Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
welche eben die gringe und verächtliche Sache
gering und verächtlich macht, so wird die Ver-
gleichung der grossen und ehrwürdigen nach-
theilig.

Jch erläutere das, was ich jetzo gesaget habe2) durch
Exempel.

mit Exempeln. Die Apostel Petrus und Pau-
lus sagen, des Menschen Sohn werde kommen
als ein Dieb in der Nacht. Diese Ver-
gleichung lesen wir ohne Aergerniß. War-
um? Weil die Aehnlichkeit, so die heiligen Ur-
heber derselben zwischen des Menschen Sohn
und einem Diebe wahrnehmen, nur die unver-
muthete Ankunft, und nicht eine Eigenschaft
eines Diebes betrift, die ihn just zum Diebe
macht. Ein Dieb ist darum kein Dieb, weil
er unangemeldet kömmt. Wer ärgert sich
wohl, wann ein Hof-Prediger auf der Cantzel
sagt: Ein König ist vor GOtt nichts mehr
als der geringste Bettler? Die Ursache ist die-
se: Weil man wohl siehet, daß der König
darum doch König, und der Bettler ein Bett-
ler bleibt; ob sie gleich darinn einander ähnlich
sind, daß sie beyde GOtt vor ihren Herrn er-
kennen müssen. Wolte ich aber sagen, der
König gleiche dem geringsten seiner Untertha-
nen darinn, daß er, wenn er wieder die Gesetze
handelt, eben so wohlstrafbar sey, als ein ande-
rer, so würde ich seine Majestät beleidigen, weil
diese Vergleichung den wesentlichen Unter-
scheid zwischen einem König und seinen Un-
terthanen aufhebet.

Wenn

(o)
welche eben die gringe und veraͤchtliche Sache
gering und veraͤchtlich macht, ſo wird die Ver-
gleichung der groſſen und ehrwuͤrdigen nach-
theilig.

Jch erlaͤutere das, was ich jetzo geſaget habe2) durch
Exempel.

mit Exempeln. Die Apoſtel Petrus und Pau-
lus ſagen, des Menſchen Sohn werde kommen
als ein Dieb in der Nacht. Dieſe Ver-
gleichung leſen wir ohne Aergerniß. War-
um? Weil die Aehnlichkeit, ſo die heiligen Ur-
heber derſelben zwiſchen des Menſchen Sohn
und einem Diebe wahrnehmen, nur die unver-
muthete Ankunft, und nicht eine Eigenſchaft
eines Diebes betrift, die ihn juſt zum Diebe
macht. Ein Dieb iſt darum kein Dieb, weil
er unangemeldet koͤmmt. Wer aͤrgert ſich
wohl, wann ein Hof-Prediger auf der Cantzel
ſagt: Ein Koͤnig iſt vor GOtt nichts mehr
als der geringſte Bettler? Die Urſache iſt die-
ſe: Weil man wohl ſiehet, daß der Koͤnig
darum doch Koͤnig, und der Bettler ein Bett-
ler bleibt; ob ſie gleich darinn einander aͤhnlich
ſind, daß ſie beyde GOtt vor ihren Herrn er-
kennen muͤſſen. Wolte ich aber ſagen, der
Koͤnig gleiche dem geringſten ſeiner Untertha-
nen darinn, daß er, wenn er wieder die Geſetze
handelt, eben ſo wohlſtrafbar ſey, als ein ande-
rer, ſo wuͤrde ich ſeine Majeſtaͤt beleidigen, weil
dieſe Vergleichung den weſentlichen Unter-
ſcheid zwiſchen einem Koͤnig und ſeinen Un-
terthanen aufhebet.

Wenn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0311" n="219"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
welche eben die gringe und vera&#x0364;chtliche Sache<lb/>
gering und vera&#x0364;chtlich macht, &#x017F;o wird die Ver-<lb/>
gleichung der gro&#x017F;&#x017F;en und ehrwu&#x0364;rdigen nach-<lb/>
theilig.</p><lb/>
        <p>Jch erla&#x0364;utere das, was ich jetzo ge&#x017F;aget habe<note place="right">2) durch<lb/>
Exempel.</note><lb/>
mit Exempeln. Die Apo&#x017F;tel Petrus und Pau-<lb/>
lus &#x017F;agen, des Men&#x017F;chen Sohn werde kommen<lb/><hi rendition="#fr">als ein Dieb in der Nacht.</hi> Die&#x017F;e Ver-<lb/>
gleichung le&#x017F;en wir ohne Aergerniß. War-<lb/>
um? Weil die Aehnlichkeit, &#x017F;o die heiligen Ur-<lb/>
heber der&#x017F;elben zwi&#x017F;chen des Men&#x017F;chen Sohn<lb/>
und einem Diebe wahrnehmen, nur die unver-<lb/>
muthete Ankunft, und nicht eine Eigen&#x017F;chaft<lb/>
eines Diebes betrift, die ihn ju&#x017F;t zum Diebe<lb/>
macht. Ein Dieb i&#x017F;t darum kein Dieb, weil<lb/>
er unangemeldet ko&#x0364;mmt. Wer a&#x0364;rgert &#x017F;ich<lb/>
wohl, wann ein Hof-Prediger auf der Cantzel<lb/>
&#x017F;agt: Ein Ko&#x0364;nig i&#x017F;t vor GOtt nichts mehr<lb/>
als der gering&#x017F;te Bettler? Die Ur&#x017F;ache i&#x017F;t die-<lb/>
&#x017F;e: Weil man wohl &#x017F;iehet, daß der Ko&#x0364;nig<lb/>
darum doch Ko&#x0364;nig, und der Bettler ein Bett-<lb/>
ler bleibt; ob &#x017F;ie gleich darinn einander a&#x0364;hnlich<lb/>
&#x017F;ind, daß &#x017F;ie beyde GOtt vor ihren Herrn er-<lb/>
kennen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Wolte ich aber &#x017F;agen, der<lb/>
Ko&#x0364;nig gleiche dem gering&#x017F;ten &#x017F;einer Untertha-<lb/>
nen darinn, daß er, wenn er wieder die Ge&#x017F;etze<lb/>
handelt, eben &#x017F;o wohl&#x017F;trafbar &#x017F;ey, als ein ande-<lb/>
rer, &#x017F;o wu&#x0364;rde ich &#x017F;eine Maje&#x017F;ta&#x0364;t beleidigen, weil<lb/>
die&#x017F;e Vergleichung den we&#x017F;entlichen Unter-<lb/>
&#x017F;cheid zwi&#x017F;chen einem Ko&#x0364;nig und &#x017F;einen Un-<lb/>
terthanen aufhebet.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0311] (o) welche eben die gringe und veraͤchtliche Sache gering und veraͤchtlich macht, ſo wird die Ver- gleichung der groſſen und ehrwuͤrdigen nach- theilig. Jch erlaͤutere das, was ich jetzo geſaget habe mit Exempeln. Die Apoſtel Petrus und Pau- lus ſagen, des Menſchen Sohn werde kommen als ein Dieb in der Nacht. Dieſe Ver- gleichung leſen wir ohne Aergerniß. War- um? Weil die Aehnlichkeit, ſo die heiligen Ur- heber derſelben zwiſchen des Menſchen Sohn und einem Diebe wahrnehmen, nur die unver- muthete Ankunft, und nicht eine Eigenſchaft eines Diebes betrift, die ihn juſt zum Diebe macht. Ein Dieb iſt darum kein Dieb, weil er unangemeldet koͤmmt. Wer aͤrgert ſich wohl, wann ein Hof-Prediger auf der Cantzel ſagt: Ein Koͤnig iſt vor GOtt nichts mehr als der geringſte Bettler? Die Urſache iſt die- ſe: Weil man wohl ſiehet, daß der Koͤnig darum doch Koͤnig, und der Bettler ein Bett- ler bleibt; ob ſie gleich darinn einander aͤhnlich ſind, daß ſie beyde GOtt vor ihren Herrn er- kennen muͤſſen. Wolte ich aber ſagen, der Koͤnig gleiche dem geringſten ſeiner Untertha- nen darinn, daß er, wenn er wieder die Geſetze handelt, eben ſo wohlſtrafbar ſey, als ein ande- rer, ſo wuͤrde ich ſeine Majeſtaͤt beleidigen, weil dieſe Vergleichung den weſentlichen Unter- ſcheid zwiſchen einem Koͤnig und ſeinen Un- terthanen aufhebet. 2) durch Exempel. Wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/311
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/311>, abgerufen am 03.05.2024.