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Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915.

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als Ansiedlungsgesetz, Moorschutzgesetz, Wassergesetz, ebenso die
Sorge für die geradezu vorbildliche Finanzlage Preußens, denn:
Geld ist Macht.

Mit scharfem und mißtrauischem Blick aber verfolgen die
Konservativen jede Bewegung, die aus den Tiefen des Volkes auf-
steigt und auch den Anspruch auf Macht erhebt. Sofort fürchten
sie für die Grundlagen des Staates, und mit eiserner Konsequenz
erfolgt der Gegendruck. Erhaltung des Bestehenden,
Verlangsamung jedes Fortschritts ist ihre
Losung.

Nun sahen sie sich in der politischen Frauenbewegung einer
Schar von Frauen gegenüber, die einfach alles Bestehende auf dem
Gebiete des Frauenlebens als veraltet und beseitigungswürdig be-
zeichnete, und die nichts anderes als eine Revolution der Gesellschaft
forderte. Zugleich aber gingen diese Frauen Arm in Arm mit
ihren schärfsten politischen Gegnern, den Demokraten. Kann man
es ihnen verdenken, wenn sie dieser Bewegung ihr "Niemals!" ent-
gegenwarfen, fest überzeugt, daß sie die Erschütterung des Staates
bedeuten und die Zahl ihrer politischen Gegner verdoppeln müsse.

Dieser letzte Schluß aber ist grundfalsch, denn ihm fehlt
jede psychologische und historische Begründung. Wer in bezug auf
die zukünftige politische Stellung der Masse der Frauen ein Urteil
fällen will, muß tiefer graben. Er muß die Tatsache des Geschlechts-
charakters der Frau scharf ins Auge fassen. Eine Frau mit einem
Kinde ist eine leichtverletzliche und schwer bewegliche Organisation.
Sie wird und muß immer den Wechsel fürchten. Mit dem
Bestehenden hat sie sich eingerichtet, das Bestehende gibt ihr Sicher-
heit. Daher waren die Frauen, so weit wir zurückblicken
können, das konservative Element im Staate. Sprache, Sagen,
Sitten hielten die Frau länger fest als der Mann, alle Sammler
und Forscher wissen davon zu berichten. Wer nun auf 25 Jahre
des Kampfes für eine grundsätzlich neue Gestaltung des Frauen-
lebens zurückblickt, der wird diese historische Erfahrung nur be-
stätigen. Die Masse ist konservativ. Dabei ist nicht bloß die
Masse der Durchschnittsindividuen gemeint, nein, geradezu unbe-
greiflich ist es, wie oft bedeutende und denkende Frauen mit dem
völlig gleichen Haß sich gegen jeden Gedanken wenden, der den
überkommenen Zuständen an die Wurzel geht. Nur aus dem Ge-
biete des natürlichen Lebens, aus dem Geschlechtscharakter der
Frau ist eine Erklärung für diese jeden großen Fortschritt
hindernde Erscheinung zu finden. Politische Erfahrungen, die man

als Ansiedlungsgesetz, Moorschutzgesetz, Wassergesetz, ebenso die
Sorge für die geradezu vorbildliche Finanzlage Preußens, denn:
Geld ist Macht.

Mit scharfem und mißtrauischem Blick aber verfolgen die
Konservativen jede Bewegung, die aus den Tiefen des Volkes auf-
steigt und auch den Anspruch auf Macht erhebt. Sofort fürchten
sie für die Grundlagen des Staates, und mit eiserner Konsequenz
erfolgt der Gegendruck. Erhaltung des Bestehenden,
Verlangsamung jedes Fortschritts ist ihre
Losung.

Nun sahen sie sich in der politischen Frauenbewegung einer
Schar von Frauen gegenüber, die einfach alles Bestehende auf dem
Gebiete des Frauenlebens als veraltet und beseitigungswürdig be-
zeichnete, und die nichts anderes als eine Revolution der Gesellschaft
forderte. Zugleich aber gingen diese Frauen Arm in Arm mit
ihren schärfsten politischen Gegnern, den Demokraten. Kann man
es ihnen verdenken, wenn sie dieser Bewegung ihr „Niemals!‟ ent-
gegenwarfen, fest überzeugt, daß sie die Erschütterung des Staates
bedeuten und die Zahl ihrer politischen Gegner verdoppeln müsse.

Dieser letzte Schluß aber ist grundfalsch, denn ihm fehlt
jede psychologische und historische Begründung. Wer in bezug auf
die zukünftige politische Stellung der Masse der Frauen ein Urteil
fällen will, muß tiefer graben. Er muß die Tatsache des Geschlechts-
charakters der Frau scharf ins Auge fassen. Eine Frau mit einem
Kinde ist eine leichtverletzliche und schwer bewegliche Organisation.
Sie wird und muß immer den Wechsel fürchten. Mit dem
Bestehenden hat sie sich eingerichtet, das Bestehende gibt ihr Sicher-
heit. Daher waren die Frauen, so weit wir zurückblicken
können, das konservative Element im Staate. Sprache, Sagen,
Sitten hielten die Frau länger fest als der Mann, alle Sammler
und Forscher wissen davon zu berichten. Wer nun auf 25 Jahre
des Kampfes für eine grundsätzlich neue Gestaltung des Frauen-
lebens zurückblickt, der wird diese historische Erfahrung nur be-
stätigen. Die Masse ist konservativ. Dabei ist nicht bloß die
Masse der Durchschnittsindividuen gemeint, nein, geradezu unbe-
greiflich ist es, wie oft bedeutende und denkende Frauen mit dem
völlig gleichen Haß sich gegen jeden Gedanken wenden, der den
überkommenen Zuständen an die Wurzel geht. Nur aus dem Ge-
biete des natürlichen Lebens, aus dem Geschlechtscharakter der
Frau ist eine Erklärung für diese jeden großen Fortschritt
hindernde Erscheinung zu finden. Politische Erfahrungen, die man

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-05-11T12:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-05-11T12:53:44Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Lischnewska, Maria: Die deutsche Frauenstimmrechtsbewegung zwischen Krieg und Frieden. Berlin, 1915, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lischnewska_frauenstimmrechtsbewegung_1915/20>, abgerufen am 24.11.2024.