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Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878.

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lassen zu wollen. Sie muß der deutschen -- Rückendeckung sehr sicher
sein, sonst wäre eine derartige Herausforderung selbst-
mörderischer Wahnsinn.

Außer obigen Bedingungen soll Rußland noch die Herausgabe
der besten türkischen Panzerschiffe gefordert haben -- ein Verlangen,
das bisher auf hartnäckigen, vermuthlich von England genährten Wider-
stand der Türken gestoßen ist, von Rußland aber gewiß nicht zu einer
conditio sine qua non (einer Bedingung, ohne die es keinen Frieden
abschließen würde) gemacht wird.

Mit Recht schreibt die Wiener "Neue Freie Presse" (vom 26. Febr.
d. J.):

"Liebenswürdig gegen England, sind die russischen Friedensbe-
dingungen von einer wahren Bosheit gegen Oestreich dictirt. Sind
sie authentisch (woran nicht zu zweifeln), dann hat im russischen Haupt-
quartier das Bestreben, Oestreich zu ärgern, noch die Lust überwogen,
die Türkei zu demüthigen. Alles was Graf Andrassy als
unverträglich mit den Jnteressen Oest reichs bezeich-
nete, ist mit der größten Sorgfalt in die Friedensbe-
dingungen aufgenommen worden.
Unser Minister des Aus-
wärtigen hatte erklärt, daß eine Ausdehnung des serbischen Kriegszuges
nach Bosnien nicht geduldet werden könne, weil Bosnien in der
östreichischen "Jnteressen-Sphäre" liege. Darum erscheint in den Friedens-
bedingungen die Clausel, daß Serbien eine beträchtliche Vergrößerung
in Bosnien erhalten werde. Graf Andrassy hatte wiederholt geäußert,
er habe gegen eine Ausdehnung Montenegros auf albanischem Gebiete
nichts einzuwenden, nur könne er nicht zugeben, daß die rauf- und
raublustigen Söhne der Schwarzen Berge einen Hafen erhielten. Darum
weisen die Friedensbedingungen den Montenegrinern den Hafen von
Antivari zu, der zwar schlecht ist, aber mit einiger Arbeit gewiß in
einen guten verwandelt werden kann. Graf Andrassy hat es geradezu
als eine offene Verletzung östreichischer Jnteressen bezeichnet, wenn
Bulgarien in russischen Händen bleiben sollte. Darum heißt es in den
Friedensbedingungen kurz und trocken, das Land würde von einer rus-
sischen Commission regiert und von dreißigtausend Russen besetzt bleiben.
Von der Freiheit der Donau, von den Schifffahrtverhältnissen des
Stromes wird nicht mit einer Sylbe gesprochen."

Nun, Herr Anhrassy darf sich nicht beklagen. Er hat die Früchte
seiner Politik "von Fall zu Fall", d. h. de chute en chute -- von
'Reinfall zu 'Reinfall. -- --

Noch ist der Präliminarfriede nicht abgeschlossen.

"Präliminarfriede"? Warum nicht schlechtweg "Friede"? Weil
es kein Friede ist. Es soll nämlich blos ein provisorisches Ab-

laſſen zu wollen. Sie muß der deutſchen — Rückendeckung ſehr ſicher
ſein, ſonſt wäre eine derartige Herausforderung ſelbſt-
mörderiſcher Wahnſinn.

Außer obigen Bedingungen ſoll Rußland noch die Herausgabe
der beſten türkiſchen Panzerſchiffe gefordert haben — ein Verlangen,
das bisher auf hartnäckigen, vermuthlich von England genährten Wider-
ſtand der Türken geſtoßen iſt, von Rußland aber gewiß nicht zu einer
conditio sine qua non (einer Bedingung, ohne die es keinen Frieden
abſchließen würde) gemacht wird.

Mit Recht ſchreibt die Wiener „Neue Freie Preſſe‟ (vom 26. Febr.
d. J.):

„Liebenswürdig gegen England, ſind die ruſſiſchen Friedensbe-
dingungen von einer wahren Bosheit gegen Oeſtreich dictirt. Sind
ſie authentiſch (woran nicht zu zweifeln), dann hat im ruſſiſchen Haupt-
quartier das Beſtreben, Oeſtreich zu ärgern, noch die Luſt überwogen,
die Türkei zu demüthigen. Alles was Graf Andraſſy als
unverträglich mit den Jntereſſen Oeſt reichs bezeich-
nete, iſt mit der größten Sorgfalt in die Friedensbe-
dingungen aufgenommen worden.
Unſer Miniſter des Aus-
wärtigen hatte erklärt, daß eine Ausdehnung des ſerbiſchen Kriegszuges
nach Bosnien nicht geduldet werden könne, weil Bosnien in der
öſtreichiſchen „Jntereſſen-Sphäre‟ liege. Darum erſcheint in den Friedens-
bedingungen die Clauſel, daß Serbien eine beträchtliche Vergrößerung
in Bosnien erhalten werde. Graf Andraſſy hatte wiederholt geäußert,
er habe gegen eine Ausdehnung Montenegros auf albaniſchem Gebiete
nichts einzuwenden, nur könne er nicht zugeben, daß die rauf- und
raubluſtigen Söhne der Schwarzen Berge einen Hafen erhielten. Darum
weiſen die Friedensbedingungen den Montenegrinern den Hafen von
Antivari zu, der zwar ſchlecht iſt, aber mit einiger Arbeit gewiß in
einen guten verwandelt werden kann. Graf Andraſſy hat es geradezu
als eine offene Verletzung öſtreichiſcher Jntereſſen bezeichnet, wenn
Bulgarien in ruſſiſchen Händen bleiben ſollte. Darum heißt es in den
Friedensbedingungen kurz und trocken, das Land würde von einer ruſ-
ſiſchen Commiſſion regiert und von dreißigtauſend Ruſſen beſetzt bleiben.
Von der Freiheit der Donau, von den Schifffahrtverhältniſſen des
Stromes wird nicht mit einer Sylbe geſprochen.‟

Nun, Herr Anhraſſy darf ſich nicht beklagen. Er hat die Früchte
ſeiner Politik „von Fall zu Fall‟, d. h. de chute en chute — von
’Reinfall zu ’Reinfall. — —

Noch iſt der Präliminarfriede nicht abgeſchloſſen.

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es kein Friede iſt. Es ſoll nämlich blos ein proviſoriſches Ab-

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[53/0057] laſſen zu wollen. Sie muß der deutſchen — Rückendeckung ſehr ſicher ſein, ſonſt wäre eine derartige Herausforderung ſelbſt- mörderiſcher Wahnſinn. Außer obigen Bedingungen ſoll Rußland noch die Herausgabe der beſten türkiſchen Panzerſchiffe gefordert haben — ein Verlangen, das bisher auf hartnäckigen, vermuthlich von England genährten Wider- ſtand der Türken geſtoßen iſt, von Rußland aber gewiß nicht zu einer conditio sine qua non (einer Bedingung, ohne die es keinen Frieden abſchließen würde) gemacht wird. Mit Recht ſchreibt die Wiener „Neue Freie Preſſe‟ (vom 26. Febr. d. J.): „Liebenswürdig gegen England, ſind die ruſſiſchen Friedensbe- dingungen von einer wahren Bosheit gegen Oeſtreich dictirt. Sind ſie authentiſch (woran nicht zu zweifeln), dann hat im ruſſiſchen Haupt- quartier das Beſtreben, Oeſtreich zu ärgern, noch die Luſt überwogen, die Türkei zu demüthigen. Alles was Graf Andraſſy als unverträglich mit den Jntereſſen Oeſt reichs bezeich- nete, iſt mit der größten Sorgfalt in die Friedensbe- dingungen aufgenommen worden. Unſer Miniſter des Aus- wärtigen hatte erklärt, daß eine Ausdehnung des ſerbiſchen Kriegszuges nach Bosnien nicht geduldet werden könne, weil Bosnien in der öſtreichiſchen „Jntereſſen-Sphäre‟ liege. Darum erſcheint in den Friedens- bedingungen die Clauſel, daß Serbien eine beträchtliche Vergrößerung in Bosnien erhalten werde. Graf Andraſſy hatte wiederholt geäußert, er habe gegen eine Ausdehnung Montenegros auf albaniſchem Gebiete nichts einzuwenden, nur könne er nicht zugeben, daß die rauf- und raubluſtigen Söhne der Schwarzen Berge einen Hafen erhielten. Darum weiſen die Friedensbedingungen den Montenegrinern den Hafen von Antivari zu, der zwar ſchlecht iſt, aber mit einiger Arbeit gewiß in einen guten verwandelt werden kann. Graf Andraſſy hat es geradezu als eine offene Verletzung öſtreichiſcher Jntereſſen bezeichnet, wenn Bulgarien in ruſſiſchen Händen bleiben ſollte. Darum heißt es in den Friedensbedingungen kurz und trocken, das Land würde von einer ruſ- ſiſchen Commiſſion regiert und von dreißigtauſend Ruſſen beſetzt bleiben. Von der Freiheit der Donau, von den Schifffahrtverhältniſſen des Stromes wird nicht mit einer Sylbe geſprochen.‟ Nun, Herr Anhraſſy darf ſich nicht beklagen. Er hat die Früchte ſeiner Politik „von Fall zu Fall‟, d. h. de chute en chute — von ’Reinfall zu ’Reinfall. — — Noch iſt der Präliminarfriede nicht abgeſchloſſen. „Präliminarfriede‟? Warum nicht ſchlechtweg „Friede‟? Weil es kein Friede iſt. Es ſoll nämlich blos ein proviſoriſches Ab-

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Zitationshilfe: Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebknecht_frage_1878/57>, abgerufen am 03.05.2024.