Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
und sie also, nach Befinden, entweder verbie-
ten, oder frey geben. Sie kan urtheilen, ob
ein Buch mit nützlichen Lehren angefüllet, oder
ob es Sätze in sich fasse, die der allgemeinen
Ruhe zuwieder sind. Allein von der Wahr-
heit oder Falschheit einer Lehre ein Urtheil zu
fällen, das kömmt ihr nicht zu. Denn der Ver-
stand ist keinem Gesetze unterworfen. Ob
ein Buch gut, oder schlecht geschrieben; ob einer
ein alberner oder kluger und verständiger Scri-
bent sey, das kan sie nicht ausmachen. Die-
ses kömmt auf den Ausspruch der Kenner an.

Die gelehrte Welt hat also vollkommeneEin jeder
Gelehrter
hat das
Recht über
die Schrif-
ten ande-
rer zu ur-
theilen.

Gewalt, über die Schriften zu urtheilen, die
herauskommen, und ein jeder Gelehrter in-
sonderheit ist befugt sich dieser Gewalt zu be-
dienen. Diese Befugniß fliesset aus der be-
sondern Verfassung der Republick der Gelehr-
ten. Die Gelehrten haben kein sichtbares
Ober-Haupt, und folglich kein sichtbares Tri-
bunal, das über ihre Schriften urtheilen könnte.
Sie erkennen die Vernunft vor ihre Köni-
gin, die mit leiblichen Augen nicht zu sehen ist,
und es ist kein Gelehrter, der sich nicht einbilde,
seine Beherrscherin habe in seinem Gehirne ih-
ren Thron aufgeschlagen. Man kan es kei-
nem verwehren diese Einbildung zu haben, und
folglich auch keinem Gelehrten das Recht ab-
sprechen, die Ehre seiner Monarchin, mit wel-
cher er so genau vereiniget ist, und an deren Ma-
jestät er so viel Antheil hat, wieder alle diejeni-
gen zu retten, die er vor ihre Verächter hält.

Da
R 2

(o)
und ſie alſo, nach Befinden, entweder verbie-
ten, oder frey geben. Sie kan urtheilen, ob
ein Buch mit nuͤtzlichen Lehren angefuͤllet, oder
ob es Saͤtze in ſich faſſe, die der allgemeinen
Ruhe zuwieder ſind. Allein von der Wahr-
heit oder Falſchheit einer Lehre ein Urtheil zu
faͤllen, das koͤmmt ihr nicht zu. Denn der Ver-
ſtand iſt keinem Geſetze unterworfen. Ob
ein Buch gut, oder ſchlecht geſchrieben; ob einer
ein alberner oder kluger und verſtaͤndiger Scri-
bent ſey, das kan ſie nicht ausmachen. Die-
ſes koͤmmt auf den Ausſpruch der Kenner an.

Die gelehrte Welt hat alſo vollkommeneEin jeder
Gelehrter
hat das
Recht uͤber
die Schrif-
ten ande-
rer zu ur-
theilen.

Gewalt, uͤber die Schriften zu urtheilen, die
herauskommen, und ein jeder Gelehrter in-
ſonderheit iſt befugt ſich dieſer Gewalt zu be-
dienen. Dieſe Befugniß flieſſet aus der be-
ſondern Verfaſſung der Republick der Gelehr-
ten. Die Gelehrten haben kein ſichtbares
Ober-Haupt, und folglich kein ſichtbares Tri-
bunal, das uͤber ihre Schriften urtheilen koͤnnte.
Sie erkennen die Vernunft vor ihre Koͤni-
gin, die mit leiblichen Augen nicht zu ſehen iſt,
und es iſt kein Gelehrter, der ſich nicht einbilde,
ſeine Beherrſcherin habe in ſeinem Gehirne ih-
ren Thron aufgeſchlagen. Man kan es kei-
nem verwehren dieſe Einbildung zu haben, und
folglich auch keinem Gelehrten das Recht ab-
ſprechen, die Ehre ſeiner Monarchin, mit wel-
cher er ſo genau vereiniget iſt, und an deren Ma-
jeſtaͤt er ſo viel Antheil hat, wieder alle diejeni-
gen zu retten, die er vor ihre Veraͤchter haͤlt.

Da
R 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0351" n="259"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
und &#x017F;ie al&#x017F;o, nach Befinden, entweder verbie-<lb/>
ten, oder frey geben. Sie kan urtheilen, ob<lb/>
ein Buch mit nu&#x0364;tzlichen Lehren angefu&#x0364;llet, oder<lb/>
ob es Sa&#x0364;tze in &#x017F;ich fa&#x017F;&#x017F;e, die der allgemeinen<lb/>
Ruhe zuwieder &#x017F;ind. Allein von der Wahr-<lb/>
heit oder Fal&#x017F;chheit einer Lehre ein Urtheil zu<lb/>
fa&#x0364;llen, das ko&#x0364;mmt ihr nicht zu. Denn der Ver-<lb/>
&#x017F;tand i&#x017F;t keinem Ge&#x017F;etze unterworfen. Ob<lb/>
ein Buch gut, oder &#x017F;chlecht ge&#x017F;chrieben; ob einer<lb/>
ein alberner oder kluger und ver&#x017F;ta&#x0364;ndiger Scri-<lb/>
bent &#x017F;ey, das kan &#x017F;ie nicht ausmachen. Die-<lb/>
&#x017F;es ko&#x0364;mmt auf den Aus&#x017F;pruch der Kenner an.</p><lb/>
        <p>Die gelehrte Welt hat al&#x017F;o vollkommene<note place="right">Ein jeder<lb/>
Gelehrter<lb/>
hat das<lb/>
Recht u&#x0364;ber<lb/>
die Schrif-<lb/>
ten ande-<lb/>
rer zu ur-<lb/>
theilen.</note><lb/>
Gewalt, u&#x0364;ber die Schriften zu urtheilen, die<lb/>
herauskommen, und ein jeder Gelehrter in-<lb/>
&#x017F;onderheit i&#x017F;t befugt &#x017F;ich die&#x017F;er Gewalt zu be-<lb/>
dienen. Die&#x017F;e Befugniß flie&#x017F;&#x017F;et aus der be-<lb/>
&#x017F;ondern Verfa&#x017F;&#x017F;ung der Republick der Gelehr-<lb/>
ten. Die Gelehrten haben kein &#x017F;ichtbares<lb/>
Ober-Haupt, und folglich kein &#x017F;ichtbares Tri-<lb/>
bunal, das u&#x0364;ber ihre Schriften urtheilen ko&#x0364;nnte.<lb/>
Sie erkennen die Vernunft vor ihre Ko&#x0364;ni-<lb/>
gin, die mit leiblichen Augen nicht zu &#x017F;ehen i&#x017F;t,<lb/>
und es i&#x017F;t kein Gelehrter, der &#x017F;ich nicht einbilde,<lb/>
&#x017F;eine Beherr&#x017F;cherin habe in &#x017F;einem Gehirne ih-<lb/>
ren Thron aufge&#x017F;chlagen. Man kan es kei-<lb/>
nem verwehren die&#x017F;e Einbildung zu haben, und<lb/>
folglich auch keinem Gelehrten das Recht ab-<lb/>
&#x017F;prechen, die Ehre &#x017F;einer Monarchin, mit wel-<lb/>
cher er &#x017F;o genau vereiniget i&#x017F;t, und an deren Ma-<lb/>
je&#x017F;ta&#x0364;t er &#x017F;o viel Antheil hat, wieder alle diejeni-<lb/>
gen zu retten, die er vor ihre Vera&#x0364;chter ha&#x0364;lt.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Da</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[259/0351] (o) und ſie alſo, nach Befinden, entweder verbie- ten, oder frey geben. Sie kan urtheilen, ob ein Buch mit nuͤtzlichen Lehren angefuͤllet, oder ob es Saͤtze in ſich faſſe, die der allgemeinen Ruhe zuwieder ſind. Allein von der Wahr- heit oder Falſchheit einer Lehre ein Urtheil zu faͤllen, das koͤmmt ihr nicht zu. Denn der Ver- ſtand iſt keinem Geſetze unterworfen. Ob ein Buch gut, oder ſchlecht geſchrieben; ob einer ein alberner oder kluger und verſtaͤndiger Scri- bent ſey, das kan ſie nicht ausmachen. Die- ſes koͤmmt auf den Ausſpruch der Kenner an. Die gelehrte Welt hat alſo vollkommene Gewalt, uͤber die Schriften zu urtheilen, die herauskommen, und ein jeder Gelehrter in- ſonderheit iſt befugt ſich dieſer Gewalt zu be- dienen. Dieſe Befugniß flieſſet aus der be- ſondern Verfaſſung der Republick der Gelehr- ten. Die Gelehrten haben kein ſichtbares Ober-Haupt, und folglich kein ſichtbares Tri- bunal, das uͤber ihre Schriften urtheilen koͤnnte. Sie erkennen die Vernunft vor ihre Koͤni- gin, die mit leiblichen Augen nicht zu ſehen iſt, und es iſt kein Gelehrter, der ſich nicht einbilde, ſeine Beherrſcherin habe in ſeinem Gehirne ih- ren Thron aufgeſchlagen. Man kan es kei- nem verwehren dieſe Einbildung zu haben, und folglich auch keinem Gelehrten das Recht ab- ſprechen, die Ehre ſeiner Monarchin, mit wel- cher er ſo genau vereiniget iſt, und an deren Ma- jeſtaͤt er ſo viel Antheil hat, wieder alle diejeni- gen zu retten, die er vor ihre Veraͤchter haͤlt. Da Ein jeder Gelehrter hat das Recht uͤber die Schrif- ten ande- rer zu ur- theilen. R 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/351
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/351>, abgerufen am 06.05.2024.