnung der Beſſerung uͤbrig laſ-
ſe oder nicht, und darnach die Strafe, die er
ihm zuerkennet, mildern oder ſchaͤrfen.

Mit wel-
chen Scri-
benten
man gnaͤ-
dig veꝛfah-
ren muͤſſe?

Jch gebe demnach zu, daß ein Gelehrter
nicht gleich hinter alle Scribenten, die eine
Zuͤchtigung verdienen, mit Staupen-Schlaͤ-
gen, und Landes-Verweiſung, oder gar mit
dem Schwerd her ſeyn muͤſſe. Es giebt Scri-

benten,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0360" n="268"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/><note place="left">Straf-<lb/>
Amt zu<lb/>
richten</note>der Klugheit und Billigkeit zu beobachten ver-<lb/>
bunden i&#x017F;t, &#x017F;o liegt die&#x017F;e Schuldigkeit einem Ge-<lb/>
lehrten in &#x017F;einem Richter-Amt auch ob. Al-<lb/>
le Strafe muß nach der Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e des Verbre-<lb/>
chens und nach dem Grad der Bosheit des<lb/>
Mi&#x017F;&#x017F;etha&#x0364;ters eingerichtet &#x017F;eyn, und folglich<lb/>
muß auch ein Gelehrter, wenn er &#x017F;ein Straf-<lb/>
Amt braucht, nicht kleine Fehler &#x017F;o &#x017F;charf, als<lb/>
grobe Vergehungen be&#x017F;trafen. Jhm muß<lb/>
immer die Lehre in Gedancken &#x017F;chweben:</p><lb/>
        <cit>
          <quote> <hi rendition="#aq">&#x2012; &#x2012; &#x2012; &#x2012; &#x2012; Ad&#x017F;it<lb/>
Regula peccatis quæ p&#x0153;nas irroget<lb/><hi rendition="#et">æquas</hi><lb/>
Ne &#x017F;cutica dignum horribili &#x017F;ectêre fla-<lb/><hi rendition="#et">gello.<lb/><hi rendition="#i">Horatius Lib. I. Sat. 3.</hi></hi></hi> </quote>
        </cit><lb/>
        <p>Jn der bu&#x0364;rgerlichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft werden ei-<lb/>
nige Mi&#x017F;&#x017F;etha&#x0364;ter gezu&#x0364;chtiget zu ihrem eigenen<lb/>
Be&#x017F;ten, einige hergegen, ohne Ab&#x017F;icht auf ihre<lb/>
eigene Be&#x017F;&#x017F;erung, die nicht mehr zu hofen i&#x017F;t,<lb/>
andern zum Schrecken, ge&#x017F;trafet und abge-<lb/>
than. Ein Gelehrter muß al&#x017F;o auch wohl u&#x0364;ber-<lb/>
legen, ob der Scribent, den er verurtheilen<lb/>
will, noch Hofnung der Be&#x017F;&#x017F;erung u&#x0364;brig la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;e oder nicht, und darnach die Strafe, die er<lb/>
ihm zuerkennet, mildern oder &#x017F;cha&#x0364;rfen.</p><lb/>
        <note place="left">Mit wel-<lb/>
chen Scri-<lb/>
benten<lb/>
man gna&#x0364;-<lb/>
dig ve&#xA75B;fah-<lb/>
ren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e?</note>
        <p>Jch gebe demnach zu, daß ein Gelehrter<lb/>
nicht gleich hinter alle Scribenten, die eine<lb/>
Zu&#x0364;chtigung verdienen, mit Staupen-Schla&#x0364;-<lb/>
gen, und Landes-Verwei&#x017F;ung, oder gar mit<lb/>
dem Schwerd her &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Es giebt Scri-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">benten,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0360] (o) der Klugheit und Billigkeit zu beobachten ver- bunden iſt, ſo liegt dieſe Schuldigkeit einem Ge- lehrten in ſeinem Richter-Amt auch ob. Al- le Strafe muß nach der Groͤſſe des Verbre- chens und nach dem Grad der Bosheit des Miſſethaͤters eingerichtet ſeyn, und folglich muß auch ein Gelehrter, wenn er ſein Straf- Amt braucht, nicht kleine Fehler ſo ſcharf, als grobe Vergehungen beſtrafen. Jhm muß immer die Lehre in Gedancken ſchweben: Straf- Amt zu richten ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Adſit Regula peccatis quæ pœnas irroget æquas Ne ſcutica dignum horribili ſectêre fla- gello. Horatius Lib. I. Sat. 3. Jn der buͤrgerlichen Geſellſchaft werden ei- nige Miſſethaͤter gezuͤchtiget zu ihrem eigenen Beſten, einige hergegen, ohne Abſicht auf ihre eigene Beſſerung, die nicht mehr zu hofen iſt, andern zum Schrecken, geſtrafet und abge- than. Ein Gelehrter muß alſo auch wohl uͤber- legen, ob der Scribent, den er verurtheilen will, noch Hofnung der Beſſerung uͤbrig laſ- ſe oder nicht, und darnach die Strafe, die er ihm zuerkennet, mildern oder ſchaͤrfen. Jch gebe demnach zu, daß ein Gelehrter nicht gleich hinter alle Scribenten, die eine Zuͤchtigung verdienen, mit Staupen-Schlaͤ- gen, und Landes-Verweiſung, oder gar mit dem Schwerd her ſeyn muͤſſe. Es giebt Scri- benten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/360
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/360>, abgerufen am 25.11.2024.