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Lindemann, Anna: Die Frauenstimmrechtsbewegung in Deutschland. Leipzig und Berlin, 1913.

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Gründung des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht
und der Einberuferin auch brachte -- sie schlief nicht mehr ein. 1895
reichte Minna Cauer mit Lily v. Gyzicki und Adele Gerhard die erste
Petition aus bürgerlichen Frauenkreisen um das politische Vereinsrecht
ein. Jm gleichen Jahre gründete sie ihre Zeitschrift "Die Frauenbe-
wegung", die von Anfang an für das Frauenstimmrecht eintrat und sich
die politische Schulung der Frauen zum Ziel setzte. Die 1899 geschaffene
"Parlamentarische Beilage", von Dr. Anita Augspurg redigiert, diente
besonders diesem Zweck. 1899 nahm der neugegründete Verband fort-
schrittlicher Frauenvereine das Frauenstimmrecht als eine seiner Haupt-
forderungen auf.

Jmmer noch fehlte aber die Organisation, die all dieses Streben
umfassen sollte, und die allein ihm neue Anhänger in größerer Zahl
gewinnen und auch einen Erfolg nach außen ermöglichen konnte. Da
erging aus Amerika die Einladung an die Frauenstimmrechtsvereine
aller Länder, in Washington zusammenzukommen, um über die Grün-
dung einer internationalen Vereinigung zu beraten. Unter dem Druck
der Empörung über die gänzliche politische Rechtlosigkeit der deutschen
Frauen, die ihnen sogar den Zusammenschluß in einem Frauenstimm-
rechtsverein nicht zu gestatten und sie nun zu zwingen schien, beiseite
zu stehen, wenn sich die Frauen aller anderen Kulturländer die Hand
reichten zum gemeinsamen Kampf um ihre politische Befreiung, kam
Dr. Anita Augspurg um die Weihnachtszeit 1901 auf den glücklichen
Gedanken, daß auch in diesem Falle, wie so oft schon, die Freiheit in
einem der kleineren Bundesstaaten einen Hort finden könne. So grün-
dete sie am 1. Januar 1902 in Hamburg mit Lida Gustava Heymann
und Minna Cauer den "Deutschen Verein für Frauenstimm-
recht
", dessen Vorstande alsbald beitraten Charlotte Engel-Reimers,
Dr. Käthe Schirmacher und Adelheid v. Welczeck. Seiner ersten Satzung
zufolge hatte der Verein den Zweck, den Frauen die Ausübung der poli-
tischen Rechte zugänglich zu machen. Jn dieser Absicht wollte er 1. die
Frauen derjenigen deutschen Länder, Gemeinden und Berufsklassen,
welche im Besitz irgendwelcher politischer oder kommunaler, beruflicher
oder kirchlicher Stimmrechte sind, zur Ausübung derselben veranlassen,
2. für die deutschen Frauen die politische Gleichberechtigung mit dem
Manne auf allen Gebieten zu erlangen suchen.

So spät er auch auf dem Plan erschienen war -- der erste Geschäfts-
bericht des jungen Vereins über die Zeit vom 1. Januar 1902 bis 1. Ok-
tober 1903 zeigt, welche Fülle von Arbeit seiner gewartet hatte, und mit
welcher Energie er sich an ihre Bewältigung machte. Jn sechs großen
öffentlichen Versammlungen begründete er die Forderungen der Frauen,

Gründung des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht
und der Einberuferin auch brachte — sie schlief nicht mehr ein. 1895
reichte Minna Cauer mit Lily v. Gyzicki und Adele Gerhard die erste
Petition aus bürgerlichen Frauenkreisen um das politische Vereinsrecht
ein. Jm gleichen Jahre gründete sie ihre Zeitschrift „Die Frauenbe-
wegung“, die von Anfang an für das Frauenstimmrecht eintrat und sich
die politische Schulung der Frauen zum Ziel setzte. Die 1899 geschaffene
„Parlamentarische Beilage“, von Dr. Anita Augspurg redigiert, diente
besonders diesem Zweck. 1899 nahm der neugegründete Verband fort-
schrittlicher Frauenvereine das Frauenstimmrecht als eine seiner Haupt-
forderungen auf.

Jmmer noch fehlte aber die Organisation, die all dieses Streben
umfassen sollte, und die allein ihm neue Anhänger in größerer Zahl
gewinnen und auch einen Erfolg nach außen ermöglichen konnte. Da
erging aus Amerika die Einladung an die Frauenstimmrechtsvereine
aller Länder, in Washington zusammenzukommen, um über die Grün-
dung einer internationalen Vereinigung zu beraten. Unter dem Druck
der Empörung über die gänzliche politische Rechtlosigkeit der deutschen
Frauen, die ihnen sogar den Zusammenschluß in einem Frauenstimm-
rechtsverein nicht zu gestatten und sie nun zu zwingen schien, beiseite
zu stehen, wenn sich die Frauen aller anderen Kulturländer die Hand
reichten zum gemeinsamen Kampf um ihre politische Befreiung, kam
Dr. Anita Augspurg um die Weihnachtszeit 1901 auf den glücklichen
Gedanken, daß auch in diesem Falle, wie so oft schon, die Freiheit in
einem der kleineren Bundesstaaten einen Hort finden könne. So grün-
dete sie am 1. Januar 1902 in Hamburg mit Lida Gustava Heymann
und Minna Cauer den „Deutschen Verein für Frauenstimm-
recht
“, dessen Vorstande alsbald beitraten Charlotte Engel-Reimers,
Dr. Käthe Schirmacher und Adelheid v. Welczeck. Seiner ersten Satzung
zufolge hatte der Verein den Zweck, den Frauen die Ausübung der poli-
tischen Rechte zugänglich zu machen. Jn dieser Absicht wollte er 1. die
Frauen derjenigen deutschen Länder, Gemeinden und Berufsklassen,
welche im Besitz irgendwelcher politischer oder kommunaler, beruflicher
oder kirchlicher Stimmrechte sind, zur Ausübung derselben veranlassen,
2. für die deutschen Frauen die politische Gleichberechtigung mit dem
Manne auf allen Gebieten zu erlangen suchen.

So spät er auch auf dem Plan erschienen war — der erste Geschäfts-
bericht des jungen Vereins über die Zeit vom 1. Januar 1902 bis 1. Ok-
tober 1903 zeigt, welche Fülle von Arbeit seiner gewartet hatte, und mit
welcher Energie er sich an ihre Bewältigung machte. Jn sechs großen
öffentlichen Versammlungen begründete er die Forderungen der Frauen,

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[160/0003] Gründung des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht und der Einberuferin auch brachte — sie schlief nicht mehr ein. 1895 reichte Minna Cauer mit Lily v. Gyzicki und Adele Gerhard die erste Petition aus bürgerlichen Frauenkreisen um das politische Vereinsrecht ein. Jm gleichen Jahre gründete sie ihre Zeitschrift „Die Frauenbe- wegung“, die von Anfang an für das Frauenstimmrecht eintrat und sich die politische Schulung der Frauen zum Ziel setzte. Die 1899 geschaffene „Parlamentarische Beilage“, von Dr. Anita Augspurg redigiert, diente besonders diesem Zweck. 1899 nahm der neugegründete Verband fort- schrittlicher Frauenvereine das Frauenstimmrecht als eine seiner Haupt- forderungen auf. Jmmer noch fehlte aber die Organisation, die all dieses Streben umfassen sollte, und die allein ihm neue Anhänger in größerer Zahl gewinnen und auch einen Erfolg nach außen ermöglichen konnte. Da erging aus Amerika die Einladung an die Frauenstimmrechtsvereine aller Länder, in Washington zusammenzukommen, um über die Grün- dung einer internationalen Vereinigung zu beraten. Unter dem Druck der Empörung über die gänzliche politische Rechtlosigkeit der deutschen Frauen, die ihnen sogar den Zusammenschluß in einem Frauenstimm- rechtsverein nicht zu gestatten und sie nun zu zwingen schien, beiseite zu stehen, wenn sich die Frauen aller anderen Kulturländer die Hand reichten zum gemeinsamen Kampf um ihre politische Befreiung, kam Dr. Anita Augspurg um die Weihnachtszeit 1901 auf den glücklichen Gedanken, daß auch in diesem Falle, wie so oft schon, die Freiheit in einem der kleineren Bundesstaaten einen Hort finden könne. So grün- dete sie am 1. Januar 1902 in Hamburg mit Lida Gustava Heymann und Minna Cauer den „Deutschen Verein für Frauenstimm- recht“, dessen Vorstande alsbald beitraten Charlotte Engel-Reimers, Dr. Käthe Schirmacher und Adelheid v. Welczeck. Seiner ersten Satzung zufolge hatte der Verein den Zweck, den Frauen die Ausübung der poli- tischen Rechte zugänglich zu machen. Jn dieser Absicht wollte er 1. die Frauen derjenigen deutschen Länder, Gemeinden und Berufsklassen, welche im Besitz irgendwelcher politischer oder kommunaler, beruflicher oder kirchlicher Stimmrechte sind, zur Ausübung derselben veranlassen, 2. für die deutschen Frauen die politische Gleichberechtigung mit dem Manne auf allen Gebieten zu erlangen suchen. So spät er auch auf dem Plan erschienen war — der erste Geschäfts- bericht des jungen Vereins über die Zeit vom 1. Januar 1902 bis 1. Ok- tober 1903 zeigt, welche Fülle von Arbeit seiner gewartet hatte, und mit welcher Energie er sich an ihre Bewältigung machte. Jn sechs großen öffentlichen Versammlungen begründete er die Forderungen der Frauen,

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-01-26T16:17:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-01-26T16:17:50Z)

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Zitationshilfe: Lindemann, Anna: Die Frauenstimmrechtsbewegung in Deutschland. Leipzig und Berlin, 1913, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lindemann_frauenstimmrechtsbewegung_1913/3>, abgerufen am 28.03.2024.