gehabt, aus einander gegangen war, fieng ich an zu grübeln: nicht zwar, was doch die seltsamen Figuren meiner Fenster-Scheibe vor Geheimnisse in sich fassen möchten: Denn diesen Wahn, daß die Figuren etwas sonderliches zu bedeuten hätten, hatte mir der Rit- ter Cockburn schon benommen: sondern nur, woher dieselben entstanden?
Jch wuste, daß nichts ohne Ursache geschicht, und daß also auch ein zureichender Grund vorhanden seyn müste, warum die Figuren meiner Fenster-Scheibe so wunderbar geworden. Jch bilde mir ein, daß ich diesen Grund entdecket habe.
Sie wissen, mein Herr, daß die Fenster nur frieren wann es sehr kalt ist, und daß sie nicht frieren, als in ei- nem Zimmer, das bewohnet und geheitzet wird. Die Ursache davon ist diese, weil ein warm gemachte Stu- be mehr Ausdünstungen hat, als ein Zimmer, das nicht geheitzet wird. Jch setze demnach voraus, daß das Eis, welches wir zu Winters-Zeit an den Fen- stern wahrnehmen, von nichts anders, als von den Ausdünstungen der in dem Zimmer befindlichen Cör- per entstehet. Es ist keine Zeit des Jahres, da nicht sol- che Ausdünstungen vorhanden: Aber bey gelindem und warmem Wetter bleiben sie unsichtbar, weil nichts ist, das ihre Ausbreitung und Verfliegung ver- hindert. Sie zerflattern also in der Luft, ohne daß wir derselben anders, als etwan durch den Geruch, gewahr werden. Jm Winter aber, wann die Kälte groß ist, können sie sich nicht so ausbreiten. Sie suchen zwar dann sowohl, als sonst eine Oeffnung: aber die Kälte verwehret ihnen den Ausgang. Zurücke können sie nicht: so müssen sie also nothwendig an den Fenstern
sitzen
E
(o)
gehabt, aus einander gegangen war, fieng ich an zu gruͤbeln: nicht zwar, was doch die ſeltſamen Figuren meiner Fenſter-Scheibe vor Geheimniſſe in ſich faſſen moͤchten: Denn dieſen Wahn, daß die Figuren etwas ſonderliches zu bedeuten haͤtten, hatte mir der Rit- ter Cockburn ſchon benommen: ſondern nur, woher dieſelben entſtanden?
Jch wuſte, daß nichts ohne Urſache geſchicht, und daß alſo auch ein zureichender Grund vorhanden ſeyn muͤſte, warum die Figuren meiner Fenſter-Scheibe ſo wunderbar geworden. Jch bilde mir ein, daß ich dieſen Grund entdecket habe.
Sie wiſſen, mein Herr, daß die Fenſter nur frieren wann es ſehr kalt iſt, und daß ſie nicht frieren, als in ei- nem Zimmer, das bewohnet und geheitzet wird. Die Urſache davon iſt dieſe, weil ein warm gemachte Stu- be mehr Ausduͤnſtungen hat, als ein Zimmer, das nicht geheitzet wird. Jch ſetze demnach voraus, daß das Eis, welches wir zu Winters-Zeit an den Fen- ſtern wahrnehmen, von nichts anders, als von den Ausduͤnſtungen der in dem Zimmer befindlichen Coͤr- per entſtehet. Es iſt keine Zeit des Jahres, da nicht ſol- che Ausduͤnſtungen vorhanden: Aber bey gelindem und warmem Wetter bleiben ſie unſichtbar, weil nichts iſt, das ihre Ausbreitung und Verfliegung ver- hindert. Sie zerflattern alſo in der Luft, ohne daß wir derſelbẽ anders, als etwan durch den Geruch, gewahr werden. Jm Winter aber, wann die Kaͤlte groß iſt, koͤnnen ſie ſich nicht ſo ausbreiten. Sie ſuchen zwar dann ſowohl, als ſonſt eine Oeffnung: aber die Kaͤlte verwehret ihnen den Ausgang. Zuruͤcke koͤnnen ſie nicht: ſo muͤſſen ſie alſo nothwendig an den Fenſtern
ſitzen
E
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0157"n="65"/><fwplace="top"type="header">(<hirendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
gehabt, aus einander gegangen war, fieng ich an zu<lb/>
gruͤbeln: nicht zwar, was doch die ſeltſamen Figuren<lb/>
meiner Fenſter-Scheibe vor Geheimniſſe in ſich faſſen<lb/>
moͤchten: Denn dieſen Wahn, daß die Figuren etwas<lb/>ſonderliches zu bedeuten haͤtten, hatte mir der Rit-<lb/>
ter Cockburn ſchon benommen: ſondern nur, woher<lb/>
dieſelben entſtanden?</p><lb/><p>Jch wuſte, daß nichts ohne Urſache geſchicht, und<lb/>
daß alſo auch ein zureichender Grund vorhanden ſeyn<lb/>
muͤſte, warum die Figuren meiner Fenſter-Scheibe<lb/>ſo wunderbar geworden. Jch bilde mir ein, daß ich<lb/>
dieſen Grund entdecket habe.</p><lb/><p>Sie wiſſen, mein Herr, daß die Fenſter nur frieren<lb/>
wann es ſehr kalt iſt, und daß ſie nicht frieren, als in ei-<lb/>
nem Zimmer, das bewohnet und geheitzet wird. Die<lb/>
Urſache davon iſt dieſe, weil ein warm gemachte Stu-<lb/>
be mehr Ausduͤnſtungen hat, als ein Zimmer, das<lb/>
nicht geheitzet wird. Jch ſetze demnach voraus, daß<lb/>
das Eis, welches wir zu Winters-Zeit an den Fen-<lb/>ſtern wahrnehmen, von nichts anders, als von den<lb/>
Ausduͤnſtungen der in dem Zimmer befindlichen Coͤr-<lb/>
per entſtehet. Es iſt keine Zeit des Jahres, da nicht ſol-<lb/>
che Ausduͤnſtungen vorhanden: Aber bey gelindem<lb/>
und warmem Wetter bleiben ſie unſichtbar, weil<lb/>
nichts iſt, das ihre Ausbreitung und Verfliegung ver-<lb/>
hindert. Sie zerflattern alſo in der Luft, ohne daß wir<lb/>
derſelbẽ anders, als etwan durch den Geruch, gewahr<lb/>
werden. Jm Winter aber, wann die Kaͤlte groß iſt,<lb/>
koͤnnen ſie ſich nicht ſo ausbreiten. Sie ſuchen zwar<lb/>
dann ſowohl, als ſonſt eine Oeffnung: aber die Kaͤlte<lb/>
verwehret ihnen den Ausgang. Zuruͤcke koͤnnen ſie<lb/>
nicht: ſo muͤſſen ſie alſo nothwendig an den Fenſtern<lb/><fwplace="bottom"type="sig">E</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſitzen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[65/0157]
(o)
gehabt, aus einander gegangen war, fieng ich an zu
gruͤbeln: nicht zwar, was doch die ſeltſamen Figuren
meiner Fenſter-Scheibe vor Geheimniſſe in ſich faſſen
moͤchten: Denn dieſen Wahn, daß die Figuren etwas
ſonderliches zu bedeuten haͤtten, hatte mir der Rit-
ter Cockburn ſchon benommen: ſondern nur, woher
dieſelben entſtanden?
Jch wuſte, daß nichts ohne Urſache geſchicht, und
daß alſo auch ein zureichender Grund vorhanden ſeyn
muͤſte, warum die Figuren meiner Fenſter-Scheibe
ſo wunderbar geworden. Jch bilde mir ein, daß ich
dieſen Grund entdecket habe.
Sie wiſſen, mein Herr, daß die Fenſter nur frieren
wann es ſehr kalt iſt, und daß ſie nicht frieren, als in ei-
nem Zimmer, das bewohnet und geheitzet wird. Die
Urſache davon iſt dieſe, weil ein warm gemachte Stu-
be mehr Ausduͤnſtungen hat, als ein Zimmer, das
nicht geheitzet wird. Jch ſetze demnach voraus, daß
das Eis, welches wir zu Winters-Zeit an den Fen-
ſtern wahrnehmen, von nichts anders, als von den
Ausduͤnſtungen der in dem Zimmer befindlichen Coͤr-
per entſtehet. Es iſt keine Zeit des Jahres, da nicht ſol-
che Ausduͤnſtungen vorhanden: Aber bey gelindem
und warmem Wetter bleiben ſie unſichtbar, weil
nichts iſt, das ihre Ausbreitung und Verfliegung ver-
hindert. Sie zerflattern alſo in der Luft, ohne daß wir
derſelbẽ anders, als etwan durch den Geruch, gewahr
werden. Jm Winter aber, wann die Kaͤlte groß iſt,
koͤnnen ſie ſich nicht ſo ausbreiten. Sie ſuchen zwar
dann ſowohl, als ſonſt eine Oeffnung: aber die Kaͤlte
verwehret ihnen den Ausgang. Zuruͤcke koͤnnen ſie
nicht: ſo muͤſſen ſie alſo nothwendig an den Fenſtern
ſitzen
E
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/157>, abgerufen am 25.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.