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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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aktives, es könnte also sofort positive Kulturresultate zeitigen.
Dann aber wäre die Entscheidung über die weiblichen Kandidaten
in die Hand der Frauen gelegt, und diese hätten die Möglichkeit,
die kommunalpolitischen Fachleute, die sie in ihrer sozialen
Arbeit längst entwickelt haben, an die richtigen Plätze zu bringen.
Nehmen wir an, daß in einer Großstadt auch nur 10 solcher Stadt-
verordnetensitze geschaffen würden, so könnten geschulte Vertrete-
rinnen der Armen- und Waisenpflege, des Volks- und höheren
Schulwesens, des Fortbildungsschulwesens, des Mutterschutzes,
der Ernährungsfrage, der Nüchternheitsbewegung, der Wohnungs-
fürsorge, der Krankenpflege sofort ihre Arbeit an verantwort-
licher Stelle
für die Frau, für die Familie, für die Stadt-
gemeinde beginnen. Das muß angestrebt werden.

Daß die Frauen aller Schichten sich ohne großen Kampf ver-
ständigen werden über die Auswahl der Kandidatinnen, kann man
nach der glücklich gelungenen Zusammenarbeit in der Kriegshilfe
wohl hoffen. Keiner von uns wird die Arbeiterin missen wollen,
und die Arbeiterinnen wieder haben einsehen gelernt, daß unter
den vorgebildeten Frauen des Bürgerstandes viele sind, die die
Jnteressen der Arbeiterinnen als ihre Jnteressen ansehen und ver-
treten.

Nicht zu unterschätzen wäre auch, daß die Frauen beim Ein-
tritt in die politische Arbeit der Kommune dem Hader der Wahl-
kämpfe der Männer ferner gerückt würden. Die Frauen können
ruhiger, weniger mitfortgerissen, das innere Parteigetriebe in
unseren Stadtverordneten-Versammlungen studieren und sich
genau orientieren, ehe sie handeln. Diese Schonzeit ist ihnen, um
der Sache willen, dringend zu wünschen.

Das Gesetz aber müßte die Bestimmung enthalten, daß es
nach 15 Jahren einer Revision unterworfen
werden muß
. Dann möge die Erfahrung das Wort haben.

Jch denke dabei, daß die Frauen nach dem heutigen Kommunal-
wahlrecht mit seinen drei Abteilungen wählen. Jede Neuordnung
hier ruft Parteikämpfe herauf, die den Charakter eines Frauen-
wahlgesetzes fälschen würden. Wir kennen diese Dinge aus dem
Auslande. Unser Jnteresse ist: Es bleibt alles, wie es ist; das
Neue ist allein: die Frau in der Stadtverordneten-Versamm-
lung. Nur darum geht der Kampf.

Daß den Ehefrauen, die ja heute nicht selbständig Steuern
leisten, ein Wahlrecht gegeben werden müßte, ist notwendig in Rück-
sicht auf die Bedeutung der Familie und in Rücksicht auf die Massen

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aktives, es könnte also sofort positive Kulturresultate zeitigen.
Dann aber wäre die Entscheidung über die weiblichen Kandidaten
in die Hand der Frauen gelegt, und diese hätten die Möglichkeit,
die kommunalpolitischen Fachleute, die sie in ihrer sozialen
Arbeit längst entwickelt haben, an die richtigen Plätze zu bringen.
Nehmen wir an, daß in einer Großstadt auch nur 10 solcher Stadt-
verordnetensitze geschaffen würden, so könnten geschulte Vertrete-
rinnen der Armen- und Waisenpflege, des Volks- und höheren
Schulwesens, des Fortbildungsschulwesens, des Mutterschutzes,
der Ernährungsfrage, der Nüchternheitsbewegung, der Wohnungs-
fürsorge, der Krankenpflege sofort ihre Arbeit an verantwort-
licher Stelle
für die Frau, für die Familie, für die Stadt-
gemeinde beginnen. Das muß angestrebt werden.

Daß die Frauen aller Schichten sich ohne großen Kampf ver-
ständigen werden über die Auswahl der Kandidatinnen, kann man
nach der glücklich gelungenen Zusammenarbeit in der Kriegshilfe
wohl hoffen. Keiner von uns wird die Arbeiterin missen wollen,
und die Arbeiterinnen wieder haben einsehen gelernt, daß unter
den vorgebildeten Frauen des Bürgerstandes viele sind, die die
Jnteressen der Arbeiterinnen als ihre Jnteressen ansehen und ver-
treten.

Nicht zu unterschätzen wäre auch, daß die Frauen beim Ein-
tritt in die politische Arbeit der Kommune dem Hader der Wahl-
kämpfe der Männer ferner gerückt würden. Die Frauen können
ruhiger, weniger mitfortgerissen, das innere Parteigetriebe in
unseren Stadtverordneten-Versammlungen studieren und sich
genau orientieren, ehe sie handeln. Diese Schonzeit ist ihnen, um
der Sache willen, dringend zu wünschen.

Das Gesetz aber müßte die Bestimmung enthalten, daß es
nach 15 Jahren einer Revision unterworfen
werden muß
. Dann möge die Erfahrung das Wort haben.

Jch denke dabei, daß die Frauen nach dem heutigen Kommunal-
wahlrecht mit seinen drei Abteilungen wählen. Jede Neuordnung
hier ruft Parteikämpfe herauf, die den Charakter eines Frauen-
wahlgesetzes fälschen würden. Wir kennen diese Dinge aus dem
Auslande. Unser Jnteresse ist: Es bleibt alles, wie es ist; das
Neue ist allein: die Frau in der Stadtverordneten-Versamm-
lung. Nur darum geht der Kampf.

Daß den Ehefrauen, die ja heute nicht selbständig Steuern
leisten, ein Wahlrecht gegeben werden müßte, ist notwendig in Rück-
sicht auf die Bedeutung der Familie und in Rücksicht auf die Massen

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[49/0049] aktives, es könnte also sofort positive Kulturresultate zeitigen. Dann aber wäre die Entscheidung über die weiblichen Kandidaten in die Hand der Frauen gelegt, und diese hätten die Möglichkeit, die kommunalpolitischen Fachleute, die sie in ihrer sozialen Arbeit längst entwickelt haben, an die richtigen Plätze zu bringen. Nehmen wir an, daß in einer Großstadt auch nur 10 solcher Stadt- verordnetensitze geschaffen würden, so könnten geschulte Vertrete- rinnen der Armen- und Waisenpflege, des Volks- und höheren Schulwesens, des Fortbildungsschulwesens, des Mutterschutzes, der Ernährungsfrage, der Nüchternheitsbewegung, der Wohnungs- fürsorge, der Krankenpflege sofort ihre Arbeit an verantwort- licher Stelle für die Frau, für die Familie, für die Stadt- gemeinde beginnen. Das muß angestrebt werden. Daß die Frauen aller Schichten sich ohne großen Kampf ver- ständigen werden über die Auswahl der Kandidatinnen, kann man nach der glücklich gelungenen Zusammenarbeit in der Kriegshilfe wohl hoffen. Keiner von uns wird die Arbeiterin missen wollen, und die Arbeiterinnen wieder haben einsehen gelernt, daß unter den vorgebildeten Frauen des Bürgerstandes viele sind, die die Jnteressen der Arbeiterinnen als ihre Jnteressen ansehen und ver- treten. Nicht zu unterschätzen wäre auch, daß die Frauen beim Ein- tritt in die politische Arbeit der Kommune dem Hader der Wahl- kämpfe der Männer ferner gerückt würden. Die Frauen können ruhiger, weniger mitfortgerissen, das innere Parteigetriebe in unseren Stadtverordneten-Versammlungen studieren und sich genau orientieren, ehe sie handeln. Diese Schonzeit ist ihnen, um der Sache willen, dringend zu wünschen. Das Gesetz aber müßte die Bestimmung enthalten, daß es nach 15 Jahren einer Revision unterworfen werden muß. Dann möge die Erfahrung das Wort haben. Jch denke dabei, daß die Frauen nach dem heutigen Kommunal- wahlrecht mit seinen drei Abteilungen wählen. Jede Neuordnung hier ruft Parteikämpfe herauf, die den Charakter eines Frauen- wahlgesetzes fälschen würden. Wir kennen diese Dinge aus dem Auslande. Unser Jnteresse ist: Es bleibt alles, wie es ist; das Neue ist allein: die Frau in der Stadtverordneten-Versamm- lung. Nur darum geht der Kampf. Daß den Ehefrauen, die ja heute nicht selbständig Steuern leisten, ein Wahlrecht gegeben werden müßte, ist notwendig in Rück- sicht auf die Bedeutung der Familie und in Rücksicht auf die Massen   4

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/49>, abgerufen am 23.11.2024.