Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883].

Bild:
<< vorherige Seite

Und wie sie drohend die Fäuste ballen,
Zieht leis aus dem Schlamm der Krake die Krallen.
Trutz, blanke Hans.

Die Wasser ebben, die Vögel ruhen,
Der liebe Gott geht auf leisesten Schuhen.
Der Mond zieht am Himmel gelassen die Bahn,
Belächelt der protzigen Rungholter Wahn.
Von Brasilien glänzt bis zu Norwegs Riffen
Das Meer wie schlafender Stahl, der geschliffen.
Trutz, blanke Hans.
Und überall Frieden, auf See, in den Landen --
Plötzlich wie Ruf eines Raubtiers in Banden:
Das Scheusal wälzte sich, atmete tief,
Und schloß die Augen wieder und schlief.
Und rauschende, schwarze, langmähnige Wogen
Kommen wie rasende Rosse geflogen.
Trutz, blanke Hans.
Ein einziger Schrei -- die Stadt ist versunken,
Und Hunderttausende sind ertrunken.
Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch,
Schwamm andern Tages der dumme Fisch.
Heut bin ich über Rungholt gefahren,
Die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.
Trutz, blanke Hans?



9*

Und wie ſie drohend die Fäuſte ballen,
Zieht leis aus dem Schlamm der Krake die Krallen.
Trutz, blanke Hans.

Die Waſſer ebben, die Vögel ruhen,
Der liebe Gott geht auf leiſeſten Schuhen.
Der Mond zieht am Himmel gelaſſen die Bahn,
Belächelt der protzigen Rungholter Wahn.
Von Braſilien glänzt bis zu Norwegs Riffen
Das Meer wie ſchlafender Stahl, der geſchliffen.
Trutz, blanke Hans.
Und überall Frieden, auf See, in den Landen —
Plötzlich wie Ruf eines Raubtiers in Banden:
Das Scheuſal wälzte ſich, atmete tief,
Und ſchloß die Augen wieder und ſchlief.
Und rauſchende, ſchwarze, langmähnige Wogen
Kommen wie raſende Roſſe geflogen.
Trutz, blanke Hans.
Ein einziger Schrei — die Stadt iſt verſunken,
Und Hunderttauſende ſind ertrunken.
Wo geſtern noch Lärm und luſtiger Tiſch,
Schwamm andern Tages der dumme Fiſch.
Heut bin ich über Rungholt gefahren,
Die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.
Trutz, blanke Hans?



9*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="7">
            <pb facs="#f0139" n="131"/>
            <l>Und wie &#x017F;ie drohend die Fäu&#x017F;te ballen,</l><lb/>
            <l>Zieht leis aus dem Schlamm der Krake die Krallen.</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Trutz, blanke Hans.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <lg n="8">
            <l>Die Wa&#x017F;&#x017F;er ebben, die Vögel ruhen,</l><lb/>
            <l>Der liebe Gott geht auf lei&#x017F;e&#x017F;ten Schuhen.</l><lb/>
            <l>Der Mond zieht am Himmel gela&#x017F;&#x017F;en die Bahn,</l><lb/>
            <l>Belächelt der protzigen Rungholter Wahn.</l><lb/>
            <l>Von Bra&#x017F;ilien glänzt bis zu Norwegs Riffen</l><lb/>
            <l>Das Meer wie &#x017F;chlafender Stahl, der ge&#x017F;chliffen.</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Trutz, blanke Hans.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <lg n="9">
            <l>Und überall Frieden, auf See, in den Landen &#x2014;</l><lb/>
            <l>Plötzlich wie Ruf eines Raubtiers in Banden:</l><lb/>
            <l>Das Scheu&#x017F;al wälzte &#x017F;ich, atmete tief,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;chloß die Augen wieder und &#x017F;chlief.</l><lb/>
            <l>Und rau&#x017F;chende, &#x017F;chwarze, langmähnige Wogen</l><lb/>
            <l>Kommen wie ra&#x017F;ende Ro&#x017F;&#x017F;e geflogen.</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Trutz, blanke Hans.</hi> </l>
          </lg><lb/>
          <lg n="10">
            <l>Ein einziger Schrei &#x2014; die Stadt i&#x017F;t ver&#x017F;unken,</l><lb/>
            <l>Und Hunderttau&#x017F;ende &#x017F;ind ertrunken.</l><lb/>
            <l>Wo ge&#x017F;tern noch Lärm und lu&#x017F;tiger Ti&#x017F;ch,</l><lb/>
            <l>Schwamm andern Tages der dumme Fi&#x017F;ch.</l><lb/>
            <l>Heut bin ich über Rungholt gefahren,</l><lb/>
            <l>Die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren.</l><lb/>
            <l> <hi rendition="#et">Trutz, blanke Hans?</hi> </l>
          </lg>
        </lg>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <fw place="bottom" type="sig">9*</fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0139] Und wie ſie drohend die Fäuſte ballen, Zieht leis aus dem Schlamm der Krake die Krallen. Trutz, blanke Hans. Die Waſſer ebben, die Vögel ruhen, Der liebe Gott geht auf leiſeſten Schuhen. Der Mond zieht am Himmel gelaſſen die Bahn, Belächelt der protzigen Rungholter Wahn. Von Braſilien glänzt bis zu Norwegs Riffen Das Meer wie ſchlafender Stahl, der geſchliffen. Trutz, blanke Hans. Und überall Frieden, auf See, in den Landen — Plötzlich wie Ruf eines Raubtiers in Banden: Das Scheuſal wälzte ſich, atmete tief, Und ſchloß die Augen wieder und ſchlief. Und rauſchende, ſchwarze, langmähnige Wogen Kommen wie raſende Roſſe geflogen. Trutz, blanke Hans. Ein einziger Schrei — die Stadt iſt verſunken, Und Hunderttauſende ſind ertrunken. Wo geſtern noch Lärm und luſtiger Tiſch, Schwamm andern Tages der dumme Fiſch. Heut bin ich über Rungholt gefahren, Die Stadt ging unter vor fünfhundert Jahren. Trutz, blanke Hans? 9*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/139
Zitationshilfe: Liliencron, Detlev von: Adjutantenritte und andere Gedichte. Leipzig, [1883], S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liliencron_adjutantenritte_1883/139>, abgerufen am 24.11.2024.