Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
man alle Mühe von der Welt hat, sich einen rechten
Begrifvon selbigen zu machen.

Jch gestehe, Meine Herren, ich habe diese Mühe
überstiegen. Jch habe die Sechs deutsche Reden, so
der Herr D. Philippi durch den Druck bekannt ge-
macht hat, ja, was noch mehr ist, ich habe sein Helden-
Gedicht gelesen; und sehe also die Verdienste dieses
grossen Mannes völlig ein*). Aber, Meine Herren,
dadurch wird meine Verwirrung nicht gemindert; sie
nimmt vielmehr zu, und die Menge und die Grösse der
vortreflichen und ausnehmenden Eigenschaften, so ich
an|dem Herrn Prof. Philippi erblicke, macht mir den
Mangel der Beredsamkeit, den ich allemahl bey mir
spüre, empfindlicher als jemahls.

Wie fange ich es also an, daß ich mit Ehren wie-
der von diesem Platz komme? Jch wolte wohl den
Apollo bitten, mir schöne Gedancken einzublasen, und
das Band meiner Zunge zu lösen: Allein der stum-
me Götze vermag es nicht. Jch wolte den Herrn
Brockes wohl um seinen Mund ansprechen8): Aber
ich bin zu blöde. Er braucht ihn selber, und über
dem soll ich kein Gedichte machen. Könnte ich, wie
dort Saul den Samuel, die alten graubärtigen und
vermoderten Redner, Demosthenes und Cicero, be-
schwören, aus ihrer Gruft hervorzutreten9), so wol-

te
*) Als ich diese Rede hielte, war die berühmte Thüringische
Historie des Hrn. Prof. Philippi noch nicht aus Licht ge-
treten; ich behalte mir also vor, das Lob dieses vortref-
lichen Buches bey einer andern Gelegenheit unserer Gesell-
schaft kund zu machen.
8) S. das Heldengedicht des Hrn. Philippi p. 5.
9) S. die Sechs deutschen Reden des Hrn. Philippi p. 12.

(o)
man alle Muͤhe von der Welt hat, ſich einen rechten
Begrifvon ſelbigen zu machen.

Jch geſtehe, Meine Herren, ich habe dieſe Muͤhe
uͤberſtiegen. Jch habe die Sechs deutſche Reden, ſo
der Herr D. Philippi durch den Druck bekannt ge-
macht hat, ja, was noch mehr iſt, ich habe ſein Helden-
Gedicht geleſen; und ſehe alſo die Verdienſte dieſes
groſſen Mannes voͤllig ein*). Aber, Meine Herren,
dadurch wird meine Verwirrung nicht gemindert; ſie
nimmt vielmehr zu, und die Menge und die Groͤſſe der
vortreflichen und ausnehmenden Eigenſchaften, ſo ich
an|dem Herrn Prof. Philippi erblicke, macht mir den
Mangel der Beredſamkeit, den ich allemahl bey mir
ſpuͤre, empfindlicher als jemahls.

Wie fange ich es alſo an, daß ich mit Ehren wie-
der von dieſem Platz komme? Jch wolte wohl den
Apollo bitten, mir ſchoͤne Gedancken einzublaſen, und
das Band meiner Zunge zu loͤſen: Allein der ſtum-
me Goͤtze vermag es nicht. Jch wolte den Herrn
Brockes wohl um ſeinen Mund anſprechen8): Aber
ich bin zu bloͤde. Er braucht ihn ſelber, und uͤber
dem ſoll ich kein Gedichte machen. Koͤnnte ich, wie
dort Saul den Samuel, die alten graubaͤrtigen und
vermoderten Redner, Demoſthenes und Cicero, be-
ſchwoͤren, aus ihrer Gruft hervorzutreten9), ſo wol-

te
*) Als ich dieſe Rede hielte, war die beruͤhmte Thuͤringiſche
Hiſtorie des Hrn. Prof. Philippi noch nicht aus Licht ge-
treten; ich behalte mir alſo vor, das Lob dieſes vortref-
lichen Buches bey einer andern Gelegenheit unſerer Geſell-
ſchaft kund zu machen.
8) S. das Heldengedicht des Hrn. Philippi p. 5.
9) S. die Sechs deutſchen Reden des Hrn. Philippi p. 12.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0234" n="142"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
man alle Mu&#x0364;he von der Welt hat, &#x017F;ich einen rechten<lb/>
Begrifvon &#x017F;elbigen zu machen.</p><lb/>
            <p>Jch ge&#x017F;tehe, Meine Herren, ich habe die&#x017F;e Mu&#x0364;he<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;tiegen. Jch habe die Sechs deut&#x017F;che Reden, &#x017F;o<lb/>
der Herr <hi rendition="#aq">D.</hi> Philippi durch den Druck bekannt ge-<lb/>
macht hat, ja, was noch mehr i&#x017F;t, ich habe &#x017F;ein Helden-<lb/>
Gedicht gele&#x017F;en; und &#x017F;ehe al&#x017F;o die Verdien&#x017F;te die&#x017F;es<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;en Mannes vo&#x0364;llig ein<note place="foot" n="*)">Als ich die&#x017F;e Rede hielte, war die beru&#x0364;hmte Thu&#x0364;ringi&#x017F;che<lb/>
Hi&#x017F;torie des Hrn. Prof. Philippi noch nicht aus Licht ge-<lb/>
treten; ich behalte mir al&#x017F;o vor, das Lob die&#x017F;es vortref-<lb/>
lichen Buches bey einer andern Gelegenheit un&#x017F;erer Ge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaft kund zu machen.</note>. Aber, Meine Herren,<lb/>
dadurch wird meine Verwirrung nicht gemindert; &#x017F;ie<lb/>
nimmt vielmehr zu, und die Menge und die Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
vortreflichen und ausnehmenden Eigen&#x017F;chaften, &#x017F;o ich<lb/>
an|dem Herrn Prof. Philippi erblicke, macht mir den<lb/>
Mangel der Bered&#x017F;amkeit, den ich allemahl bey mir<lb/>
&#x017F;pu&#x0364;re, empfindlicher als jemahls.</p><lb/>
            <p>Wie fange ich es al&#x017F;o an, daß ich mit Ehren wie-<lb/>
der von die&#x017F;em Platz komme? Jch wolte wohl den<lb/>
Apollo bitten, mir &#x017F;cho&#x0364;ne Gedancken einzubla&#x017F;en, und<lb/>
das Band meiner Zunge zu lo&#x0364;&#x017F;en: Allein der &#x017F;tum-<lb/>
me Go&#x0364;tze vermag es nicht. Jch wolte den Herrn<lb/>
Brockes wohl um &#x017F;einen Mund an&#x017F;prechen<note place="foot" n="8)">S. das Heldengedicht des Hrn. Philippi <hi rendition="#aq">p.</hi> 5.</note>: Aber<lb/>
ich bin zu blo&#x0364;de. Er braucht ihn &#x017F;elber, und u&#x0364;ber<lb/>
dem &#x017F;oll ich kein Gedichte machen. Ko&#x0364;nnte ich, wie<lb/>
dort Saul den Samuel, die alten grauba&#x0364;rtigen und<lb/>
vermoderten Redner, Demo&#x017F;thenes und Cicero, be-<lb/>
&#x017F;chwo&#x0364;ren, aus ihrer Gruft hervorzutreten<note place="foot" n="9)">S. die Sechs deut&#x017F;chen Reden des Hrn. Philippi <hi rendition="#aq">p.</hi> 12.</note>, &#x017F;o wol-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">te</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[142/0234] (o) man alle Muͤhe von der Welt hat, ſich einen rechten Begrifvon ſelbigen zu machen. Jch geſtehe, Meine Herren, ich habe dieſe Muͤhe uͤberſtiegen. Jch habe die Sechs deutſche Reden, ſo der Herr D. Philippi durch den Druck bekannt ge- macht hat, ja, was noch mehr iſt, ich habe ſein Helden- Gedicht geleſen; und ſehe alſo die Verdienſte dieſes groſſen Mannes voͤllig ein *). Aber, Meine Herren, dadurch wird meine Verwirrung nicht gemindert; ſie nimmt vielmehr zu, und die Menge und die Groͤſſe der vortreflichen und ausnehmenden Eigenſchaften, ſo ich an|dem Herrn Prof. Philippi erblicke, macht mir den Mangel der Beredſamkeit, den ich allemahl bey mir ſpuͤre, empfindlicher als jemahls. Wie fange ich es alſo an, daß ich mit Ehren wie- der von dieſem Platz komme? Jch wolte wohl den Apollo bitten, mir ſchoͤne Gedancken einzublaſen, und das Band meiner Zunge zu loͤſen: Allein der ſtum- me Goͤtze vermag es nicht. Jch wolte den Herrn Brockes wohl um ſeinen Mund anſprechen 8): Aber ich bin zu bloͤde. Er braucht ihn ſelber, und uͤber dem ſoll ich kein Gedichte machen. Koͤnnte ich, wie dort Saul den Samuel, die alten graubaͤrtigen und vermoderten Redner, Demoſthenes und Cicero, be- ſchwoͤren, aus ihrer Gruft hervorzutreten 9), ſo wol- te *) Als ich dieſe Rede hielte, war die beruͤhmte Thuͤringiſche Hiſtorie des Hrn. Prof. Philippi noch nicht aus Licht ge- treten; ich behalte mir alſo vor, das Lob dieſes vortref- lichen Buches bey einer andern Gelegenheit unſerer Geſell- ſchaft kund zu machen. 8) S. das Heldengedicht des Hrn. Philippi p. 5. 9) S. die Sechs deutſchen Reden des Hrn. Philippi p. 12.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/234
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/234>, abgerufen am 08.05.2024.