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Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.

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Viele grössere Vögel pflegen stets beim Auffliegen durch
Hüpfen in grossen Sätzen sich erst die erforderliche Vorwärts-
geschwindigkeit zu geben. Wer jemals einen Reiher, Kranich
oder anderen grösseren Sumpfvogel bei Windstille auffliegen
sah, dem wird dieses charakteristische, von Flügelschlägen
begleitete Hüpfen unvergesslich bleiben.

Endlich nehmen wir an vielen Vögeln eine dritte Flugart
wahr, bei welcher die Kraftanstrengung noch viel geringer
sein muss, indem die Flügel eigentlich nicht auf- und nieder-
geschlagen werden, sondern sich nur wenig drehen und
wenden. Der Vogel scheint mit den Flügeln auf der Luft zu
ruhen und die Flügelstellung nur von Zeit zu Zeit zu ver-
bessern, um sie der Luft und seiner Flugrichtung anzupassen.

Soviel bis jetzt bekannt, ist zu einem derartigen dauern-
den Schweben ohne Sinken, das vielfach in kreisender Form
geschieht, eine gewisse Windstärke erforderlich; denn alle
Vögel suchen zu derartigen Bewegungen höhere Luftregionen
auf, in denen der Wind stärker und ungehinderter weht.

Einen deutlichen Beweis hierfür liefern beispielsweise die
in einer Waldlichtung aufsteigenden Raubvögel. Sie erheben
sich mit mühsamen Flügelschlägen, da in der Lichtung fast
Windstille herrscht. Sowie sie aber die Höhe der Baum-
kronen erreicht haben, über denen der Wind ungehindert hin-
streicht, beginnen sie ihre schönen Kreise zu ziehen. Sie
halten dann die Flügel still und fallen nicht etwa wieder
herab, sondern schrauben sich höher und höher, bis sie oft
kaum noch mit blossem Auge erkennbar sind.

Ein solcher Schwebeflug ist nicht zu verwechseln mit
dem Sichtreibenlassen, das man an allen Vögeln bemerkt,
wenn dieselben die ihnen augenblicklich innewohnende leben-
dige Kraft ausnutzen und mit stillgehaltenen Flügeln dahin-
schiessen, meistens allmählich sinkend und an Geschwindigkeit
abnehmend, bis sie sich setzen. Das letzte Ende einer so
durchflogenen Strecke und der letzte Rest der lebendigen
Kraft wird häufig dazu benutzt, eine kleine Hebung auszu-

Viele gröſsere Vögel pflegen stets beim Auffliegen durch
Hüpfen in groſsen Sätzen sich erst die erforderliche Vorwärts-
geschwindigkeit zu geben. Wer jemals einen Reiher, Kranich
oder anderen gröſseren Sumpfvogel bei Windstille auffliegen
sah, dem wird dieses charakteristische, von Flügelschlägen
begleitete Hüpfen unvergeſslich bleiben.

Endlich nehmen wir an vielen Vögeln eine dritte Flugart
wahr, bei welcher die Kraftanstrengung noch viel geringer
sein muſs, indem die Flügel eigentlich nicht auf- und nieder-
geschlagen werden, sondern sich nur wenig drehen und
wenden. Der Vogel scheint mit den Flügeln auf der Luft zu
ruhen und die Flügelstellung nur von Zeit zu Zeit zu ver-
bessern, um sie der Luft und seiner Flugrichtung anzupassen.

Soviel bis jetzt bekannt, ist zu einem derartigen dauern-
den Schweben ohne Sinken, das vielfach in kreisender Form
geschieht, eine gewisse Windstärke erforderlich; denn alle
Vögel suchen zu derartigen Bewegungen höhere Luftregionen
auf, in denen der Wind stärker und ungehinderter weht.

Einen deutlichen Beweis hierfür liefern beispielsweise die
in einer Waldlichtung aufsteigenden Raubvögel. Sie erheben
sich mit mühsamen Flügelschlägen, da in der Lichtung fast
Windstille herrscht. Sowie sie aber die Höhe der Baum-
kronen erreicht haben, über denen der Wind ungehindert hin-
streicht, beginnen sie ihre schönen Kreise zu ziehen. Sie
halten dann die Flügel still und fallen nicht etwa wieder
herab, sondern schrauben sich höher und höher, bis sie oft
kaum noch mit bloſsem Auge erkennbar sind.

Ein solcher Schwebeflug ist nicht zu verwechseln mit
dem Sichtreibenlassen, das man an allen Vögeln bemerkt,
wenn dieselben die ihnen augenblicklich innewohnende leben-
dige Kraft ausnutzen und mit stillgehaltenen Flügeln dahin-
schieſsen, meistens allmählich sinkend und an Geschwindigkeit
abnehmend, bis sie sich setzen. Das letzte Ende einer so
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Kraft wird häufig dazu benutzt, eine kleine Hebung auszu-

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[30/0046] Viele gröſsere Vögel pflegen stets beim Auffliegen durch Hüpfen in groſsen Sätzen sich erst die erforderliche Vorwärts- geschwindigkeit zu geben. Wer jemals einen Reiher, Kranich oder anderen gröſseren Sumpfvogel bei Windstille auffliegen sah, dem wird dieses charakteristische, von Flügelschlägen begleitete Hüpfen unvergeſslich bleiben. Endlich nehmen wir an vielen Vögeln eine dritte Flugart wahr, bei welcher die Kraftanstrengung noch viel geringer sein muſs, indem die Flügel eigentlich nicht auf- und nieder- geschlagen werden, sondern sich nur wenig drehen und wenden. Der Vogel scheint mit den Flügeln auf der Luft zu ruhen und die Flügelstellung nur von Zeit zu Zeit zu ver- bessern, um sie der Luft und seiner Flugrichtung anzupassen. Soviel bis jetzt bekannt, ist zu einem derartigen dauern- den Schweben ohne Sinken, das vielfach in kreisender Form geschieht, eine gewisse Windstärke erforderlich; denn alle Vögel suchen zu derartigen Bewegungen höhere Luftregionen auf, in denen der Wind stärker und ungehinderter weht. Einen deutlichen Beweis hierfür liefern beispielsweise die in einer Waldlichtung aufsteigenden Raubvögel. Sie erheben sich mit mühsamen Flügelschlägen, da in der Lichtung fast Windstille herrscht. Sowie sie aber die Höhe der Baum- kronen erreicht haben, über denen der Wind ungehindert hin- streicht, beginnen sie ihre schönen Kreise zu ziehen. Sie halten dann die Flügel still und fallen nicht etwa wieder herab, sondern schrauben sich höher und höher, bis sie oft kaum noch mit bloſsem Auge erkennbar sind. Ein solcher Schwebeflug ist nicht zu verwechseln mit dem Sichtreibenlassen, das man an allen Vögeln bemerkt, wenn dieselben die ihnen augenblicklich innewohnende leben- dige Kraft ausnutzen und mit stillgehaltenen Flügeln dahin- schieſsen, meistens allmählich sinkend und an Geschwindigkeit abnehmend, bis sie sich setzen. Das letzte Ende einer so durchflogenen Strecke und der letzte Rest der lebendigen Kraft wird häufig dazu benutzt, eine kleine Hebung auszu-

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Zitationshilfe: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/46>, abgerufen am 26.04.2024.