Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.

Bild:
<< vorherige Seite

wirklich zu durchfliegen, so kann man fast mit geschlossenen
Augen den Geheimnissen des Luftwiderstandes nachspüren;
denn schon unser Ohr verrät uns, ob wir es mit reineren
Wellenbewegungen oder mit vielen kraftverzehrenden Neben-
wirbeln zu thun haben. In dieser Überzeugung aber werden
wir den, auch bei grossen Geschwindigkeiten noch geräuschlos
durch die Luft geführten, hebenden Flächen den Vorzug geben
gegenüber denjenigen Flächen, die sich nicht ohne stärkeres
Rauschen mit derselben Geschwindigkeit durch die Luft führen
lassen. Auch nach dieser Analyse, bei welcher das Ohr den
Ausschlag giebt, trägt die Form des gewölbten Vogelflügels
den Sieg davon.

Aber noch von anderen Gesichtspunkten aus unterscheiden
sich ebene und gewölbte Flächen. Durch die gewölbte Fläche
wird die an ihr vorbeistreichende Luft, wenn auch nicht ganz
so glatt, wie in Figur 30, so doch immerhin bogenförmig aus
ihrer Bahn gelenkt. Die vorher geradlinige Bewegung des
Luftstromes wird annähernd kreisbogenförmig werden, und
zwar sowohl unterhalb als oberhalb von der Fläche. Diese
krummlinige Bewegung der Luftteilchen entspricht aber einer
ganz bestimmten Centrifugalkraft, mit welcher diejenigen Teile
der Luft, welche unter der Fläche hindurchgehen, von unten
auf die Fläche drücken, während diejenigen, welche über die
Fläche hinweggleiten, sich von der Fläche zu entfernen stre-
ben und eine ebenfalls nach oben gerichtete Saugewirkung
hervorrufen. Die Centrifugalkraft der an der gekrümmten
Fläche vorbeitreibenden Luft wirkt also beiderseits hebend
auf die Fläche, und wenn man den wirklich gemessenen Luft-
widerstand als durch reine Centrifugalkraft entstanden an-
nimmt, so ergiebt sich rechnungsmässig ein Resultat, das mit
unserer Vorstellung im Einklange steht. Worin aber eine der-
artige centrifugale Wirkung vollkommen mit den Luftwider-
standsgesetzen übereinstimmt, das ist die Zunahme mit dem
Quadrat der Geschwindigkeit.

Eine derartige Anschauungsweise fällt nun aber bei der
Luftwiderstandswirkung der ebenen Fläche vollständig fort,

wirklich zu durchfliegen, so kann man fast mit geschlossenen
Augen den Geheimnissen des Luftwiderstandes nachspüren;
denn schon unser Ohr verrät uns, ob wir es mit reineren
Wellenbewegungen oder mit vielen kraftverzehrenden Neben-
wirbeln zu thun haben. In dieser Überzeugung aber werden
wir den, auch bei groſsen Geschwindigkeiten noch geräuschlos
durch die Luft geführten, hebenden Flächen den Vorzug geben
gegenüber denjenigen Flächen, die sich nicht ohne stärkeres
Rauschen mit derselben Geschwindigkeit durch die Luft führen
lassen. Auch nach dieser Analyse, bei welcher das Ohr den
Ausschlag giebt, trägt die Form des gewölbten Vogelflügels
den Sieg davon.

Aber noch von anderen Gesichtspunkten aus unterscheiden
sich ebene und gewölbte Flächen. Durch die gewölbte Fläche
wird die an ihr vorbeistreichende Luft, wenn auch nicht ganz
so glatt, wie in Figur 30, so doch immerhin bogenförmig aus
ihrer Bahn gelenkt. Die vorher geradlinige Bewegung des
Luftstromes wird annähernd kreisbogenförmig werden, und
zwar sowohl unterhalb als oberhalb von der Fläche. Diese
krummlinige Bewegung der Luftteilchen entspricht aber einer
ganz bestimmten Centrifugalkraft, mit welcher diejenigen Teile
der Luft, welche unter der Fläche hindurchgehen, von unten
auf die Fläche drücken, während diejenigen, welche über die
Fläche hinweggleiten, sich von der Fläche zu entfernen stre-
ben und eine ebenfalls nach oben gerichtete Saugewirkung
hervorrufen. Die Centrifugalkraft der an der gekrümmten
Fläche vorbeitreibenden Luft wirkt also beiderseits hebend
auf die Fläche, und wenn man den wirklich gemessenen Luft-
widerstand als durch reine Centrifugalkraft entstanden an-
nimmt, so ergiebt sich rechnungsmäſsig ein Resultat, das mit
unserer Vorstellung im Einklange steht. Worin aber eine der-
artige centrifugale Wirkung vollkommen mit den Luftwider-
standsgesetzen übereinstimmt, das ist die Zunahme mit dem
Quadrat der Geschwindigkeit.

Eine derartige Anschauungsweise fällt nun aber bei der
Luftwiderstandswirkung der ebenen Fläche vollständig fort,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0101" n="85"/>
wirklich zu durchfliegen, so kann man fast mit geschlossenen<lb/>
Augen den Geheimnissen des Luftwiderstandes nachspüren;<lb/>
denn schon unser Ohr verrät uns, ob wir es mit reineren<lb/>
Wellenbewegungen oder mit vielen kraftverzehrenden Neben-<lb/>
wirbeln zu thun haben. In dieser Überzeugung aber werden<lb/>
wir den, auch bei gro&#x017F;sen Geschwindigkeiten noch geräuschlos<lb/>
durch die Luft geführten, hebenden Flächen den Vorzug geben<lb/>
gegenüber denjenigen Flächen, die sich nicht ohne stärkeres<lb/>
Rauschen mit derselben Geschwindigkeit durch die Luft führen<lb/>
lassen. Auch nach dieser Analyse, bei welcher das Ohr den<lb/>
Ausschlag giebt, trägt die Form des gewölbten Vogelflügels<lb/>
den Sieg davon.</p><lb/>
        <p>Aber noch von anderen Gesichtspunkten aus unterscheiden<lb/>
sich ebene und gewölbte Flächen. Durch die gewölbte Fläche<lb/>
wird die an ihr vorbeistreichende Luft, wenn auch nicht ganz<lb/>
so glatt, wie in Figur 30, so doch immerhin bogenförmig aus<lb/>
ihrer Bahn gelenkt. Die vorher geradlinige Bewegung des<lb/>
Luftstromes wird annähernd kreisbogenförmig werden, und<lb/>
zwar sowohl unterhalb als oberhalb von der Fläche. Diese<lb/>
krummlinige Bewegung der Luftteilchen entspricht aber einer<lb/>
ganz bestimmten Centrifugalkraft, mit welcher diejenigen Teile<lb/>
der Luft, welche unter der Fläche hindurchgehen, von unten<lb/>
auf die Fläche drücken, während diejenigen, welche über die<lb/>
Fläche hinweggleiten, sich von der Fläche zu entfernen stre-<lb/>
ben und eine ebenfalls nach oben gerichtete Saugewirkung<lb/>
hervorrufen. Die Centrifugalkraft der an der gekrümmten<lb/>
Fläche vorbeitreibenden Luft wirkt also beiderseits hebend<lb/>
auf die Fläche, und wenn man den wirklich gemessenen Luft-<lb/>
widerstand als durch reine Centrifugalkraft entstanden an-<lb/>
nimmt, so ergiebt sich rechnungsmä&#x017F;sig ein Resultat, das mit<lb/>
unserer Vorstellung im Einklange steht. Worin aber eine der-<lb/>
artige centrifugale Wirkung vollkommen mit den Luftwider-<lb/>
standsgesetzen übereinstimmt, das ist die Zunahme mit dem<lb/>
Quadrat der Geschwindigkeit.</p><lb/>
        <p>Eine derartige Anschauungsweise fällt nun aber bei der<lb/>
Luftwiderstandswirkung der ebenen Fläche vollständig fort,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0101] wirklich zu durchfliegen, so kann man fast mit geschlossenen Augen den Geheimnissen des Luftwiderstandes nachspüren; denn schon unser Ohr verrät uns, ob wir es mit reineren Wellenbewegungen oder mit vielen kraftverzehrenden Neben- wirbeln zu thun haben. In dieser Überzeugung aber werden wir den, auch bei groſsen Geschwindigkeiten noch geräuschlos durch die Luft geführten, hebenden Flächen den Vorzug geben gegenüber denjenigen Flächen, die sich nicht ohne stärkeres Rauschen mit derselben Geschwindigkeit durch die Luft führen lassen. Auch nach dieser Analyse, bei welcher das Ohr den Ausschlag giebt, trägt die Form des gewölbten Vogelflügels den Sieg davon. Aber noch von anderen Gesichtspunkten aus unterscheiden sich ebene und gewölbte Flächen. Durch die gewölbte Fläche wird die an ihr vorbeistreichende Luft, wenn auch nicht ganz so glatt, wie in Figur 30, so doch immerhin bogenförmig aus ihrer Bahn gelenkt. Die vorher geradlinige Bewegung des Luftstromes wird annähernd kreisbogenförmig werden, und zwar sowohl unterhalb als oberhalb von der Fläche. Diese krummlinige Bewegung der Luftteilchen entspricht aber einer ganz bestimmten Centrifugalkraft, mit welcher diejenigen Teile der Luft, welche unter der Fläche hindurchgehen, von unten auf die Fläche drücken, während diejenigen, welche über die Fläche hinweggleiten, sich von der Fläche zu entfernen stre- ben und eine ebenfalls nach oben gerichtete Saugewirkung hervorrufen. Die Centrifugalkraft der an der gekrümmten Fläche vorbeitreibenden Luft wirkt also beiderseits hebend auf die Fläche, und wenn man den wirklich gemessenen Luft- widerstand als durch reine Centrifugalkraft entstanden an- nimmt, so ergiebt sich rechnungsmäſsig ein Resultat, das mit unserer Vorstellung im Einklange steht. Worin aber eine der- artige centrifugale Wirkung vollkommen mit den Luftwider- standsgesetzen übereinstimmt, das ist die Zunahme mit dem Quadrat der Geschwindigkeit. Eine derartige Anschauungsweise fällt nun aber bei der Luftwiderstandswirkung der ebenen Fläche vollständig fort,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/101
Zitationshilfe: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/101>, abgerufen am 22.11.2024.