Liebknecht, Wilhelm: Zur orientalischen Frage oder Soll Europa kosakisch werden? 2. Aufl. Leipzig, 1878.feindliche Spitze abzubrechen, von den "Reichs freunden" inscenirt Das heißt: Oestreich behält vorläufig das Schwert in der Falls das höchst fragliche Ding überhaupt ins Leben tritt. Mittlerweile erhitzt sich die "öffentliche Meinung" in England. Jn Oestreich dämmert mehr und mehr das Bewußtsein auf, Stünde in Oestreich ein Mann am Staatsruder, ein Mann, fähig Freilich, die schon vor fast 60 Jahren gestellte Alternative lautet: Und können wir von Staatsmännern der alten Schule verlangen, *) Siehe die in demselben Verlag erscheinende Broschüre: Die Orient-
debatte im deutschen Reichstag (vollständig nach dem amtlich steno- graphischen Bericht), kurz beleuchtet von W. Liebknecht. feindliche Spitze abzubrechen, von den „Reichs freunden‟ inſcenirt Das heißt: Oeſtreich behält vorläufig das Schwert in der Falls das höchſt fragliche Ding überhaupt ins Leben tritt. Mittlerweile erhitzt ſich die „öffentliche Meinung‟ in England. Jn Oeſtreich dämmert mehr und mehr das Bewußtſein auf, Stünde in Oeſtreich ein Mann am Staatsruder, ein Mann, fähig Freilich, die ſchon vor faſt 60 Jahren geſtellte Alternative lautet: Und können wir von Staatsmännern der alten Schule verlangen, *) Siehe die in demſelben Verlag erſcheinende Broſchüre: Die Orient-
debatte im deutſchen Reichstag (vollſtändig nach dem amtlich ſteno- graphiſchen Bericht), kurz beleuchtet von W. Liebknecht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0052" n="48"/><hi rendition="#g">feindliche</hi> Spitze abzubrechen, von den „Reichs <hi rendition="#g">freunden</hi>‟ inſcenirt<lb/> worden<note place="foot" n="*)">Siehe die in demſelben Verlag erſcheinende Broſchüre: <hi rendition="#g">Die Orient-<lb/> debatte im deutſchen Reichstag</hi> (vollſtändig nach dem amtlich ſteno-<lb/> graphiſchen Bericht), kurz beleuchtet von W. <hi rendition="#g">Liebknecht.</hi></note> — <hi rendition="#g">aber</hi> Fürſt Bismarck war etwas <hi rendition="#g">zu</hi> zärtlich — <hi rendition="#aq">he has<lb/> overdone it,</hi> würden die Engländer ſagen — und „allzuviel iſt unge-<lb/> ſund‟ für Staatskanzler und Staaten ſo gut wie für einfache Sterb-<lb/> liche. Die Folge der Bismarck’ſchen Liebesküſſe war, daß die<lb/> öſtreichiſche Regierung, die Miene gemacht hatte, den Ruſſen ein Halt<lb/> zuzurufen, wieder einmal den Rückzug antrat und am 24. Februar,<lb/> genau 30 Jahre nach dem Sturze des Julithrons — ein ominöſes<lb/> Datum — in feierlichem Kronrath den Beſchluß faßte, von dem Reichs-<lb/> rath einen Credit von 60 Millionen Gulden zu „diplomatiſcher Kriegs-<lb/> bereitſchaft‟ zu fordern.</p><lb/> <p>Das heißt: Oeſtreich behält vorläufig das Schwert in der<lb/> Scheide und will auf die <hi rendition="#g">Conferenz</hi> gehen oder den <hi rendition="#g">Con-<lb/> greß,</hi> — wir wiſſen nicht, wie’s heißt, der diplomatiſche Wechſelbalg<lb/> iſt noch nicht <hi rendition="#g">getauft.</hi></p><lb/> <p><hi rendition="#g">Falls</hi> das höchſt fragliche Ding überhaupt ins Leben tritt.</p><lb/> <p>Mittlerweile erhitzt ſich die „öffentliche Meinung‟ in <hi rendition="#g">England.</hi><lb/> Was ich in den vorſtehend abgedruckten Artikeln über die engliſche<lb/> „Friedensbewegung‟ geſagt, hat ſich ſeitdem im vollſten Maaße be-<lb/> wahrheitet. Die Gladſtone und Conſorten ſind von der „Bildfläche‟<lb/> verſchwunden, und die ruſſiſchen Agenten im Friedensſchaafspelz dürfen<lb/> ſich nicht mehr öffentlich zeigen, — ſie müßten denn Luſt haben, die<lb/> Fäuſte des Volksrichters „Lynch‟ kennen zu lernen.</p><lb/> <p>Jn <hi rendition="#g">Oeſtreich</hi> dämmert mehr und mehr das Bewußtſein auf,<lb/> daß die Türkei die Vormauer Oeſterreichs war, und daß die Zerſtörung<lb/> dieſer Mauer ein richtiger „Stoß ins Herz‟ iſt.</p><lb/> <p>Stünde in Oeſtreich ein <hi rendition="#g">Mann</hi> am Staatsruder, ein Mann, fähig<lb/> zu <hi rendition="#g">denken,</hi> fähig zu <hi rendition="#g">handeln,</hi> fähig der <hi rendition="#g">Jnitiative</hi> — es<lb/> wäre ein Kinderſpiel, den nordiſchen Alp, ſammt deſſen vaxzin-ber-<lb/> liniſchem Anhängſel abzuſchütteln und die Frage: Soll Europa koſakiſch<lb/> werden? mit einem durchſchlagenden, welterlöſenden <hi rendition="#g">Nein!</hi> zu beant-<lb/> worten.</p><lb/> <p>Freilich, die ſchon vor faſt 60 Jahren geſtellte Alternative lautet:<lb/> Koſakiſch oder <hi rendition="#g">republikaniſch.</hi> Jn die Sprache der Gegenwart über-<lb/> ſetzt: Koſakiſch oder <hi rendition="#g">ſozialdemokratiſch.</hi></p><lb/> <p>Und können wir von Staatsmännern der alten Schule verlangen,<lb/> daß ſie ſich für das „<hi rendition="#g">republikaniſch</hi>‟ und „<hi rendition="#g">ſozialdemo-<lb/> kratiſche</hi>‟ entſcheiden?</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [48/0052]
feindliche Spitze abzubrechen, von den „Reichs freunden‟ inſcenirt
worden *) — aber Fürſt Bismarck war etwas zu zärtlich — he has
overdone it, würden die Engländer ſagen — und „allzuviel iſt unge-
ſund‟ für Staatskanzler und Staaten ſo gut wie für einfache Sterb-
liche. Die Folge der Bismarck’ſchen Liebesküſſe war, daß die
öſtreichiſche Regierung, die Miene gemacht hatte, den Ruſſen ein Halt
zuzurufen, wieder einmal den Rückzug antrat und am 24. Februar,
genau 30 Jahre nach dem Sturze des Julithrons — ein ominöſes
Datum — in feierlichem Kronrath den Beſchluß faßte, von dem Reichs-
rath einen Credit von 60 Millionen Gulden zu „diplomatiſcher Kriegs-
bereitſchaft‟ zu fordern.
Das heißt: Oeſtreich behält vorläufig das Schwert in der
Scheide und will auf die Conferenz gehen oder den Con-
greß, — wir wiſſen nicht, wie’s heißt, der diplomatiſche Wechſelbalg
iſt noch nicht getauft.
Falls das höchſt fragliche Ding überhaupt ins Leben tritt.
Mittlerweile erhitzt ſich die „öffentliche Meinung‟ in England.
Was ich in den vorſtehend abgedruckten Artikeln über die engliſche
„Friedensbewegung‟ geſagt, hat ſich ſeitdem im vollſten Maaße be-
wahrheitet. Die Gladſtone und Conſorten ſind von der „Bildfläche‟
verſchwunden, und die ruſſiſchen Agenten im Friedensſchaafspelz dürfen
ſich nicht mehr öffentlich zeigen, — ſie müßten denn Luſt haben, die
Fäuſte des Volksrichters „Lynch‟ kennen zu lernen.
Jn Oeſtreich dämmert mehr und mehr das Bewußtſein auf,
daß die Türkei die Vormauer Oeſterreichs war, und daß die Zerſtörung
dieſer Mauer ein richtiger „Stoß ins Herz‟ iſt.
Stünde in Oeſtreich ein Mann am Staatsruder, ein Mann, fähig
zu denken, fähig zu handeln, fähig der Jnitiative — es
wäre ein Kinderſpiel, den nordiſchen Alp, ſammt deſſen vaxzin-ber-
liniſchem Anhängſel abzuſchütteln und die Frage: Soll Europa koſakiſch
werden? mit einem durchſchlagenden, welterlöſenden Nein! zu beant-
worten.
Freilich, die ſchon vor faſt 60 Jahren geſtellte Alternative lautet:
Koſakiſch oder republikaniſch. Jn die Sprache der Gegenwart über-
ſetzt: Koſakiſch oder ſozialdemokratiſch.
Und können wir von Staatsmännern der alten Schule verlangen,
daß ſie ſich für das „republikaniſch‟ und „ſozialdemo-
kratiſche‟ entſcheiden?
*) Siehe die in demſelben Verlag erſcheinende Broſchüre: Die Orient-
debatte im deutſchen Reichstag (vollſtändig nach dem amtlich ſteno-
graphiſchen Bericht), kurz beleuchtet von W. Liebknecht.
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