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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842.

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Respiration und Ernährung.
aufnahme eine andere Form annehmen. Beim Durchschnei-
den des Gehirns von Hunden beim Pons varolii, bei Con-
tusionen gegen Scheitel und Hinterhaupt fährt das Thier
eine Zeitlang zu athmen fort, oft rascher und lebhafter, wie
im gesunden Zustande, die Schnelligkeit des Blutumlaufs
nimmt in der ersten Zeit eher zu als ab, allein das Thier
erkaltet, wie wenn ein plötzlicher Tod eingetreten wäre, der
dann auch unabwendbar erfolgt; ganz ähnliche Erfahrungen
hat man bei Durchschneidung des Rückenmarks, des Nervus
vagus
gemacht. Die Athembewegungen dauern eine Zeitlang
fort, allein der Sauerstoff findet die Stoffe auf seinem Wege
nicht vor, mit denen er sich im normalen Zustande verbun-
den haben würde, weil sie ihm von den gelähmten Unter-
leibsorganen nicht geliefert werden können. Die sonderbare
Ansicht über die Erzeugung der thierischen Wärme durch die
Nerven, sie ist, wie man leicht bemerkt, aus der Vorstellung
hervorgegangen, daß das eingesaugte Sauerstoffgas in dem
Blute selbst zu Kohlensäure werde, in welchem Fall, in obi-
gen Versuchen, freilich die Temperatur des Körpers nicht
abnehmen dürfte, allein es kann, wie später entwickelt wer-
den soll, keinen größeren Irrthum geben.

Aehnlich wie bei Durchschneidung der pneumogastrischen
Nerven die Bewegung des Magens und die Secretion des
Magensaftes aufgehoben und damit dem Verdauungsproceß
eine unmittelbare Gränze gesetzt wird, ändert die Lähmung
der Bewegungsorgane des Unterleibs den Respirationspro-
ceß; beide stehen in dem engsten Zusammenhang mit einan-

Reſpiration und Ernährung.
aufnahme eine andere Form annehmen. Beim Durchſchnei-
den des Gehirns von Hunden beim Pons varolii, bei Con-
tuſionen gegen Scheitel und Hinterhaupt fährt das Thier
eine Zeitlang zu athmen fort, oft raſcher und lebhafter, wie
im geſunden Zuſtande, die Schnelligkeit des Blutumlaufs
nimmt in der erſten Zeit eher zu als ab, allein das Thier
erkaltet, wie wenn ein plötzlicher Tod eingetreten wäre, der
dann auch unabwendbar erfolgt; ganz ähnliche Erfahrungen
hat man bei Durchſchneidung des Rückenmarks, des Nervus
vagus
gemacht. Die Athembewegungen dauern eine Zeitlang
fort, allein der Sauerſtoff findet die Stoffe auf ſeinem Wege
nicht vor, mit denen er ſich im normalen Zuſtande verbun-
den haben würde, weil ſie ihm von den gelähmten Unter-
leibsorganen nicht geliefert werden können. Die ſonderbare
Anſicht über die Erzeugung der thieriſchen Wärme durch die
Nerven, ſie iſt, wie man leicht bemerkt, aus der Vorſtellung
hervorgegangen, daß das eingeſaugte Sauerſtoffgas in dem
Blute ſelbſt zu Kohlenſäure werde, in welchem Fall, in obi-
gen Verſuchen, freilich die Temperatur des Körpers nicht
abnehmen dürfte, allein es kann, wie ſpäter entwickelt wer-
den ſoll, keinen größeren Irrthum geben.

Aehnlich wie bei Durchſchneidung der pneumogaſtriſchen
Nerven die Bewegung des Magens und die Secretion des
Magenſaftes aufgehoben und damit dem Verdauungsproceß
eine unmittelbare Gränze geſetzt wird, ändert die Lähmung
der Bewegungsorgane des Unterleibs den Reſpirationspro-
ceß; beide ſtehen in dem engſten Zuſammenhang mit einan-

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[31/0055] Reſpiration und Ernährung. aufnahme eine andere Form annehmen. Beim Durchſchnei- den des Gehirns von Hunden beim Pons varolii, bei Con- tuſionen gegen Scheitel und Hinterhaupt fährt das Thier eine Zeitlang zu athmen fort, oft raſcher und lebhafter, wie im geſunden Zuſtande, die Schnelligkeit des Blutumlaufs nimmt in der erſten Zeit eher zu als ab, allein das Thier erkaltet, wie wenn ein plötzlicher Tod eingetreten wäre, der dann auch unabwendbar erfolgt; ganz ähnliche Erfahrungen hat man bei Durchſchneidung des Rückenmarks, des Nervus vagus gemacht. Die Athembewegungen dauern eine Zeitlang fort, allein der Sauerſtoff findet die Stoffe auf ſeinem Wege nicht vor, mit denen er ſich im normalen Zuſtande verbun- den haben würde, weil ſie ihm von den gelähmten Unter- leibsorganen nicht geliefert werden können. Die ſonderbare Anſicht über die Erzeugung der thieriſchen Wärme durch die Nerven, ſie iſt, wie man leicht bemerkt, aus der Vorſtellung hervorgegangen, daß das eingeſaugte Sauerſtoffgas in dem Blute ſelbſt zu Kohlenſäure werde, in welchem Fall, in obi- gen Verſuchen, freilich die Temperatur des Körpers nicht abnehmen dürfte, allein es kann, wie ſpäter entwickelt wer- den ſoll, keinen größeren Irrthum geben. Aehnlich wie bei Durchſchneidung der pneumogaſtriſchen Nerven die Bewegung des Magens und die Secretion des Magenſaftes aufgehoben und damit dem Verdauungsproceß eine unmittelbare Gränze geſetzt wird, ändert die Lähmung der Bewegungsorgane des Unterleibs den Reſpirationspro- ceß; beide ſtehen in dem engſten Zuſammenhang mit einan-

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und Pathologie. Braunschweig, 1842, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_physiologie_1842/55>, abgerufen am 24.11.2024.