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Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].

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bebten noch die Lippen: Batbatbatbatbat ... Er wollte
sagen: Batterie vor! .. O du treuer, o du lieber Mensch!

Keine Sekunde Zeit war zu verlieren. Ich flog zurück
zum Hauptmann. Auch er war entschlossen nun. Also
vorwärts!

Nicht umsehn! Nicht umsehn! schrie der Hauptmann.
Wir zwei kletterten, so rasch es ging, voran. Nur einmal
wandte ich den Kopf: -- Bald hoch, in der Luft, bald niedrig
kreisende, kreischende Räder, schräg und schief liegende Rohre
und Achsen, sich unter dem Rade drehende Tote und Ver-
wundete, der Kantschu in fortwährender Bewegung auf den
Pferderücken, Wut, Verzweiflung, Fluchen, Singen, Schreien. ..

Nun fuhr die Batterie auf dem Hügel auf, Haare, Ge-
hirn, Blut, Eingeweide, Uniformstücke in den Speichen. In
wundervoller Präcision fuhr sie auf. Abgeprotzt. Geladen.
Richten. Und: "Erstes Geschütz -- Feuer!" Der Qualm
legte sich dicht vor die Laffeten, wir konnten die Wirkung
nicht beobachten. Doch schon beim zweiten Schuß pfiff eine
feindliche Granate über uns weg. Sie galt der Batterie.
Die Bataillone waren degagiert. Ich ritt, mich vom Haupt-
mann verabschiedend, zurück zum General, das Schreckensthal
vermeidend. Als ich mich zurückgemeldet, sagte mir der
Oberbefehlshaber ein gütiges Wort. Dann schloß ich mich
wieder der Suite an.

Und regungslos hielt der General.

Hinter uns klang häufig das Kavallerie-Signal Trab.
Wir konnten die Schwadronen nicht sehen. Aber es war
mir, als hörte ich das Stapsen, Schnaufen, Klirren. Kom-
mandorufe klangen an mein Ohr: Ha--hlt ... Ha--hlt ...
und immer schwächer und schwächer werdend: Ha--hlt ...
Ha--hlt. Alles das klang her, was die Bewegungen eines
Reiterregiments so hoch poetisch macht; erst recht, wenn man
"drin steckt." Ich hörte das Alles deutlich, und doch war
um uns ein einziger Donnerton. Dazwischen klangen schrill
die Schüsse der Batterie, die ich eben herangeholt hatte.

bebten noch die Lippen: Batbatbatbatbat … Er wollte
ſagen: Batterie vor! .. O du treuer, o du lieber Menſch!

Keine Sekunde Zeit war zu verlieren. Ich flog zurück
zum Hauptmann. Auch er war entſchloſſen nun. Alſo
vorwärts!

Nicht umſehn! Nicht umſehn! ſchrie der Hauptmann.
Wir zwei kletterten, ſo raſch es ging, voran. Nur einmal
wandte ich den Kopf: — Bald hoch, in der Luft, bald niedrig
kreiſende, kreiſchende Räder, ſchräg und ſchief liegende Rohre
und Achſen, ſich unter dem Rade drehende Tote und Ver-
wundete, der Kantſchu in fortwährender Bewegung auf den
Pferderücken, Wut, Verzweiflung, Fluchen, Singen, Schreien. ..

Nun fuhr die Batterie auf dem Hügel auf, Haare, Ge-
hirn, Blut, Eingeweide, Uniformſtücke in den Speichen. In
wundervoller Präciſion fuhr ſie auf. Abgeprotzt. Geladen.
Richten. Und: „Erſtes Geſchütz — Feuer!“ Der Qualm
legte ſich dicht vor die Laffeten, wir konnten die Wirkung
nicht beobachten. Doch ſchon beim zweiten Schuß pfiff eine
feindliche Granate über uns weg. Sie galt der Batterie.
Die Bataillone waren degagiert. Ich ritt, mich vom Haupt-
mann verabſchiedend, zurück zum General, das Schreckensthal
vermeidend. Als ich mich zurückgemeldet, ſagte mir der
Oberbefehlshaber ein gütiges Wort. Dann ſchloß ich mich
wieder der Suite an.

Und regungslos hielt der General.

Hinter uns klang häufig das Kavallerie-Signal Trab.
Wir konnten die Schwadronen nicht ſehen. Aber es war
mir, als hörte ich das Stapſen, Schnaufen, Klirren. Kom-
mandorufe klangen an mein Ohr: Ha—hlt … Ha—hlt …
und immer ſchwächer und ſchwächer werdend: Ha—hlt …
Ha—hlt. Alles das klang her, was die Bewegungen eines
Reiterregiments ſo hoch poetiſch macht; erſt recht, wenn man
„drin ſteckt.“ Ich hörte das Alles deutlich, und doch war
um uns ein einziger Donnerton. Dazwiſchen klangen ſchrill
die Schüſſe der Batterie, die ich eben herangeholt hatte.

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[152/0160] bebten noch die Lippen: Batbatbatbatbat … Er wollte ſagen: Batterie vor! .. O du treuer, o du lieber Menſch! Keine Sekunde Zeit war zu verlieren. Ich flog zurück zum Hauptmann. Auch er war entſchloſſen nun. Alſo vorwärts! Nicht umſehn! Nicht umſehn! ſchrie der Hauptmann. Wir zwei kletterten, ſo raſch es ging, voran. Nur einmal wandte ich den Kopf: — Bald hoch, in der Luft, bald niedrig kreiſende, kreiſchende Räder, ſchräg und ſchief liegende Rohre und Achſen, ſich unter dem Rade drehende Tote und Ver- wundete, der Kantſchu in fortwährender Bewegung auf den Pferderücken, Wut, Verzweiflung, Fluchen, Singen, Schreien. .. Nun fuhr die Batterie auf dem Hügel auf, Haare, Ge- hirn, Blut, Eingeweide, Uniformſtücke in den Speichen. In wundervoller Präciſion fuhr ſie auf. Abgeprotzt. Geladen. Richten. Und: „Erſtes Geſchütz — Feuer!“ Der Qualm legte ſich dicht vor die Laffeten, wir konnten die Wirkung nicht beobachten. Doch ſchon beim zweiten Schuß pfiff eine feindliche Granate über uns weg. Sie galt der Batterie. Die Bataillone waren degagiert. Ich ritt, mich vom Haupt- mann verabſchiedend, zurück zum General, das Schreckensthal vermeidend. Als ich mich zurückgemeldet, ſagte mir der Oberbefehlshaber ein gütiges Wort. Dann ſchloß ich mich wieder der Suite an. Und regungslos hielt der General. Hinter uns klang häufig das Kavallerie-Signal Trab. Wir konnten die Schwadronen nicht ſehen. Aber es war mir, als hörte ich das Stapſen, Schnaufen, Klirren. Kom- mandorufe klangen an mein Ohr: Ha—hlt … Ha—hlt … und immer ſchwächer und ſchwächer werdend: Ha—hlt … Ha—hlt. Alles das klang her, was die Bewegungen eines Reiterregiments ſo hoch poetiſch macht; erſt recht, wenn man „drin ſteckt.“ Ich hörte das Alles deutlich, und doch war um uns ein einziger Donnerton. Dazwiſchen klangen ſchrill die Schüſſe der Batterie, die ich eben herangeholt hatte.

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Zitationshilfe: Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/160>, abgerufen am 24.11.2024.